Vor Apple & Co. war die Ostindien-Kompanie eine Weltmacht
Die britische Handelsgesellschaft annektierte einen ganzen Subkontinent. Ihr Vermächtnis ist noch heute zu spüren.
Wer glaubt, Google oder Apple wären mächtige Unternehmen, wie sie die Welt noch nie zuvor gesehen hat, der hat vermutlich noch nicht von der Britischen Ostindien-Kompanie gehört. Die profitable Gesellschaft war so einflussreich, dass sie einst fast über den gesamten indischen Subkontinent herrschte. Zwischen 1600 und 1874 wurde aus der Gesellschaft ein mächtiges Unternehmen, das seine eigene Armee befehligte, über ein eigenes Territorium herrschte und fast die alleinige Kontrolle über den Handel mit einer Ware hatte, die mittlerweile als typisch britisch gilt: Tee.
Zu Beginn des 17. Jahrhunderts war der indische Subkontinent in Europa als East Indies oder Ostindien bekannt – und als die Heimat wertvoller Gewürze, Stoffe und Luxusgüter. Er galt als ein Land mit scheinbar grenzenlosem Potenzial. Aufgrund ihrer Überlegenheit auf See hatten Spanien und Portugal das Monopol auf den Handel mit dem Fernen Osten inne. Allerdings wollte Großbritannien ebenfalls ein Stück vom Kuchen: Im Jahr 1588 beschlagnahmte es die Schiffe der besiegten spanischen Armada und brachte die Monarchie damit auf Kurs, sich zu einer bedeutenden Seemacht zu entwickeln.
Von der Kompanie zur Handelsgroßmacht
Im Jahr 1600 bat eine Gruppe englischer Kaufleute Königin Elisabeth I. um einen Freibrief, der ihnen das Recht einräumte, im Namen der britischen Krone nach Ostindien zu reisen, um dort ein Handelsmonopol zu beanspruchen. Sie finanzierten das Unternehmen mit fast 72.000 Pfund aus eigener Kasse – und die Ostindien-Kompanie war geboren.
Die Gesellschaft florierte dank eines Faktorei-Systems. Sogenannte Faktoren oder Interessenvertreter etablierten vor Ort Handelsniederlassungen. Von diesen Stützpunkten aus konnten sie neue Waren organisieren und Verhandlungen führen. Dank eines 1613 geschlossenen Vertrags mit dem Mogulkaiser Jahangir wurde die erste Faktorei in Surat im heutigen Westen Indiens etabliert. Im Laufe der Jahre verschob die Gesellschaft ihren Fokus. Anstatt auf Pfeffer und andere Gewürze konzentrierten sich die Kaufleute auf Baumwolle und Seidenstoffe und schließlich auch auf Tee. Die Ostindien-Kompanie expandierte weiter in den Persischen Golf, nach China und in andere asiatische Gebiete.
Der königliche Freibrief der Ostindien-Kompanie befähigte die Gesellschaft sogar dazu, Kriege zu führen. Tatsächlich nutzten die Kaufleute anfangs militärische Gewalt, um sich zu verteidigen und gegen rivalisierende Händler vorzugehen. 1757 erlangten sie schließlich die Kontrolle über das gesamte Mogulreich Bengalen. Robert Clive, der die 3.000 Mann starke Armee der Kompanie befehligte, wurde zum Gouverneur von Bengalen. Er begann damit, Steuern und Zölle zu erheben, mit denen er wiederum indische Güter kaufte und sie nach England exportierte. Die Handelsgesellschaft baute weiter auf ihren bisherigen Siegen auf und vertrieb schließlich die Franzosen und Niederländer vom indischen Subkontinent.
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Erst Ostindien, dann die Welt
In den darauffolgenden Jahren annektierte die Ostindien-Kompanie gewaltsam weitere Regionen des Subkontinents und schloss Allianzen mit den Herrschern jener Gebiete, die sie nicht erobern konnte. Auf ihrem Höhepunkt hatte sie eine 260.000 Mann starke Armee (doppelt so viele wie im stehenden Heer Großbritanniens) und war für fast die Hälfte des britischen Handels verantwortlich. Der indische Subkontinent befand sich praktisch unter der Herrschaft der Gesellschafter der Ostindien-Kompanie. Diese wählten jedes Jahr Vertreter, welche die Strategie für das nächste Jahr vorgaben.
Aufgrund finanzieller Schwierigkeiten und zunehmendem Machtmissbrauch übernahm Großbritannien schließlich die direkte Kontrolle über die Ostindien-Kompanie. Nach einer langen Abwärtsspirale beendete die britische Krone 1858 die Herrschaft der Gesellschaft über Indien. Im Jahr 1874 war sie nunmehr ein Schatten ihrer selbst und wurde zu guter Letzt aufgelöst.
Bis dahin hatte sich die Ostindien-Kompanie aber in alle möglichen Verwicklungen verstrickt, von den Opiumeinfuhren in China (die Kompanie baute Opium in Indien an, exportierte es illegal nach China und tauschte es dort gegen begehrte chinesische Handelsgüter) bis zum internationalen Sklavenhandel (sie erwarb auf mehreren Expeditionen Sklaven und nutzte deren Arbeitskraft im 17. und 18. Jahrhundert). Seit ihrer Auflösung mag die Ostindien-Kompanie vom modernen Kapitalismus überschattet worden sein – aber ihr Vermächtnis ist noch heute auf der ganzen Welt zu spüren.
Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.
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