Größer als eine Giraffe: In China wurden die fossilen Überreste eines gigantischen Nashorns gefunden
Vor etwa 26,5 Millionen Jahren wanderte das neuentdeckte Riesennashorn durch das Hochland von Tibet. Aufgrund seines Schädelbaus wird vermutet, dass es, ähnlich dem modernen Tapir, über einen kurzen Rüssel mit Greiffunktion verfügte.
Die zerklüftete Weite einer Steppe, so hoch oben, dass sie fast an den Himmel stößt, vor dem Panorama des alles überragenden Himalayas – das ist das heutige tibetanische Hochland. Doch vor 26,5 Millionen Jahren gab es in dieser Region vereinzelte feuchte Wälder, die einem ganz anderen hochgewachsenen Protagonisten Schutz und Heimat boten: einem der größten Säugetiere, das jemals auf unserer Erde wandelte.
Die lange ausgestorbene Art namens Paraceratherium linxiaense, über deren Neuentdeckung die wissenschaftliche Zeitschrift „Communications Biology“ im Juni 2021 berichtete, hat noch einen lebenden Verwandten: das moderne Nashorn. Doch die Unterschiede zwischen den beiden sind eklatant: Das tertiäre Riesennashorn wog bis zu 24 Tonnen und war damit viermal so schwer wie ein moderner Elefant. Allein sein Schädel war fast einen Meter lang.
P. linxiaense ist das neueste Mitglied einer Gruppe von riesigen, hornlosen Nashörnern, die vor 23 Millionen bis 50 Millionen Jahren in Zentralasien beheimatet und alle wahre Giganten waren. Die ausgewachsenen Tiere erreichten im Schnitt eine Schulterhöhe von fast fünf Metern, ihre Hälse waren länger als zwei Meter, gekrönt von einem gigantischen Schädel. Zum Vergleich: die heutigen Giraffen erreichen Größen von vier bis fast sechs Metern – addiert man Körper- und Halslänge.
Würden diese Riesennashörner heute noch leben, sie „könnten problemlos die Blumen aus einem Balkonkasten im dritten oder vierten Stock fressen“, sagt National Geographic Explorer Pierre-Olivier Antoine, ein auf Nashörner spezialisierter Paläontologe an der Universität in Montpellier, Frankreich, der an der Review der neuen wissenschaftlichen Arbeit mitgewirkt hat.
Existiert hat die neuentdeckte Spezies vor etwa 26,5 Millionen Jahren. Damit ist sie eine der letzten aus der Gattung Paraceratherium, in der die prähistorischen Riesennashörner zusammengefasst sind. Alter und Fundort der neuen Fossilien – unter anderem ein vollständiger Schädel und drei Wirbel – versorgen Forscher mit wichtigen Informationen, die sie brauchen, um den Paraceratherium-Stammbaum zu vervollständigen. Außerdem liefern sie neue Hinweise zur Entwicklung der Riesennashörner und ihrer Verbreitung über das Gebiet des heutigen Kontinentalasiens.
Paraceratherium linxiaense - Gigant der Urzeit
Fossile Funde dieser Gattung sind selten und oft nur bruchstückhaft, was die Erforschung ihrer Entwicklung und Verbreitung stark erschwert. Ihre Heimat scheint, zumindest für den größten Teil ihrer Zeit auf Erden, Zentralasien gewesen zu sein. Doch die erste Art von Paraceratherium, die jemals gefunden wurde, P. bugtiense, war in einem Gebiet zu Hause, das heute im Westen Pakistans liegt. Die Frage ist also: Wie genau hat das Riesennashorn den weiten Weg auf den indischen Subkontinent zurückgelegt?
Ein Forschungsteam unter der Leitung von Tao Deng, einem auf Säugetiere spezialisiertem Paläontologen am Institut für Wirbeltierpaläontologie und Paläoanthropologie der Chinesischen Akademie der Wissenschaften in Beijing, fand heraus, dass die neue Spezies P. linxiaense eng mit der pakistanischen Art P. bugtiense verwandt war – was insgesamt auf einen Ursprung des Nashorns in Pakistan hinweist.
Die neuen Fossilien fanden Deng und sein Team im braunen Sandstein des Linxia-Beckens in Zentral-China. Die Sedimentschichten sind hier teilweise fast 2.000 Meter dick – sie, und die in ihnen versteckten Fossilien versteinerter Urzeitkreaturen, die einst in dieser Region lebten, haben viel über die Erdgeschichte der letzten 30 Millionen Jahre zu erzählen.
