Hass im Netz: Wie digitale Drohungen die Demokratie gefährden

Wer politisch aktiv ist, riskiert viel: Digitale Gewalt nimmt vielen den Mut, sich einzubringen. Was sie mit Betroffenen macht, wie sie die Zukunft unserer Demokratie bedroht und warum Menschen wie Luisa Neubauer trotzdem weitermachen.

Angriffe auf politisch engagierte Menschen nehmen deutlich zu. Wer online bedroht, beleidigt oder eingeschüchtert wird, erlebt Anfeindungen oft auch im realen Leben – bis hin zu körperlichen Angriffen

Foto von Adrian Swancar / Unsplash
Von Insa Germerott
Veröffentlicht am 31. Jan. 2025, 09:46 MEZ

Die Bundestagswahl steht vor der Tür. Während die einen mitten im Wahlkampf stecken, haben andere bereits aufgegeben. Darunter der ehemalige Ostbeauftragte Marco Wanderwitz (CDU) und die Abgeordnete Tessa Ganserer (Grüne). Sie wollen nicht mehr kandidieren. Nicht etwa, weil sie in Rente gehen oder sich anderen Themen widmen wollen – sondern weil sie genug haben. Genug von den Hasskommentaren und Drohungen, die sie im Internet täglich über sich ergehen lassen müssen. 

Laut einer Studie aus dem Jahr 2024 bezieht sich Hass im Netz am häufigsten auf politische Ansichten – und hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Kein Wunder also, dass Politiker*innen, Aktivist*innen und andere politische Akteur*innen oft ins Fadenkreuz digitaler Gewalt geraten. Das hat schwerwiegende Folgen, wie eine neue Studie der Technischen Universität München (TUM) in Kooperation mit der Menschenrechtsorganisation HateAid zeigt. Diese hat untersucht, wie sich digitale Gewalt auf politisches Engagement auswirkt. Mit dem Ergebnis: Hass und Drohungen im Internet führen dazu, dass Betroffene ihr Verhalten ändern – oder sich sogar vollständig aus dem politischen Diskurs zurückziehen. Eine gefährliche Entwicklung für die Demokratie.

Hass und Drohungen beziehen sich auf politische Einstellung

Für die Studie wurden über 1.000 politisch engagierte Personen von kommunaler bis EU-Ebene befragt. Die meisten von ihnen waren Politiker*innen, gefolgt von Aktivist*innen, Wissenschaftler*innen, Journalist*innen und Publizist*innen sowie Influencer*innen. 58 Prozent aller Befragten berichteten davon, Anfeindungen im Internet zu erleben.

Die meisten Hass-Kommentare richteten sich auch laut der neuen Studie gegen die politische Positionierung der Betroffenen. Auffällig war, dass Frauen dabei deutlich häufiger ins Visier gerieten als Männer (63 Prozent zu 47 Prozent). Die Anfeindungen gegen sie waren außerdem sexualisierter als bei den Männern und explizit misogyn – also frauenfeindlich. „Je stärker ich patriarchale Privilegien von Männern infrage stelle, desto hemmungsloser wird die Gewalt“, berichtet eine anonyme Aktivistin in der Studie der TUM und HateAid. 

Das Grundgesetz auf Glasscheiben.

Fast ein Viertel der weiblichen Betroffenen wurde in dem Zusammenhang Opfer von Androhungen physischer sexueller Gewalt, zum Beispiel von Vergewaltigung. Männern wurde dagegen häufiger mit körperlicher Gewalt bis hin zu Mord gedroht. 

Luisa Neubauer: „Hass im Internet ist realer Hass“

Eine Frau, die besonders oft mit digitalem Hass konfrontiert wird, ist Klimaschutzaktivistin und Publizistin Luisa Neubauer. „Ich erlebe das gesamte Spektrum“, sagt sie. „Vom banalen Tweet oder Kommentar über einfache Beleidigungen bis hin zu Morddrohungen.“ Eines der prominentesten Beispiele ist ein sexistischer, degradierender Kommentar des rechten Autors Akif Pirinçci auf Facebook aus dem Jahr 2020. Neubauer ist damals mit der Unterstützung von HateAid vor Gericht gezogen – mit Erfolg. Pirinçci wurde zu einer Entschädigungszahlung in Höhe von 6.000 Euro nebst Anwalts- und Gerichtskosten verurteilt. Der Fall zeigt: Sich juristisch gegen digitale Gewalt zu wehren, kann sich lohnen. Neubauer geht bis heute so gegen Hass und Drohungen vor. 

Dass das in manchen Fällen viel Arbeit bedeuten kann, zeigt das Beispiel von Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Stellvertreter des Bundeskanzlers sowie Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz. Das Ministerium und das Abgeordnetenbüro Habecks gaben im vergangenen Sommer an, zwischen April 2023 und Juli 2024 rund 700 Strafanzeigen gestellt zu haben. Vorfälle zu melden, ist meistens die einzige Möglichkeit, die Betroffenen bleibt. Auf der Seite des Bundeskriminalamts findet man diverse Stellen dafür. 

