Warum niemand die Arche Noah finden wird

Seit über einem Jahrhundert suchen Menschen nach dem Schiff aus dem Alten Testament, das die Sintflut überstand. Archäologen kritisieren die Mission und das falsche Verständnis ihrer Wissenschaft.

Von Erin Blakemore
Veröffentlicht am 28. Nov. 2022, 09:49 MEZ
Gemälde der Arche Noah.

Die Geschichte der Arche Noah, hier dargestellt auf einem Gemälde von Simon de Myle, hat unzählige Generationen von Künstlern inspiriert – und eine jahrhundertelange Suche nach den Überresten des legendären Schiffs aus dem Alten Testament ausgelöst.

Foto von Painting by Simon de Myle via Fine Art Images, Heritage Images, Getty

Die Geschichte der Arche Noah ist eine der bekanntesten und fesselndsten des Alten Testaments. Ihr zufolge bereute Gott, die Menschen erschaffen zu haben, und strafte sie mit einer großen Flut, die sie alle vom Angesicht der Erde waschen sollte. Mit einer Ausnahme: Gott warnte den ehrenwerten Noah vor der anstehenden Katastrophe und gab ihm die Aufgabe, ein riesiges Schiff aus Holz zu bauen, auf dem er mit seiner Familie und einem Paar jeder Tierart die Sintflut überstehen sollte: die Arche.

Einige, die den Bibeltext als Bericht tatsächlicher historischer Ereignisse verstehen, hat er dazu inspiriert, sich auf die Suche nach archäologischen Spuren des Holzschiffs zu machen. Sie vermuten sie auf dem armenischen Berg Ararat, dessen Hänge und Umgebung darum zu einem Anziehungspunkt für Gläubige mit der Mission geworden sind, Überreste der Arche zu finden.

Zu ihnen gehört auch der britische Anwalt und Politiker James Bryce, der im Jahr 1876 den Berg bestieg. Er fand dort ein Stück Holz, das „alle Voraussetzungen für diesen Fall“ erfüllte und von dem er sich sicher war, dass es von der Arche stammte. Seitdem gibt es regelmäßig Berichte über Arche-Funde: In den Vierzigerjahren behauptete ein Augenarzt, er hätte das Schiff in einer Felsformation oberhalb des Berges entdeckt. In den frühen 2000ern war es ein evangelikaler Pastor, der sagte, er hätte auf dem Gipfel des Ararat versteinertes Holz gefunden, aus dem einst die Arche gebaut worden sein sollte.

Ein Hirte und seine Schafherde in der Nähe des Berges Ararat in der Osttürkei. Viele Menschen haben an seinen Hängen nach Hinweisen auf die Arche gesucht, obwohl diese laut dem Buch Genesis in einem noch nicht identifizierten Gebirgszug in Westasien angelandet sein soll.

Foto von John Stanmeyer, Nat Geo Image Colllection

Bei Archäologen und Bibelwissenschaftlern lösen derartige Expeditionen Verärgerung und sogar Verachtung aus. „Kein seriöser Archäologe würde so etwas tun“, sagt Jody Magness, Archäologin an der University of North Carolina in Chapel Hill und National Geographic Explorer. „Archäologie ist keine Schatzsuche, bei der es darum geht, ein bestimmtes Objekt zu finden. Sie ist eine Wissenschaft, der Forschungsfragen zugrunde liegen, die wir versuchen, mithilfe von Ausgrabungen zu beantworten.“

Gab es die Sintflut wirklich?

Erwähnungen von alles zerstörenden Fluten und denen, die sie überlebt haben, gab es schon vor dem Alten Testament, das Schätzungen zufolge im 8. Jahrhundert v. Chr. niedergeschrieben worden sein soll. Auch in mesopotamischen Texten tauchen Legenden von Sintfluten auf, mit denen übernatürliche Gottheiten die menschliche Zivilisation auslöschen wollen: Im Gilgamesch-Epos aus dem 2. Jahrtausend v. Chr. ebenso wie auf einer babylonischen Platte aus dem Jahr 1750 v. Chr., die erst kürzlich entziffert wurde und in Keilschrift den Bau einer Arche beschreibt.

