Erklärt: Wer sind die Kurden?

Die größte staatenlose Ethnie der Welt ist in einer der unbeständigsten Regionen der Erde zu Hause – Kurdistan.

Von Erin Blakemore
Veröffentlicht am 15. Okt. 2019, 14:44 MESZ
Kurdische Truppen (Peschmerga) spielen in der Nähe von Kirkuk Volleyball. Die kurdischen Streitkräfte kämpften gegen den ...
Kurdische Truppen (Peschmerga) spielen in der Nähe von Kirkuk Volleyball. Die kurdischen Streitkräfte kämpften gegen den Islamischen Staat, als dieser 2014 damit begann, irakische Städte zu erobern.
Foto von Yuri Kozyrev, Nat Geo Image Collection

Wer Kurdistan nicht auf einer Karte zeigen kann, ist damit nicht allein. Es ist kein souveräner Staat, aber für die Kurden – eine ethnische Gruppe, der schätzungsweise zwischen 30 und 35 Millionen Menschen angehören – ist er mehr als nur ein ferner Traum von Selbstbestimmung. Ihr Siedlungsgebiet, welches sich größtenteils über den Osten der Türkei sowie die Randbereiche des Iran, Irak und Syrien erstreckt, zählt zu den unbeständigsten Regionen der Welt. Die Kurden sind die weltweit größte staatenlose ethnische Gruppierung.

Sie stammen aus dem Nahen Osten, aber sowohl Gelehrte als auch die Kurden selbst sind sich uneins über den genauen Ursprung der Ethnie. Auch ihre Glaubensvorstellungen gehen auseinander: Beim Großteil der Kurden handelt es sich um Sunniten, aber auch andere Religionen werden praktiziert.

Klar ist nur, dass es eine gemeinsame kurdische Identität und Sprache gibt. Beides entstand wahrscheinlich im Mittelalter. Seither haben die Kurden die Geschichte der heutigen Länder Iran, Irak, Syrien und Türkei auf unterschiedliche Weise beeinflusst.

Ein autonomes Kurdistan?

Obwohl die Kurden in der Region erfolgreich waren und Einfluss hatten, verloren sie ihre Gebiete, als das Osmanische Reich im 16. Jahrhundert einen Großteil der kurdischen Territorien eroberte. Auch die Niederlage des Reiches im Ersten Weltkrieg erwies sich für sie als Rückschlag. Laut dem Vertrag von Sèvres von 1920 sollte das Osmanische Reich aufgelöst werden und die Alliierten versprachen Kurdistan Autonomie. Was für die wachsende Nationalbewegung der Kurden wie ein Sieg für ihre Sache aussah, kam jedoch nie zustande. Der Vertrag wurde nie ratifiziert. Die Türkei verhandelte erneut mit den Alliierten, und so wurde 1923 der überarbeitete Vertrag von Lausanne auf den Weg gebracht – ohne Pläne für ein autonomes Kurdistan. Seither haben die Kurden mehrfach versucht, ihren eigenen Staat zu gründen, bislang allerdings vergebens.

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In der Türkei sind die Kurden die größte ethnische Minderheit, werden aber seit langem von staatlicher Seite unterdrückt. Bis vor wenigen Jahren war dort sogar der Gebrauch der kurdischen Sprache verboten. Aufgrund der Spannungen kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen der Separatistenbewegung und türkischen Truppen. Der bewaffnete Kampf der PKK gegen die Türkei, der seit 1984 tobt, hat mittlerweile mehr als 40.000 Opfer gefordert – die Mehrheit davon waren kurdische Zivilisten.

In den frühen Neunzigern floh diese Familie aus ihrer vom Krieg zerrissenen Heimat bei Kirkuk im Irak. Auf dieser Aufnahme versammelt sie sich um ein Lagerfeuer in Ranjwin an der Grenze zum Iran.
Foto von Ed Kashi, Nat Geo Image Collection

Der Konflikt hat sich mittlerweile auch auf Syrien ausgeweitet, wo die Kurden ebenfalls die größte ethnische Minderheit sind. Auch dort leiden die Kurden seit langem unter staatlicher Unterdrückung. Während des Bürgerkriegs haben sie allerdings große Landesteile im Norden Syriens unter ihre Kontrolle gebracht und arbeiteten im Zuge dessen oft mit den US-Streitkräften zusammen gegen den Islamischen Staat. Anfang Oktober 2019 zogen die USA Truppen von der türkisch-syrischen Grenze ab, als das türkische Militär in die von den Kurden kontrollierten syrischen Gebiete vorstieß.

Auch die Kurden im Irak litten jahrzehntelang unter Konflikten und Blutvergießen. Während des Ersten Golfkriegs in den Achtzigern setzte der Irak chemische Kampfstoffe gegen kurdische Zivilisten ein und schlug eine Rebellion blutig nieder. Zehntausende Kurden starben, hunderttausende flohen. Während des Zweiten Golfkriegs von 1990 bis 1991 flüchteten sich 1,5 Millionen Kurden in die Türkei. Daraufhin schloss das Land seine Grenzen, sodass die kurdischen Flüchtlinge im Grenzgebiet strandeten, bis die Koalitionsstreitkräfte einen sicheren Zufluchtsort für sie schufen. Nachdem die UN den Schutz der Kurden garantierte, erlaubte der Irak der Regionalregierung Kurdistans, einen Teil des Landes als Autonome Region Kurdistan zu regieren.

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Als drittgrößte ethnische Gruppierung im Iran unterstützten die Kurden ursprünglich die Islamische Republik. Durch kurdische Aufstände in den Achtzigern und Neunzigern kam es jedoch zu staatlichen Repressionen. Mittlerweile fühlen sich die Kurden im Iran „entrechtet und ausgeschlossen“, wie es der Forscher und Nahost-Experte Shahram Akbarzadeh formuliert.

Die anhaltenden Spannungen in der Region entladen sich immer wieder in bewaffneten Konflikten, und es ist kaum abzusehen, ob und wann sich Lage dort überhaupt beruhigen wird. Gewiss scheint nur, dass die Kurden weiterhin für ein eigenes Land kämpfen werden.

Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

 

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