BELIEBT

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    “Die Internet-Androhung von einem Tag wird am nächsten Realität für mich.”

    von Luisa Neubauer
    Klimaaktivistin & Publizistin

    Das Gefährliche: Die Gewalt beschränkt sich nicht nur auf den digitalen Raum. „‚Hass im Netz‘ ist im Kern ein verdrehter Begriff“, sagt Neubauer. „Hass, der im Internet ausgeteilt wird, ist realer Hass. Die Internet-Androhung von einem Tag wird am nächsten Realität für mich.“ Deswegen geht die Aktivistin selten ohne Personenschutz auf Veranstaltungen. 

    Was passiert, wenn die Gewalt aus dem Netz real wird, liest man aktuell immer öfter: Im Mai 2024 wurde die Kommunalpolitikerin Yvonne Mosler (Bündnis 90/Die Grünen) beim Aufhängen von Wahlplakaten in Dresden bespuckt und bedroht. Im selben Monat und in derselben Stadt kam es zu einem Angriff auf Matthias Ecke (SPD), Mitglied des EU-Parlaments, und einen Wahlhelfer. Beide wurden dabei schwer verletzt. Eines der schwerwiegendsten Beispiele ereignete sich im Juni 2019. Damals wurde Walter Lübcke (CDU), der ehemalige Kasseler Regierungspräsident, von einem vorbestraften Rechtsextremisten ermordet, dem Lübckes weltoffene Flüchtlingspolitik nicht gefiel. Zuvor wurde im Netz massiv gegen den Politiker gehetzt, sodass er Polizeischutz brauchte.

    Angriffe auf Politiker*innen: Vorfälle haben sich verdoppelt

    Deutschlandfunk berichtete im September 2024 darüber, dass Bedrohungen und Gewalttaten gegenüber Politiker*innen in den letzten Jahren deutlich zugenommen haben. Von 2019 bis 2023 habe sich die Zahl der Angriffe auf Politiker*innen der im Bundestag vertretenen Parteien fast verdoppelt. Fakt ist: Betroffene von digitaler Gewalt erleben auch öfter analoge Gewalt im Gegensatz zu denen, die nicht von ihr betroffen sind. Das ergab die Studie der TUM und HateAid.

    Fast jede vierte von digitaler Gewalt betroffene Frau hat schon einmal darüber nachgedacht, sich aus der Politik zurückzuziehen.

    „Die Auswirkungen sind eklatant“, sagt Janina Steinert, Professorin für Global Health an der Technischen Universität München, die an der Studie beteiligt war. Beinahe jede zweite politisch engagierte Person, die von digitaler Gewalt betroffen war, hat ihre Kommunikation verändert. So wurden Inhalte angepasst und die Plattformen seltener besucht. Fast jede vierte der von digitaler Gewalt betroffenen Frauen hat in Betracht gezogen, sich komplett zurückzuziehen. „Dabei sind Frauen bereits jetzt in Parlamenten und Parteien unterrepräsentiert“, sagt Steinert. 

    Politischer Druck und konsequente Strafverfolgung

    „Wenn politisch Engagierte weiter so schutzlos angegriffen werden, wird der Hass unser demokratisches Miteinander immer weiter zersetzen“, sagt Yvonne Magwas, CDU-Bundestagsabgeordnete und Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages. Darum müsse schnell gehandelt werden, so Anna-Lena von Hodenberg, Geschäftsführerin von HateAid: „Politik, Justiz, Parteien und Plattformen [müssen jetzt] endlich alles dafür tun, Politikerinnen und Politiker und andere Engagierte effektiv zu schützen.“ Die Menschenrechtsorganisation fordert deshalb Anlaufstellen für Betroffene digitaler Gewalt innerhalb der Parteien und eine konsequente und zeitnahe Verfolgung von Anzeigen. 

    HateAid sieht die Politik in der Pflicht: Die Betreiber*innen von Social-Media-Plattformen sollen stärker an den Digital Services Act (DSA) gebunden werden. Dieser schreibt diesen unter anderem vor, dass gegen Hasskommentare und Falschinformationen vorgegangen werden muss. Wie egal der Hass den Betreibenden der Plattformen ist, konnte man gerade erst wieder bei Mark Zuckerberg sehen. Der Meta-Inhaber hat für die USA weniger Regulierung auf den Plattformen Facebook und Instagram angekündigt. Dadurch werden Hasskommentare in vielen Fällen nicht mehr verfolgt. Ähnliches gilt bereits für Elon Musk und X. In der EU wird es Zuckerberg mit seinem Vorhaben nicht leicht haben: Noch steht ihm der DSA dabei im Weg. Laut dem Magazin Der Spiegel hofft Zuckerberg bei der Umsetzung auf die Unterstützung des US-Präsidenten, der Druck auf die EU ausüben soll. 

    Während sich viele politisch Engagierte nach Angaben der Studie bei diesen Aussichten eher zurückziehen, sehen andere sich noch mehr in der Pflicht. „Drohungen und Hasskommentare werden mich nicht davon abhalten können, meine Arbeit zu machen“, sagt Luisa Neubauer. „Jede Androhung und jeder Hate-Post ist eine Aufforderung an uns alle, aktiv zu werden und für eine gerechtere, inklusive Gesellschaft einzustehen.“ Das bedeute auch, politischen Druck zu machen, damit Hate-Postings besser reguliert und Plattformen demokratisiert werden, um die Zivilgesellschaft zu schützen. 

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