Rätselhafter Fund im Moor: Das ist der älteste Schuh Norddeutschlands

Neben einem Weg, den seit über 2000 Jahren niemand mehr gegangen ist, liegt ein Schuh, den sein Träger vor ebenso langer Zeit im Moor verloren hat. Welche Geschichte steckt hinter dem wohl ältesten Schuh Norddeutschlands?

Von Isabella Neber
Veröffentlicht am 21. Sept. 2021, 10:15 MESZ
2000 Jahre alter Lederschuh im Moorboden

Ein seltenes Fundstück: Der Lederschuh ist 2000 Jahre alt und sehr gut erhalten.

Foto von M. Heumüller, NLD

Bei einem Grabungsprojekt im Landkreis Diepholz (Niedersachsen) fanden Archäologen bereits im Juni 2021 einen über 2000 Jahre alten und sehr gut erhaltenen Lederschuh. Der Fundort und weitere Fundstücke in unmittelbarer Nähe des Schuhs liefern Hinweise darüber, wie sein Träger den Schuh vor über 2000 Jahren verloren habe könnte.

Stecken geblieben im Hochmoor?

Gefunden wurde der Lederschuh bei Grabungen in einem Moorgebiet zwischen den Städten Diepholz und Lohne in Niedersachsen. Bis ins 17. Jahrhundert hinein war das heutige Niedersachsen zu einem großen Teil von Moorfläche bedeckt. Erst dann begann man, die Hochmoore planmäßig zu entwässern.

Schon seit 2019 finden hier Ausgrabungen rund um die Bohlenwege statt, die Menschen dort schon in vorgeschichtlicher Zeit angelegt hatten, um die Moorgebiete sicher durchqueren zu können. In Niedersachsen sind über 500 solcher Bohlenwege bekannt, die heute im Idealfall von einer bis zu mehrere Meter hohen Torfschicht bedeckt werden. Der älteste Bohlenweg konnte auf das Jahr 4600 v.Chr. datiert werden.

Das Moorgebiet zwischen Diepholz und Lohne, in dem der Schuh neben einem solchen Bohlenweg gefunden wurde, weist auch heute noch eine Besonderheit auf: „Das Moor ist in Nord-Süd-Richtung etwa 50 Kilometer lang, aber in Ost-West-Richtung an einer Stelle nur zwei bis drei Kilometer breit“, erklärt Moorarchäologin Dr. Marion Heumüller gegenüber NATIONAL GEOGRAPHIC. An dieser Stelle haben Menschen daher immer wieder Bohlenwege angelegt, über die sie den weiten Weg um das Moor abkürzen konnten. Da die Holzbohlen im nassen Moorboden jedoch faulten oder von Torfmoosen überwachsen wurden, waren die Wege meist nur für einige Jahrzehnte begehbar.

Der Bohlenweg wurde Stück für Stück sorgfältig freigelegt.

Foto von M. Heumüller, NLD

Die Grabungen am Bohlenweg Pr 6

Eine Besonderheit stellt der Bohlenweg Pr 6 dar, neben dem der Lederschuh gefunden wurde. Im Gegensatz zu den meisten anderen Bohlenwegen verläuft er nicht an der kürzesten Wegstrecke über das Moor. Ursprünglich war er über vier Kilometer lang. „Das war damals eine unheimliche Bauleistung“, erklärt die Moorarchäologin. Viel Holz und Arbeitseinsatz war notwendig, um diesen langen Weg über das Moor zu bauen. Dendrochronologische Untersuchungen erlauben eine jahrgenaue Bestimmung, wann die Bäume gefällt wurden, aus denen die Bohlen für den Weg stammen. Die Untersuchungen ergaben, dass der Bohlenweg in der späten vorrömischen Eisenzeit um das Jahr 46 v. Chr. angelegt wurde.

Archäologische Ausgrabungen in Moorgebieten habe eine Besonderheit: „Alles ist sehr weich und muss mit den Händen freigelegt werden. Würden wir Werkzeuge verwenden, hätten Fundstücke sofort eine Schramme“, so Dr. Heumüller. Aufgeteilt in mehrere Wegabschnitte wurde im Rahmen des Projekts jede Bohle des Bohlenwegs Pr 6 einzeln freigelegt, ebenso wie der Boden in einem Bereich von zwei Metern rechts und links vom Weg. Denn die Archäologen wissen: spannende Funde liegen oft am Wegesrand.

