Bauhaus global: Architekturrevolution aus Mitteldeutschland

Von Weimar bis Tel Aviv hat das Bauhaus mit seinem Design und seiner Architektur die Moderne entscheidend geprägt.

Von Andrew Curry
Veröffentlicht am 22. Okt. 2019, 11:41 MESZ
Reisfeld House in Tel Aviv
Das 1935 errichtete Reisfeld House in Tel Aviv wurde nach den Bauhausprinzipien entworfen.
Foto von Eric Martin, Figarophoto, Redux

Das iPhone in der Tasche. Das schlichte Design des IKEA-Bücherregals im Wohnzimmer. Die Glaskasten-Optik des Bürogebäudes in der Stadt. Diese schlanken, minimalistischen Linien und den Fokus auf den Nutzen eines Objekts verdanken wir einer Designbewegung, die mittlerweile fast ein Jahrhundert alt ist.

Die 1919 in Deutschland gegründete Kunsthochschule Bauhaus trat eine Revolution im Bereich Architektur und Design los. Einhundert Jahre später sind ihre „Weniger ist mehr“-Philosophie, ihre geraden Kanten und minimalistischen Verzierungen und ihre Verschmelzung von Kunst und Kommerz allgegenwärtig, ob in städtischen Wohnblöcken oder in Smartphones.

In den Nachwehen des Ersten Weltkriegs vertrat der deutsche Architekt Walter Gropius die Überzeugung, dass Kunst eine soziale Funktion erfüllen sollte. An seiner Schule im thüringischen Weimar wurden angewandte Künste wie Architektur und Typografie ebenso gelehrt wie bildende Künste. Gropius’ erklärtes Ziel war es, „eine neue Zunft der Handwerker ohne die klassentrennende Anmaßung, die eine hochmütige Mauer zwischen Handwerkern und Künstlern errichtete“ zu schaffen.

Auf fruchtbaren Boden fielen Gropius’ Ideale schon bald bei zahlreichen Künstlern und Kreativen, von Malern wie Paul Klee und Wassily Kandinsky bis zu Typografen, Möbelbauern, Webern, Kostümdesignern und Choreografen. Die künstlerische Bewegung revolutionierte die Art und Weise, wie Design betrachtet wurde. Stilistische Durchbrüche wie der Wassily-Stuhl und der freie Grundriss des Barcelona-Pavillons von Ludwig Mies van der Rohe inspirierten Generationen von Designern dazu, Objekte und Gebäude auf ihre grundlegendsten Elemente zu reduzieren.

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    Dieser radikale Ansatz löste von Anfang an Kontroversen aus. Das Bauhaus musste nach wenigen Jahren von Weimar nach Dessau und schließlich nach Berlin umziehen. 1933 wurde es von den Nationalsozialisten zur Schließung gezwungen. Seine modernen Ideen und ästhetischen Prinzipien überdauerten allerdings. „Das Bauhaus ist deshalb so wichtig, weil es uns nicht nur Objekte hinterlassen hat, sondern ein immaterielles Erbe, dessen Einfluss noch heute spürbar ist“, sagt die Kunsthistorikern Dr. Nina Wiedemeyer von der Universität der Künste Berlin.

    Anlässlich des 100-jährigen Bauhaus-Jubiläums findet in der Berlinerischen Galerie eine große Ausstellung mit mehr als 1.000 Originalen statt, während in Dessau-Roßlau seit dem 8. September das neue Bauhaus-Museum Besucher zum Rundgang hinter der Glasfassade einlädt. Der Einfluss der Strömung ist jedoch auch jenseits von Deutschland auf der ganzen Welt zu sehen.

    Weimar

    Das Epizentrum des großen Bauhaus-Jahres ist Weimar in Thüringen. Hier entstand vor 100 Jahren die erste Bauhaus-Schule. Im April 2019 eröffnete in der Nähe des Stadtzentrums ein neues Bauhaus-Museum, in dem Besucher diverse Originale wie den Barcelona-Sessel und Peter Kelers Bauhaus-Wiege aus den geometrischen Grundformen betrachten können.

    An der Bauhaus-Universität in Weimar können Studenten auch heute noch die Grundlagen der internationalen Stilbewegungen erlernen, die zu einer der einflussreichsten Designströmungen der Geschichte heranwuchs.
    Foto von View Pictures, Universal Images Group/Getty Images

    Auch der Campus der Bauhaus-Universität Weimar ist ganz in der Nähe. Dort wurde das ehemalige Direktorenzimmer von Walter Gropius wieder in seinen Originalzustand versetzt. Studenten bieten zudem geführte Touren durch die Stadt an, die auch jenseits des Bauhauses Einblicke in die deutsche Geschichte liefert, von den Wirkstätten Schillers und Goethes bis zum Konzentrationslager Buchenwald.

