Vor Apple & Co. war die Ostindien-Kompanie eine Weltmacht

Die britische Handelsgesellschaft annektierte einen ganzen Subkontinent. Ihr Vermächtnis ist noch heute zu spüren.

Von Erin Blakemore
Veröffentlicht am 9. Sept. 2019, 14:55 MESZ
Nach dem Sieg über die spanische Armada erteilte Königin Elisabeth I. einen königlichen Freibrief, mit dem ...
Nach dem Sieg über die spanische Armada erteilte Königin Elisabeth I. einen königlichen Freibrief, mit dem britische Kaufleute im Namen der Krone in Ostindien Handel treiben durften.
Foto von Leemage, Corbis, Getty

Wer glaubt, Google oder Apple wären mächtige Unternehmen, wie sie die Welt noch nie zuvor gesehen hat, der hat vermutlich noch nicht von der Britischen Ostindien-Kompanie gehört. Die profitable Gesellschaft war so einflussreich, dass sie einst fast über den gesamten indischen Subkontinent herrschte. Zwischen 1600 und 1874 wurde aus der Gesellschaft ein mächtiges Unternehmen, das seine eigene Armee befehligte, über ein eigenes Territorium herrschte und fast die alleinige Kontrolle über den Handel mit einer Ware hatte, die mittlerweile als typisch britisch gilt: Tee.

Zu Beginn des 17. Jahrhunderts war der indische Subkontinent in Europa als East Indies oder Ostindien bekannt – und als die Heimat wertvoller Gewürze, Stoffe und Luxusgüter. Er galt als ein Land mit scheinbar grenzenlosem Potenzial. Aufgrund ihrer Überlegenheit auf See hatten Spanien und Portugal das Monopol auf den Handel mit dem Fernen Osten inne. Allerdings wollte Großbritannien ebenfalls ein Stück vom Kuchen: Im Jahr 1588 beschlagnahmte es die Schiffe der besiegten spanischen Armada und brachte die Monarchie damit auf Kurs, sich zu einer bedeutenden Seemacht zu entwickeln.

Dieses Gemälde vom Ende des 18. Jahrhunderts zeigt einen offiziellen Vertreter der Ostindien-Kompanie auf einem Elefanten ...
Dieses Gemälde vom Ende des 18. Jahrhunderts zeigt einen offiziellen Vertreter der Ostindien-Kompanie auf einem Elefanten reitend.
Foto von Heritage Image Partnership Ltd, Alamy

Von der Kompanie zur Handelsgroßmacht

Im Jahr 1600 bat eine Gruppe englischer Kaufleute Königin Elisabeth I. um einen Freibrief, der ihnen das Recht einräumte, im Namen der britischen Krone nach Ostindien zu reisen, um dort ein Handelsmonopol zu beanspruchen. Sie finanzierten das Unternehmen mit fast 72.000 Pfund aus eigener Kasse – und die Ostindien-Kompanie war geboren.

Die Gesellschaft florierte dank eines Faktorei-Systems. Sogenannte Faktoren oder Interessenvertreter etablierten vor Ort Handelsniederlassungen. Von diesen Stützpunkten aus konnten sie neue Waren organisieren und Verhandlungen führen. Dank eines 1613 geschlossenen Vertrags mit dem Mogulkaiser Jahangir wurde die erste Faktorei in Surat im heutigen Westen Indiens etabliert. Im Laufe der Jahre verschob die Gesellschaft ihren Fokus. Anstatt auf Pfeffer und andere Gewürze konzentrierten sich die Kaufleute auf Baumwolle und Seidenstoffe und schließlich auch auf Tee. Die Ostindien-Kompanie expandierte weiter in den Persischen Golf, nach China und in andere asiatische Gebiete.

