Das Alte Ägypten in Farbe: Die prächtigen Deckenbilder des Tempels von Esna

Deutsche und ägyptische Forscher haben im Chnum-Tempel in der oberägyptischen Stadt Esna eine Reihe farbenprächtiger Deckenbilder freigelegt. Die aufwändige Restaurierung des Bauwerks zeigt, wie bunt das Alte Ägypten war.

Von Katarina Fischer
Veröffentlicht am 20. Mai 2022, 14:53 MESZ
Den zentralen Deckenbereich des Chnum-Tempels schmücken fliegende Geier. Dahinter ist der restaurierte nördliche Querbalken mit seinen ...

Den zentralen Deckenbereich des Chnum-Tempels schmücken fliegende Geier. Dahinter ist der restaurierte nördliche Querbalken mit seinen aufgemalten Inschriften zu sehen.

Foto von Ahmed Emam / Ministry of Tourism and Antiques

Im 2. Jahrhundert v. Chr., unter der Herrschaft der Pharaonen Ptolemaios VI. und Ptolemaios VIII., entstand 200 Meter westlich des Nilufers in der heutigen oberägyptischen Stadt Esna der Tempel von Chnum. Geweiht war er dem widderköpfigen altägyptischen Schöpfergott Chnum. Doch auch dessen Gemahlin Menhit, die Stadtgöttin Nebetuu und die Götter Heka und Neith wurden mit dem Bauwerk verehrt.

Die Vorhalle des Tempels – der sogenannte Pronaos – wurde spätestens im 1. Jahrhundert n. Chr. von den Römern vor das eigentliche Tempelgebäude gesetzt und dürfte dieses sichtbar überragt haben. Der Vorbau führte in einen Säulensaal, hinter dem sich – umgeben von einer mit Reliefs verzierten Umfassungsmauer – das Heiligtum des Chnums befand. 

Von dem Tempel in Esna ist nur noch die Vorhalle – der sogenannte Pronaos – erhalten. Der Sandsteinbau hat eine Länge von 37 Metern, ist 20 Meter breit und 15 Meter hoch und wurde spätestens unter dem römischen Kaiser Claudius (41–54 n. Chr.) vor das eigentliche Tempelgebäude gesetzt.

Foto von Ahmed Emam / Ministry of Tourism and Antiques

Doch die Nähe zum Nil wurde dem Tempel zum Verhängnis: Die durch die jährlichen Hochwasser des Flusses verursachten Überschwemmungen ließen die Anlage allmählich im Schlick versinken. Als die Franzosen Ende des 18. Jahrhunderts auf Napoleons Ägyptenfeldzug in Esna ankamen, reichte der durch Schlick angehobene Boden bereits bis an die oberen Enden der Tempelsäulen. Sie gruben die Säulenhalle des Pronaos teilweise aus, erste wissenschaftliche Grabungen fanden Mitte des 19. Jahrhunderts unter dem französischen Ägyptologen Auguste Mariette statt.  

Heute ist die von 24 Säulen gestützte und mit einem intakten Dach versehene Vorhalle des Tempels der einzige noch verbliebenen Teile der einstigen Anlage und ein wichtiger Anziehungspunkt für Touristen – sowie Archäologen.

Auch den Säulen des Pronaos im Tempel von Esna wird nach und nach die Farbe zurückgegeben. Die oberen Enden – die sogenannten Kapitelle – konnten bereits restauriert werden.

Foto von Ahmed Emam / Ministry of Tourism and Antiques

Reliefs und Inschriften

So arbeiten seit dem Jahr 2018 Forschende des Instituts für Alte Kulturen des Orients an der Universität Tübingen und des ägyptischen Ministeriums für Tourismus und Altertümer vor Ort daran, die Reliefs, Malereien und Inschriften des Tempels freizulegen und die ursprünglichen Farben sichtbar zu machen. „Tempel und Götterdarstellungen des Altertums waren oft mit leuchtenden Farben bemalt, die aber durch äußere Einflüsse meistens verblasst oder vollständig verschwunden sind“, erklärt Christian Leitz, Ägyptologe an der Universität Tübingen. Die Farben des Tempels von Esna lagen fast 2.000 Jahre unter einer Schicht aus Schmutz und Ruß verborgen, die diese für die Nachwelt konserviert hat.

Bei den jetzt freigelegten Bildern an der Tempeldecke handelt es sich Leitz zufolge um Darstellungen der oberägyptischen Kronengöttin Nechbet und der unterägyptischen Kronengöttin Wadjet. In ihrer Farbenpracht übertreffen sie alle bisher gefundenen vergleichbaren Bildwerke. „Das Bildprogramm des Tempels ist hinsichtlich des Reichtums der Darstellungen und des Erhaltungszustands der Farben einzigartig“, sagt der Tübinger Wissenschaftler Daniel von Recklinghausen.

Die Tübinger Wissenschaftler wollen nun mit der Gesamtübersetzung der Hieroglyphen des Esna-Tempels beginnen und die Zusammenhänge der verschiedenen Inschriften und Darstellungen im Inneren des Bauwerks ergründen.

Bei den reliefartig ausgeführten Bildern des mittleren Deckenabschnitts handelt es sich um insgesamt 46 Darstellungen der Kronengöttinnen Nechbet und Wadjet. Während Nechbet einen Geierkopf und die oberägyptische Krone trägt, ist Wadjet an der unterägyptischen Krone erkennbar, die auf dem Kopf einer Kobra sitzt.

Foto von Ahmed Emam / Ministry of Tourism and Antiques

Mehr als die Hälfte der Decken und acht der 18 Säulen konnten bislang gesäubert, konserviert und dokumentiert werden. Darüber hinaus wurden die beiden Architrave des mittleren Deckenabschnitts vom Ruß befreit. „Damit lassen sich erstmalig sämtliche Dekorationselemente zueinander in Beziehung setzen“, sagt Christian Leitz.

Foto von Ahmed Emam / Ministry of Tourism and Antiques

Detail einer verzierten Säule im Tempel von Esna. Schon zu Napoleons Zeiten erregte der Pronaos in Fachkreisen große Aufmerksamkeit, da man ihn als Idealbeispiel altägyptischer Tempelarchitektur betrachtete.

Foto von Ahmed Emam / Ministry of Tourism and Antiques
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