Unmittelbar neben dem Weg wurde auch der Lederschuh gefunden. „Unser örtlicher Grabungsleiter selbst ist auf den Schuh gestoßen, als er sorgfältig mit den Händen den Torfboden freigelegt hat“, berichtet Dr. Heumüller. Der Schuh steckte ein wenig tiefer im Moorboden als der Weg – sein Besitzer muss also den Weg verlassen haben und ins Moor getreten sein. Ein weiteres Fundstück in unmittelbarer Nähe könnte sein Handeln erklären.

Denn neben dem Schuh haben die Archäologen das Bruchstück einer Wagenachse gefunden. „Wir wissen, dass der bis zu 2,5 Meter breite Weg auch mit dem Wagen befahren wurde. Innerhalb der freigelegten 500 Meter Wegstrecke ist dies aber der einzige Fund, der sicher ein Bruchstück von einem Wagen ist“, erklärt Marion Heumüller. Die Archäologen gehen davon aus, dass der Schuh im Zuge eines Unfallgeschehens im Moor stecken geblieben ist.

„Bei dem Fundstück handelt es sich um einen praktischen Schuh, der aber durchaus sorgfältig hergestellt wurde“, so Heumüller. Er besteht aus verschiedenen Laschen und Schlaufen aus Leder, die über dem Fußspann zusammengebunden wurden. 

Weitere Untersuchungen am Schuh stehen noch aus – dann wird man auch sagen können, welche Schuhgröße sein Träger hatte und ob es sich um den rechten oder linken Schuh gehandelt hat. Warum sein Träger ihn im Moor zurückgelassen hat, wird ein Geheimnis bleiben.

Die Ausgrabungsstätte liegt in einem Torfabbaugebiet.

Foto von H. Furs, denkmal3D

Historische Bohlenwege liegen im Torfabbaugebiet

Der einst über vier Kilometer langen Bohlenweg Pr 6 ist schon seit etwa 200 Jahren bekannt, wurde jedoch durch Kultivierung und Torfabbau bereits zu einem großen Teil zerstört. Bevor nun auch der letzte Abschnitt des Weges im Zuge des Torfabbaus verloren gehen konnte, startete im Jahr 2019 das dreijährige Projekt „Naturerlebnis am prähistorischen Bohlenweg im Aschener/Heeder Moor“. Das Projekt wird vom Verein „Naturpark Dümmer“ getragen und mit Mitteln des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und weiteren Förderern finanziert.

Im Rahmen des Projekts haben Archäologen des Niedersächsischen Landesamts für Denkmalpflege gemeinsam mit der Grabungsfirma denkmal 3D ein erhaltenes Wegstück von 520 Metern ausgegraben. „Eine so lange Wegstrecke ist seit Jahrzehnten nicht mehr ausgegraben worden“, erklärt Moorarchäologin Marion Heumüller. Eine Besonderheit des Projekts war auch die sorgfältige Dokumentation. Durch zwei verschiedene Verfahren wurde der gesamte Wegabschnitt, jede Holzbohle und jedes Fundstück freigelegt und dreidimensional dokumentiert.

Vergangenheit erlebbar machen: Die Moorloipe

Die Ergebnisse der Ausgrabungen sollen nun entlang einer Moorloipe erlebbar gemacht werden. Parallel zum alten Bohlenweg entsteht ein etwa ein Kilometer langer und barrierefrei zugänglicher Infopfad. Besucher können sich auf Erklärungstafeln über die archäologischen Funde und die ökologische Bedeutung des Moores informieren. Die Moorloipe läuft auf eine nicht abgetorfte Moorfläche zu. Von einem Aussichtsturm wird man diese „Heile-Haut-Fläche“ des Moores überblicken können, die den Bohlenweg und viele weitere Fundstücke aus vergangener Zeit so viele Jahre lang unter sich begraben und konserviert hat.

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