Tod eines Legionärs: Archäologen lösen Rätsel des ältesten römischen Schienenpanzers

Am möglichen Ort der Varusschlacht haben Forscher bei Osnabrück erstmals den fast vollständigen Schienenpanzer eines römischen Soldaten ausgegraben. Vermutlich wurde dem Legionär sein eigenes Kriegsgerät zum Verhängnis.

Von Jens Voss
Veröffentlicht am 20. Nov. 2020, 13:54 MEZ

Neue Einblicke in die römische Militärtechnik: Der Kalkrieser Schienenpanzer hat keinen Armschutz. Er ähnelt eher einer Weste.

Foto von Roland Warzecha (Illustration)

Seit mehr als 20 Jahren ist Stephan Zeisler mit seinem Metalldetektor verborgenen Schätzen im Erdreich auf der Spur. Doch als die Sonde diesmal ausschlägt, ahnt er nicht, dass er eine Entdeckung gemacht hat, die Archäologen wenig später als „Jahrhundertfund“ bezeichnen werden. Denn noch ist das rätselhafte Objekt, das Zeisler an jenem Freitagnachmittag im Sommer 2018 tief im Boden der historischen Ausgrabungsstätte in Kalkriese im Osnabrücker Land aufgespürt hat, fest von Erde ummantelt.

Die starken Signale, die es aussendet, lassen seinen Puls schneller schlagen. Immerhin liegt die Fundstätte am mutmaßlichen Ort der legendären Varusschlacht – auch bekannt als Hermannsschlacht oder Schlacht im Teutoburger Wald. Mehrere Tage lang tobten die Kämpfe im Jahr 9. n. Chr., bei denen ein germanisches Heer unter Führung des Arminius („Hermann der Cherusker“) drei römische Legionen des Publius Quinctilius Varus niedermetzelte.

Einzelne Platten im ursprünglichen und restaurierten Zustand. Sogar Scharniere, Schnallen und Bronzebeschläge sind erhalten geblieben.

Foto von Museum Kalkriese, Hermann Pentermann

Sind Zeisler und das Grabungsteam tatsächlich auf ein 2.000 Jahre altes Relikt der Varusschlacht gestoßen? Vorsichtig tasten sich die Archäologen an das verhüllte Fundstück heran. Schnell wird klar: Sommerhitze und trockener Boden machen eine isolierte Bergung nahezu unmöglich. Kurzerhand entscheidet man sich dazu, einen kompletten mehr als ein Kubikmeter großen Block auszuheben, um den darin enthaltenen Fund später unter Laborbedingungen unbeschädigt ausgraben zu können.

Röntgenstrahlen entschlüsseln 2.000 Jahre altes Rätsel

Welches Geheimnis verbirgt sich darin? Röntgenuntersuchungen sollen dabei helfen, das Rätsel zu lösen. Im Frühjahr 2019 bringen Computertomographie-Aufnahmen am Fraunhofer-Institut in Fürth die Gewissheit: Das Grabungsteam vom Museum und Park Kalkriese hat den bislang ältesten und am besten erhaltenen Schienenpanzer der römischen Welt entdeckt. Seitdem wird er Stück für Stück in akribischer Kleinarbeit restauriert.

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    Ein spektakuläres Projekt – denn obwohl Schienenpanzer über Jahrhunderte zur festen Ausstattung der römischen Armee gehörten und vielfach abgebildet wurden, gibt es überraschend wenige Funde. Die bekanntesten Teile wurden im nordenglischen Corbridge entdeckt. Sie stammen aus dem zweiten Jahrhundert n. Chr. Damit sind sie erheblich jünger als der Panzer aus Kalkriese, der in der Zeit um Christi Geburt entstanden ist.

    Schienenpanzer schützten den Oberkörper der römischen Soldaten. Sie bestanden aus eisernen Metallplatten und Schienen, die sich durch Scharniere und Lederriemen miteinander verbinden und dem Träger individuell anpassen ließen. Erst unter Kaiser Augustus (63 v. Chr. bis 14 n. Chr.) setzten sie sich durch. Gegenüber dem bis dahin gebräuchlichen Kettenhemd boten sie einige Vorteile: Mit etwa acht Kilo Gewicht waren Schienenpanzer nur halb so schwer, boten aber im Kampf einen besseren Schutz vor Verletzungen. Außerdem ließen sie sich schneller und effizienter fertigen und reparieren.

