Römischer Humor: Sonnenuhr in Schinkenform

Gehen ein Epikureer, ein Schinken und ein Vulkanausbruch in eine Villa …

Von Traci Watson
Veröffentlicht am 30. Okt. 2020, 13:57 MEZ

Ein Modell der Schinken-Sonnenuhr zeigt die Uhrzeit an: 9 Uhr morgens.

Foto von Christopher Parslow, 3-D-Druck von Christopher Chenier, Wesleyan Digital Studio Lab

Bei der Ausgrabung einer antiken römischen Villa, die unter vulkanischen Ascheschichten begraben war, fanden Arbeiter im 18. Jahrhundert einen ungewöhnlichen Metallklumpen, der klein genug war, um in eine Kaffeetasse zu passen. Bei der Reinigung kam etwas zum Vorschein, das sowohl historisch bedeutsam als auch ziemlich kurios ist: eines der ältesten bekannten Beispiele einer tragbaren Sonnenuhr – in Form eines Schinkens.

Mittlerweile tickt die „Schinkenuhr“ wieder. Ein Modell der Sonnenuhr wurde mit Hilfe eines 3D-Druckers angefertigt und hilft Forschern dabei, einige Fragen zu klären: Wie wurde sie verwendet und welche Informationen lieferte sie?

Das Modell bestätigt zum Beispiel, dass die Verwendung des skurrilen Zeitmessers eine gewisse Finesse erforderte, sagt Christopher Parslow von der Wesleyan University. Der Professor für klassische Studien und römische Archäologie fertigte die 3D-Rekonstruktion an. Dennoch „repräsentiert sie Wissen darüber, wie die Sonne funktioniert, und sie kann zur Zeitanzeige verwendet werden“.

Rekonstruktion einer Kuriosität

Die Schinkenuhr wurde in den 1760ern in den Ruinen der Villa dei Papiri gefunden, einem großen Landhaus in der römischen Stadt Herculaneum. Genau wie das nahe gelegene Pompeji wurde auch Herculaneum durch den katastrophalen Ausbruch des Vesuvs im Jahre 79 n. Chr. zerstört.

Die frühen Gelehrten erkannten schnell, dass das unscheinbare Objekt eine Sonnenuhr war, auch wenn einige Experten der Meinung waren, dass sie eher einem Wasserkrug als einem Schinken nachempfunden war.

Das Objekt war eine Art Taschenuhr seiner Zeit. Fest installierte Sonnenuhren gab es überall im antiken Griechenland und Rom, aber es sind nur eine Handvoll tragbare Sonnenuhren aus der Antike bekannt, erzählt Alexander Jones. Der Historiker für Antikenwissenschaften am Institut für das Studium der Antike der New York University war nicht an Parslows Experimenten beteiligt. Es sei nicht klar, wann genau die Uhr aus Herculaneum hergestellt wurde, aber sie sei entweder die älteste oder die zweitälteste erhaltene tragbare Sonnenuhr, sagt Jones.

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Nachdem Parslow zu der Schinkenuhr befragt wurde, kam ihm die Idee zum Bau eines 3D-Modells. Er machte Dutzende von Fotos des Zeitmessers im Archäologischen Nationalmuseum Neapel. Ein 3D-Drucker an seiner Universität fertigte das Modell innerhalb weniger Stunden an – aus Kunststoff, nicht wie im Original aus versilberter Bronze.

Aber genau wie das Original trägt Parslows Modell auf einer Seite ein Zifferblatt in Form eines leicht verzerrten Gitters. Die vertikalen Linien sind mit den Monatsnamen beschriftet. Die horizontalen Linien zeigen die Anzahl der Stunden nach Sonnenaufgang oder vor Sonnenuntergang an.

Der ursprünglichen Uhr fehlt ihr Gnomon – der Teil einer Sonnenuhr, der einen Schatten wirft. Aber ein Museumskurator aus dem 18. Jahrhundert beschrieb die Uhr mit einem Gnomon in Form eines Schweineschwanzes, sodass Parslow auch diesen neu druckte.

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Dann experimentierte er mit der Sonnenuhr im Freien. Die Uhr wird an einer Schnur aufgehängt, so dass die Sonne auf ihre linke Seite fällt und der daran befestigte Schweineschwanz einen Schatten über das Gitter wirft.

Der Benutzer richtet die Uhr so aus, dass die Spitze vom Schatten des Schwanzes auf die vertikale Linie für den aktuellen Monat fällt. Schließlich zählt der Nutzer die Anzahl der horizontalen Linien, angefangen bei der obersten horizontalen Linie bis zu jener, die der Schattenspitze am nächsten liegt. Das Ergebnis ist die Anzahl der Stunden nach Sonnenaufgang oder vor Sonnenuntergang.

Statussymbol in Schinkenform

Als Parslow die Uhr – die dazu neigt, im Wind zu schwanken – schließlich beherrschte, konnte er die korrekte Stunde ablesen. Danach widmete er sich dem Design eines neuen Gnomons, um die Zeitanzeige noch zu verbessern.  

Ein italienischer Prosciutto-Schinken wurde zum Pökeln und Reifen aufgehängt.

Foto von Photology1971, Alamy Stock Photo

Theoretisch ist die Uhr so konstruiert, dass sie die Zeit auf die halbe oder sogar Viertelstunde genau anzeigen könnte. Aber „der Maßstab ist so klein und es ist so schwierig, die Uhr stabil zu halten, dass eine solche Genauigkeit wahrscheinlich eher das theoretische Ideal als die Realität ist“, sagt Parslow. Er stellte Anfang 2017 bei einem Treffen des Archaeological Institute of America und der Society for Classical Studies seine ersten Ergebnisse vor.

Das Objekt erscheint unpraktisch, aber die Römer brauchten die Tageszeit nicht auf die Minute genau zu kennen. Auch hätte die Uhr eher ein Statussymbol sein können, sagt Jones, wie „moderne, teure Schweizer Uhren. Die hat man nicht nur, um die Zeit anzuzeigen. Man besitzt sie, um zu zeigen, dass man sie besitzt.“

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Warum aber die Form eines Prosciutto-Schinkens? Parslow ist sich nicht sicher, aber er verweist darauf, dass das Schwein ein Symbol in der epikureischen Philosophie ist, die ein genügsames, glückliches Leben predigt. Und die meisten Texte, die in der Villa dei Papiri gefunden wurden, beziehen sich auf eben diese epikureische Philosophie, sagt Kenneth Lapatin, Kurator für Altertümer am J. Paul Getty Museum.

„Die Epikureer hatten eine Menge Humor“, sagt Lapatin. Die Form der Uhr könnte daher eine Art makabrer Witz sein: „Genieß dein Leben, solange du es hast, denn du wirst als Schinken enden.“

Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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