Sechs Verlierer, die trotzdem jeder kennt

So viel Potenzial steckt im Scheitern: Die Geschichte hat zahlreiche Verlierer hervorgebracht, die trotz ihres Versagens weltberühmt sind.

Von Anna-Kathrin Hentsch
Veröffentlicht am 4. Nov. 2020, 16:06 MEZ
Verlierer, die jeder kennt

Goliath zählt zu den berühmtesten Verlierern, die trotzdem jeder kennt. Dieses Marmor-Relief an der Fassade des Mailänder Doms stellt den Sieg Davids über Goliath dar.

Foto von Renáta Sedmáková, Stock.adobe.com

Im ersten Moment erscheint die Vorstellung zu unterliegen, zu scheitern oder besiegt zu werden nicht besonders erstrebenswert. Den Kleinsten bringen wir früh bei, mit dem Verlieren umzugehen. Denn „die Erde ist ein Planet der Enttäuschungen“, leitet Wolf Schneider sein Buch „Große Verlierer“ (Rowohlt Taschenbuchverlag) ein. „(…) Während die Spezies Mensch als einsamer Sieger durch die Evolution stolziert, widerfährt dem einzelnen Erdbewohner nichts wahrscheinlicher als das Misslingen.“

Und trotzdem will keiner am Ende der Loser sein. Siegen ist da weitaus attraktiver und im besten Fall geht man in die Geschichtsbücher ein. Schuld an dem Wettlauf nach Geld, Macht, Ruhm, Ehre und Medaille ist für Schneider die Konkurrenz: „Vervielfacht hat sich der Anteil derer, die darunter leiden, dass sie keine Sieger sind - seit nämlich die Konkurrenz das Arbeitsleben, unser Denken, unser Wollen beherrscht, ja als Lebenselixier einer besseren Weltordnung gepriesen wird. Bis an die Schwelle des 20. Jahrhunderts galt es den meisten als der unabänderliche, oft als der göttliche Gang der Dinge, arm zu sein, Knecht zu sein und es zu bleiben.“

Heute aber herrscht Chancengleichheit, jeder kann der große Gewinner sein, wenn er sich denn genug anstrengt, sagt man. Doch zu siegen ist mitnichten eine Garantie für Unsterblichkeit. Die Geschichte hat gezeigt, dass es gar nicht so selten Antihelden, Unterlegene und Pechvögel sind, deren Geschichten und Namen weltweit bekannt und beliebt sind. Denn „in den großen Verlierern erkennen wir uns wieder: Sie teilen mit uns das häufigste Schicksal auf Erden.“, schreibt Wolf Schneider. „Sieger dagegen bewundern wir, Sieger hassen wir; unsere Zuneigung gewinnen sie nur manchmal, unser Mitgefühl nie. Eher sind es die Gescheiterten, die Betrogenen, die sich unsere Sympathie verdienen (…)“.

Gute Verlierer gibt es nur im Märchen, wie „Hans im Glück“, oder in den Darbietungen eines Zirkusclowns. Doch in der Realität finden sich nur selten solche, die über ihr Versagen glücklich sind. Wie verzweifelt die großen Verlierer der Geschichte waren, wissen wir nicht. Doch wir können es erahnen und fühlen bei ihrem allzu menschlichen Schicksal mit. Wolf Schneider schließt ab mit den Worten „Nichts wäre schlimmer als eine Welt voller Sieger. Es sind die Verlierer, die das Leben erträglich machen“.

Stellvertretend für all die großen Verlierer, eine kleine Auswahl:

Goliath 

Auch wenn Goliath in der biblischen Geschichte des Alten Testaments im Zweikampf gegen den späteren König Israels unterliegt, kennt doch jeder seinen Namen. Er ist nicht namenlos, der kriegerische Riese der Philister. Nachdem er tagelang lautstark einen Zweikampf gefordert hatte, wird Goliath aus der Entfernung von einem Stirnschuss aus der Steinschleuder des körperlich weit unterlegenen Hirten David getötet. Zu guter Letzt enthauptet David - ebenfalls lautstark prahlend - Goliath mit dessen Schwert. „Quelle blamage!“ will man rufen, hat doch der prahlende Riese sein Scheitern selbst provoziert. Geblieben ist trotzdem die Redensart von „David gegen Goliath“, die als Sinnbild für den möglichen Sieg der Kleinen gegen die überlegen scheinenden Großen steht.