    Technisch erstaunlich ausgereift

    Was aber verrät der Kalkrieser Fund über Leben und Sterben der alten Römer? Nach Worten des Archäologen Stefan Burmeister liefert er gleich in mehrfacher Sicht wichtige Erkenntnisse: Nicht nur Alter und Erhaltungszustand seien außergewöhnlich. Das Design des Schienenpanzers erlaube neue Einblicke in die römische Militärtechnik vor über 2.000 Jahren. „Er ist handwerklich und technisch bereits erstaunlich ausgereift“, so der Geschäftsführer vom Museum und Park Kalkreise.

    Restauratorin Rebekka Kuiter legt den Schienenpanzer Schicht für Schicht frei.

    Foto von Museum Kalkriese, Hermann Pentermann

    Im Gegensatz zu den gemeinhin bekannten römischen Rüstungspanzern, bei denen die Metallplatten ähnlich wie ein T-Shirt die Oberarme bedecken, hat der Kalkrieser Panzer keinen Armschutz. Er ähnelt eher einer Weste. Laut Burmeister ein Indiz dafür, dass die römischen Waffenschmiede das Panzerdesign später verändert haben müssen. Sieben der insgesamt 30 Panzerplatten konnten inzwischen freigelegt und restauriert werden.

    Ein extrem aufwändiges Unterfangen, wie Burmeister erläutert: „Die einzelnen Platten sind stark korrodiert und über die vielen Jahre wie eine Ziehharmonika im Erdreich ineinandergeschoben worden.“ Verantwortlich für die Restaurierungsarbeiten im Museum und Park Kalkriese ist Rebekka Kuiter. „Trotz der schlechten Erhaltungsbedingungen durch den sauren und sandigen Boden in Kalkriese ist der Schienenpanzer in seiner Komplexität relativ gut erhalten“, erklärt sie. Scharniere, Schnallen und die Bronzebeschläge seien gut erkennbar. „Und wir haben sogar organische Bestandteile, wie Reste von Leder.“

    Gefesselt mit der eigenen Halsgeige

    Sie wurde dem römischen Legionär zum Verhängnis: Die Halsgeige vor der Restaurierung.

    Foto von Museum Kalkriese, Rebekka Kuiter

    Doch nicht nur der Schienenpanzer selbst sorgt für Aufsehen: Auf Schulterhöhe des Panzers habe das Grabungsteam eine so genannte Halsgeige gefunden, ergänzt Burmeister. Mit diesem typischen römischen Kriegswerkzeug fesselten Legionäre die Hände ihrer Gefangenen am Hals. Das Nebeneinander von Schienenpanzer und Halsgeige in Kalkriese lasse indes vermuten, dass hier ein römischer Soldat mit seinem eigenen Unterwerfungssymbol von den germanischen Siegern gefesselt wurde.

    „Der Schienenpanzer ist damit nicht bloß ein einzigartiges archäologisches Fundstück, sondern ebenfalls Teil einer tragischen Szene, die sich hier abbildet“, sagt Burmeister. „Wir sehen neben all den bisherigen römischen Funden vom Schlachtfeld erstmals ein individuelles Schicksal auf dem Fundplatz Kalkriese, das die schreckliche Seite des Krieges zeigt.“

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    Dass der römische Legionär, dessen eigene Halsgeige ihm offenbar selbst zum Verhängnis wurde, tatsächlich in der Varusschlacht starb, ist damit allerdings nicht bewiesen. Bis heute gibt es verschiedene Theorien über den historischen Schauplatz der Schlacht. Vieles spricht für Kalkriese. Seit 1989 finden dort archäologische Ausgrabungen statt. Bislang haben Forscher rund 7.000 römische Funde freigelegt: darunter Waffen und andere militärische Ausrüstungsteile. Doch sie könnten auch aus anderen Kämpfen stammen. Die Spurensuche geht weiter.

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