BELIEBT

    mehr anzeigen
    Der Mogulkaiser Schah Alam II gewährt Robert Clive, dem Anführer der Arme der Ostindien-Kompanie, das Recht ...
    Der Mogulkaiser Schah Alam II gewährt Robert Clive, dem Anführer der Arme der Ostindien-Kompanie, das Recht zur Steuereintreibung in Bengalen.
    Foto von Hulton Archive, Getty

    Der königliche Freibrief der Ostindien-Kompanie befähigte die Gesellschaft sogar dazu, Kriege zu führen. Tatsächlich nutzten die Kaufleute anfangs militärische Gewalt, um sich zu verteidigen und gegen rivalisierende Händler vorzugehen. 1757 erlangten sie schließlich die Kontrolle über das gesamte Mogulreich Bengalen. Robert Clive, der die 3.000 Mann starke Armee der Kompanie befehligte, wurde zum Gouverneur von Bengalen. Er begann damit, Steuern und Zölle zu erheben, mit denen er wiederum indische Güter kaufte und sie nach England exportierte. Die Handelsgesellschaft baute weiter auf ihren bisherigen Siegen auf und vertrieb schließlich die Franzosen und Niederländer vom indischen Subkontinent.

    Galerie: Ein kleiner Einblick in alte Königshäuser aus aller Welt

    Erst Ostindien, dann die Welt

    In den darauffolgenden Jahren annektierte die Ostindien-Kompanie gewaltsam weitere Regionen des Subkontinents und schloss Allianzen mit den Herrschern jener Gebiete, die sie nicht erobern konnte. Auf ihrem Höhepunkt hatte sie eine 260.000 Mann starke Armee (doppelt so viele wie im stehenden Heer Großbritanniens) und war für fast die Hälfte des britischen Handels verantwortlich. Der indische Subkontinent befand sich praktisch unter der Herrschaft der Gesellschafter der Ostindien-Kompanie. Diese wählten jedes Jahr Vertreter, welche die Strategie für das nächste Jahr vorgaben.

    Begum Samru herrschte im 18. Jahrhundert über das Königreich Sardhana. Die politisch geschickte Befehlshaberin einer Söldnerarmee ...

    Aufgrund finanzieller Schwierigkeiten und zunehmendem Machtmissbrauch übernahm Großbritannien schließlich die direkte Kontrolle über die Ostindien-Kompanie. Nach einer langen Abwärtsspirale beendete die britische Krone 1858 die Herrschaft der Gesellschaft über Indien. Im Jahr 1874 war sie nunmehr ein Schatten ihrer selbst und wurde zu guter Letzt aufgelöst.

    Bis dahin hatte sich die Ostindien-Kompanie aber in alle möglichen Verwicklungen verstrickt, von den Opiumeinfuhren in China (die Kompanie baute Opium in Indien an, exportierte es illegal nach China und tauschte es dort gegen begehrte chinesische Handelsgüter) bis zum internationalen Sklavenhandel (sie erwarb auf mehreren Expeditionen Sklaven und nutzte deren Arbeitskraft im 17. und 18. Jahrhundert). Seit ihrer Auflösung mag die Ostindien-Kompanie vom modernen Kapitalismus überschattet worden sein – aber ihr Vermächtnis ist noch heute auf der ganzen Welt zu spüren.

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

    Historischer Handel


    Der Oberkiefer eines Walrosses samt den Stoßzähnen. Der Knochen wurde untersucht, um die Herkunft des mittelalterlichen ...

    Nordländer herrschten auf Grönland über Europas Elfenbeinhandel

    Die Siedler überlebten an der kargen, eisigen Küste dank der begehrten Zähne von Walrossen.

    Beleg für zeremonielle Aktivität

    Maya handelten Tiere für Zeremonien schon vor 2.400 Jahren

    Eine Untersuchung von Zähnen und Knochen zeigte, dass die Tiere teils aus weit entfernten Regionen stammten und eine wichtige Rolle bei Zeremonien spielten.

    Fernstraße in Usbekistan

    Die Geister der Seidenstraße

    Auf den Spuren der Menschheit wandert Reporter Paul Salopek entlang der ältesten Handelsroute der Welt – wo heute wieder globale Interessen aufeinandertreffen. 

    loading

    Nat Geo Entdecken

    • Tiere
    • Umwelt
    • Geschichte und Kultur
    • Wissenschaft
    • Reise und Abenteuer
    • Fotografie

    Über uns

    Abonnement

    • Magazin-Abo
    • TV-Abo
    • Bücher
    • Disney+

    Folgen Sie uns

    Copyright © 1996-2015 National Geographic Society. Copyright © 2015-2024 National Geographic Partners, LLC. All rights reserved