Das Trojanische Pferd war eine List des griechischen Helden Odysseus, um die Stadt Troja einzunehmen. Auch wenn wir über den listenreichen Sieger staunen, gilt unser Mitgefühl den Verlierern der Geschichte. 

Foto von Mars Lewis, Stock.adobe.com

Troja und das Trojanische Pferd

Die Trojaner sind die selbstverschuldeten Verlierer der griechischen Mythologie. Erst provozierten sie durch die Entführung der verheirateten Helena den Trojanischen Krieg, dann unterlagen sie den Griechen nach 10-jähriger Belagerung durch einer List des griechischen Helden Odysseus: Die Trojaner gingen fälschlicherweise davon aus, dass das Trojanische Pferd ein Geschenk der Griechen an die Göttin Athene sei. Sie zogen das Pferd, in dessen hölzernem Bauch sich griechische Soldaten versteckten, in die Stadt. So konnten die Griechen die Stadtmauern Trojas überwinden und kletterten nachts aus dem Versteck, öffneten dem Heer die Tore und Troja war verloren. Auch wenn die Trojaner selbst Schuld an ihrem Schicksal hatten, fühlt man Mitleid. Immerhin handelte der verwöhnte Paris bei seiner Entführung aus Liebe, unfähig die Tragweite seines Fehlers zu erfassen. Die Reaktion der Griechen scheint für Romantiker zu grausam. Geblieben ist neben der Geschichte die Bezeichnung „Trojaner“ in der EDV-Sprache für ein schädliches Computerprogramm, dass unter Vorgeben falscher Tatsachen eingeschleust wird.

König Ludwig II.

Der Märchenkönig ist weltweit bekannt - obwohl er der (vermeintliche) Loser unter den Königen war. Schon als Kind war der spätere König Ludwig II. mehr an Kunst als an Krieg und Politik interessiert. Am liebsten wäre er im Deutschen Krieg 1866 neutral geblieben, doch die Bündnispflicht mit Österreichs zwang Bayern, in den Krieg gegen Preußen einzutreten. Das bayrische Heer unterlag. Dem König haftete das Versagen an. Noch mehr als zuvor, zog sich der König in seine Schlösser zurück, von wo aus er anfangs gewissenhaft seine Amtsgeschäfte regelte, aber auch seine romantischen Ideen und kostspieligen Baupläne verfolgte. Nach seiner Entmündigung 1886 starb er wenige Tage später unter ungeklärten Umständen im Starnberger See. Zu Lebzeiten belächelt und entmündigt, ist der Mythos um den bayrischen Märchenkönig bis heute ungebrochen, seine Bauwerke beliebte Touristenziele.

Vincent van Goghs Gemälde "Sternenlicht" gehört wie die "Sonnenblumen" zu den bekanntesten Gemälden der Welt. Zu Lebzeiten war der Künstler jedoch unbekannt, verarmt und depressiv.

Foto von pict rider, Stock.adobe.com

Vincent van Gogh 

Der niederländische Maler war in der Geschichte nicht der einzige Künstler, der zu Lebzeiten mittellos und unbekannt war. Doch „keiner aber war so vollständig von jeder Beachtung, von jeder Ermunterung abgeschnitten, solange er lebte“, schreibt Wolf Schneider. Der Autor und Journalist widmet dem Künstler Vincent van Gogh in seinem Buch „Große Verlierer“ ein eigenes Kapitel: „Aus solchen Tiefen des Elends ist nie ein anderer Mensch nach seinem Tod zu solchen Höhen des Weltruhms aufgestiegen wie der Hungerleider, Selbstausbeuter, Selbstverstümmler Vincent van Gogh, ein atemloser Flüchtling auf Erden.“ Der unstete van Gogh entdeckte erst mit 27 Jahren die Kunst als sein Talent und seine Leidenschaft. In den Jahren davor war er ständig auf der Suche, versuchte sich unter anderem als Buchhändler und freier Missionar, oft „hungernd und am Rande des psychischen Zusammenbruchs“. Finanziell abhängig von der Gunst seines jüngeren Bruders Theo entdeckte er schließlich, wozu er taugte: das Zeichnen.