    Das Direktorenzimmer von Bauhaus-Gründer Walter Gropius an der Bauhaus-Universität Weimar wurde in seinen Originalzustand zurückversetzt.
    Foto von Sean Gallup, Getty Images

    Dessau-Roßlau

    Die sachsen-anhaltinische Stadt Dessau-Roßlau hat zwar nur 80.000 Einwohner, dafür aber gleich drei UNESCO-Welterbestätten, von denen eine der zweiten Inkarnation des Bauhauses gewidmet ist.

    Nachdem er Weimar verlassen hatte, erbaute Walter Gropius in Dessau einen zweiten Bauhaus-Campus. Das renovierte Gebäude mit der Glasfassade hat mittlerweile UNESCO-Welterbestatus.
    Foto von Toma Babovic, Laif, Redux

    Hier wird noch immer Design unterrichtet. Besucher können in den Räumen des Atelierhauses übernachten, in denen die Bauhaus-Schüler einst ihre weltverändernden Ideen erträumten.

    Im Bauhaus in Dessau-Roßlau finden täglich geführte Touren statt.
    Foto von Pierre-Olivier Deschamps, Agen, Redux

    Berlin

    Das Bauhaus Archiv in Berlin, das in den Sechzigern von Gropius entworfen wurde, wird aktuell anlässlich des Jubiläums saniert und erweitert. In der deutschen Hauptstadt finden sich aber noch zahlreiche weitere Bauhaus-Gebäude – sechs davon gehören zu einer UNESCO-Welterbestätte.

    Die Hufeisensiedlung gehört zu einer Gruppe minimalistischer Gebäude in Berlin, die seit 2008 den Status eines UNESCO-Weltkulturerbes haben.

    Foto von Redux

    Der bekannteste Gebäudekomplex ist vielleicht die Hufeisensiedlung in Berlin-Britz, die in den 1920ern als Projekt des sozialen Wohnungsbaus errichtet wurde. Besucher können sich dort einen Eindruck vom Leben im Berlin der Zwanziger verschaffen und eine der originalgetreu wiederhergestellten Wohnungen besichtigen, inklusive einer alten Küche und eines Gartens. Im Anschluss können Besucher eine Nacht im Hotel Ku’damm 101 verbringen, dessen minimalistischer Stil aus der Feder des Architekten Le Corbusier vom Bauhaus inspiriert wurde.

    Diese Nachbildung einer Originalküche der Hufeisensiedlung verdeutlicht den Fokus des Architekten Bruno Taut auf minimalistische Möblierung.
    Foto von Andreas Pein, Laif, Redux

    Tel Aviv

    Als die Nationalsozialisten 1933 an die Macht kamen, verließen viele der führenden Bauhaus-Köpfe das Land und trugen die Ideen der Bewegung weit über die Landesgrenzen hinaus in die Welt. Eine der größten Ansammlungen von Architektur im Bauhaus-Stil findet sich in Tel Aviv, Israel.

    Die „Weiße Stadt“ in Tel Aviv ist eine Sammlung von mehr als 4.000 Gebäuden im Bauhaus-Stil, die von Architekten und Designern errichtet wurden, welche vor den Nationalsozialisten aus Deutschland flohen.
    Foto von Nicolas van Ryk, VISA, Redux

    Das Zentrum der Stadt genießt auch dank mehr als 4.000 Bauhaus-Gebäuden UNESCO-Welterbestatus – viele davon wurden von deutschen Juden entworfen, die in den 1930ern vor den Nationalsozialisten flohen. Das geschulte Auge entdeckt an den Gebäuden in Tel Aviv auch einige stilistische Unterschiede zu den deutschen Bauten. So wurden viele der charakteristischen, großflächigen Glasfassaden und Fenster durch kleinere Glasbereiche ersetzt, um vor der heißen Mittelmeersonne zu schützen.

    Das Cinema Hotel in Tel Aviv war früher ein Kino, das 1930 im Bauhaus-Stil errichtet wurde.
    Foto von Stefan Boness, Visum, Redux

    Chicago

    Ein weiterer Bauhaus-Schüler, Laszlo Moholy-Nagy, emigrierte in die USA. Er ließ sich in Chicago nieder und gründete dort 1937 das New Bauhaus. Ein Jahr später folgte ihm auch Ludwig Mies van der Rohe. Das Illinois Institute of Design (die Nachfolgeeinrichtung des New Bauhaus) half dabei, Chicago in ein Zentrum für moderne Architektur und Design zu verwandeln – ganz nach Mies van der Rohes Motto „Weniger ist mehr“. Viele der von ihm entworfenen Gebäude, darunter auch das bekannte Farnsworth House bei Plano in Illinois, sind öffentlich zugänglich.

    Der mitunter als kalt und unpersönlich empfundene Bauhaus-Stil mag nicht für jedermann sein. Aber ein Jahrhundert nach seiner Begründung gibt es keinen Zweifel daran, dass Gropius’ kleine Schule aus Mitteldeutschland das moderne Design auf der ganzen Welt beeinflusste.

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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