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In den 1950er Jahren berichteten Bauern aus der Gegend, „Drachenknochen“ gefunden zu haben. Eine Zeitlang wurden diese Funde an Medikamentenfirmen verkauft, die sie für die Herstellung traditioneller chinesischer Medizin benutzen. In den 1980ern stellten Paläontologen fest, dass im Boden der Region wissenschaftlich wertvolle Fossilien aus dem Oligozän zu finden waren, also aus einer Zeit von vor 23 Millionen bis 28 Millionen Jahren.
Seither erforschen die Paläontologen des Instituts für Wirbeltierpaläontologie und Paläoanthropologie aus Beijing die Felsen des Linxia-Beckens und das umfangreiche Spektrum unterschiedlicher Fossilien, das hier zu finden ist.
Im Mai 2015 stießen Deng und seine Kollegen auf einen besonders seltenen Fund in der Nähe des Dorfes Wangjiachuan: Den mehr als einen Meter langen Schädel eines Riesennashorns inklusive Unterkiefer sowie drei Wirbel anderer Exemplare derselben Art. Als die Forscher die 26,5 Millionen Jahre alten Knochen sahen, waren Zustand und Größe „eine große Überraschung für uns“, so Deng.
Basierend auf den Gemeinsamkeiten mit dem bereits bekannten Riesennashorn aus Pakistan, gab der neue Fund Anlass zu der Annahme, dass Paraceratherium sich vor 30 Millionen bis 35 Millionen Jahren frei auf dem indischen Subkontinent und in Zentralasien bewegt haben und dabei tausende Kilometer zurückgelegt haben müssen. Das damals herrschende tropische Klima „hat es dem Riesennashorn ermöglicht, Richtung Norden nach Zentralasien zurückzukehren – was darauf hindeutet, dass das Gebiet des heutigen Tibets damals noch auf derselben Höhe lag, wie jetzt“, schreibt Deng in einer E-Mail. Tatsächlich gibt es geologische Hinweise darauf, dass manche Regionen in dem beschriebenen Gebiet bis vor etwa 25 Millionen Jahren noch tiefer lagen.
Dem Riesennashorn auf der Spur
Der französische Paläontologe Antoine erklärt, dass dank der neuen Ergebnisse geographischen Muster sichtbar werden könnten, die die Wanderbewegungen der Riesennashörner auf der urzeitlichen Erde gelenkt haben. Teil der wissenschaftlichen Arbeit ist auch ein Katalog, in dem fossile Funde von Paraceratherium verzeichnet sind. Die enthaltenen Informationen deuten zum Beispiel darauf hin, dass die Gattung nie den Ural von Asien nach Europa überquert hat – vermutlich, weil die Gebirgsketten ein zu großes Hindernis darstellten.
Eine weitere Frage bleibt offen: Wie kamen die riesigen Tiere in das Gebiet der heutigen Türkei – denn auch hier gab es Fossilienfunde. Laut Antoine gibt es dazu Vermutungen. Man glaubt, dass die Riesennashörner nach ihrem Aufenthalt in Pakistan das heutige Afghanistan und den Iran durchquerten, um schließlich die heutige Türkei zu erreichen. Die Funde, die das belegen, sind im Katalog allerdings nicht aufgeführt.
Leider sind jedoch die Fossilien, die diese Geschichte genauer erzählen könnten, für die Wissenschaft für immer verloren: Eine Sammlung von 300 Exemplaren – darunter auch Überreste von Paraceratherium, die unter Antoines Mithilfe in Pakistan gesammelt worden waren – wurde 2006 komplett zerstört, als die pakistanische Armee im Zuge des Unabhängigkeitskonflikts mit Belutschistan die Stadt Dera Bugti bombardierte. Im selben Jahr wurde der mächtige Stammesfürst und Anführer der Bugti, Nawab Akbar Bugti, während eines Gefechts mit pakistanischen Sicherheitskräften durch eine Explosion getötet. Bugti war wichtiger Kontakt und Schutzperson für die Paläontologen, die in der Region arbeiteten.
Die Knochen von P. linxiaense liegen sicher im Chinesischen Paläozoologischem Museum von Hezheng in der Gansu-Provinz. Von der weiteren Erforschung der Fossilien erhofft sich Deng die Rekonstruktion der Muskeln des Tieres und eine genauere Einschätzung der Körpermasse.
Er fügt hinzu, dass jetzt, da es Hinweise darauf gibt, dass das Riesennashorn das heutige tibetanische Hochland durchquert hat, dort mehr Fossilienfunde verzeichnet werden könnten. Ein Hochhaus von einem Tier, begraben an einem Ort, den man heute das Dach der Welt nennt.
Dieser Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.
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