Es folgten 10 produktive Schaffensjahre voller Irrungen, Depressionen, Umzügen, Exzessen in Wirtshäusern und Bordellen, sowie die Einweisung in die Nervenheilanstalt. Am 27. Juli 1890 schoss sich Vincent van Gogh auf einem Feld bei dem französischen Dorf Auvers, wo er die letzten 10 Wochen seines Lebens verbrachte, in die Brust. Zwei Tage später war er tot. Nur ein einziges seiner über 800 Werke hatte er zu Lebzeiten verkaufen können - für ein Zwanzigtausenstel von dem, was es heute wert ist. Für Schneider hängt das Scheitern des Malers zu Lebzeiten „auch mit der Kürze seines Lebens zusammen: (…) Wäre er 91 Jahre alt geworden wie Picasso, so wäre er, man denke, erst 1944 gestorben; wahrscheinlich hätte er also, ebenso wie dieser, dem träge nachhinkenden Zeitgeist Gelegenheit gegeben, ihn einzuholen, und das hieße: den eigenen Triumph noch erlebt“. Diesem genialen, vom Leben gebeutelten Maler, hätten wir es wahrlich, wie so vielen anderen, gegönnt.

Verlierer der Herzen: Der britische Skispringer Michael Edwards flog 1988 von der Schanze in die Herzen der Zuschauer, als er den letzten Platz wie einen Sieg feierte.

Foto von Orville Barlow

Eddie the Eagle

Was alles möglich ist, zeigte auch der britische Skispringer Michael Edwards, der während der Olympischen Winterspiele 1988 in Calgary als „Eddie the Eagle“ Geschichte schrieb. Der Underdog wurde von Anfang an belächelt und wenig unterstützt. Letztendlich belegte er beim Skispringen sowohl auf der Groß- als auch auf der Normalschanze den letzten Platz. Doch der Verlierer feierte die Teilnahme an den Spielen als großen Erfolg. Sein flatternder Jubeltanz nach den absolvierten Skisprüngen brachte ihm den Spitznamen „Eddie the Eagle“ ein. Optisch ein echtes Unikat, wurde er mit seiner Einstellung zum Publikumsliebling und zur Ikone, denn er lebte den olympischen Gedanken und Traum.

Dinosaurier

Mit einem Augenzwinkern landen die im wahrsten Sinne größten Verlierer der Erdgeschichte auf dem letzten freien Platz unsere Liste der Loser: die Dinosaurier. Nachdem sie fast 170 Millionen Jahre die Ökosysteme dominiert hatten, wurden sie vor 66 Millionen Jahren von den Folgen eines Asteroiden-Einschlags ausgelöscht. Der Einschlag löste gigantische Mengen Schwefel aus dem Erdgestein, die Schwefelteilchen in der Luft reflektierten das Sonnenlicht und es wurde dunkel und kalt auf der Erde. So ging den Dino-Pechvögeln langsam die Nahrung aus, denn alles Leben starb nach und nach ab. Trotz ihres schicksalhaften, unverschuldeten Untergangs kennt heute wirklich jeder ihren Namen.

Sechs Abenteurerinnen, die ihr Schicksal selbst in die Hand nahmen

loading

Nat Geo Entdecken

  • Tiere
  • Umwelt
  • Geschichte und Kultur
  • Wissenschaft
  • Reise und Abenteuer
  • Fotografie
  • Video

Über uns

Abonnement

  • Magazin-Abo
  • TV-Abo
  • Bücher
  • Newsletter
  • Disney+

Folgen Sie uns

Copyright © 1996-2015 National Geographic Society. Copyright © 2015-2024 National Geographic Partners, LLC. All rights reserved