BELIEBT

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    Sintflut- und Archeberichte, die denen des Alten Testaments sehr ähnlich sind, finden sich bereits im Gilgamesch-Epos aus dem frühen 2. Jahrtausend v. Chr., das über tausend Jahre älter ist als die biblischen Berichte.

    Foto von CM Dixon, Print Collector, Getty

    Doch liegt diesen Mythen ein tatsächliches Ereignis zugrunde? „Es gibt geologische Hinweise auf eine große Flut, die vor etwa 7.500 Jahren in der Schwarzmeerregion stattgefunden hat“, sagt Eric Cline, Archäologe an der George Washington University in Washington, D.C. und National Geographic Explorer. Forschende sind sich bezüglich des Ausmaßes dieses Ereignisses jedoch uneins und es gibt unter Historikern unterschiedliche Meinungen dazu, ob die Berichte von Sintfluten auf wahren Begebenheiten beruhen. Am wahrscheinlichsten scheint es, dass es zu verschiedenen Zeiten an verschiedenen Orten zu Flutereignissen kam, die dann Einzug in mündlich und schriftlich überlieferte Erzählungen gehalten haben.

    Problematisch ist außerdem, dass Gelehrte sich hinsichtlich des genauen Ortes, an dem die Arche Noah der hebräischen Bibel zufolge angelandet sein soll, nicht einigen können. Laut dem Buch Genesis befindet sich die Stelle „auf den Bergen des Ararats“ im Urartäischen Reich. Erwähnt ist also nicht der eine Berg, der heute diesen Namen trägt, sondern ein ganzes Gebiet, das Armenien sowie Teile der östlichen Türkei und des Irans einschließt.

    „Wir haben keine Möglichkeit, konkret zu bestimmen, welcher Teil des ursprünglichen Nahen Ostens gemeint ist“, sagt Magness.

    Sie und Eric Cline sind sich einig: Selbst, wenn Artefakte der Arche gefunden werden oder bereits gefunden wurden, ist es unmöglich, diese sicher einem historischen Ereignis zuzuordnen.

    „Wir können weder Noah noch die Sintflut – vorausgesetzt es hat beide wirklich gegeben – in einen zeitlichen oder räumlichen Kontext bringen“, erklärt Magness. „Das ginge nur, wenn uns eine authentische, altertümliche Inschrift dazu vorläge.“ Und wäre dies der Fall, bestehe trotzdem die Möglichkeit, dass eine solche Inschrift sich auf einen anderen Noah oder eine andere Flut bezieht.

    All das tut jedoch der Verbreitung von Pseudoarchäologie, welche die Bibel als Tatsachenbericht interpretiert, keinen Abbruch. Unterstützer findet sie vor allem bei den Anhängern des Junge-Erde-Kreationismus, die trotz gegenteiliger Beweise davon überzeugt sind, dass die Erde erst wenige Tausend Jahre alt ist.

    Wissenschaft unter dem Einfluss der Bibel

    Gruppen wie sie nutzen säkulare archäologische Befunde, um ihre wörtliche Auslegung der Bibel zu untermauern. Dabei ignorieren sie mehr oder weniger gegenteilige und widersprüchliche Beweise. Zu denen, die sich auf diese Weise mit wissenschaftlichen Fragen auseinandersetzen, zählt zum Beispiel die evangelikale apologetische Organisation Answers in Genesis mit Sitz in Petersburg, Kentucky. Sie betreibt einen Vergnügungspark, der die Arche Noah zum Thema hat.

    „Wir erwarten nicht, dass nach 4.350 Jahren noch Überreste der Arche existieren oder gefunden werden“, sagt Andrew A. Snelling, Geologe und Forschungsleiter bei Answers in Genesis, der sich seit Jahrzehnten bemüht, zu beweisen, dass die Erde noch jung ist.

    Damit ist die Grenze der Schnittmenge mit der Archäologie bereits erreicht. Spätestens bei der Frage, warum bisherige Suchen erfolglos waren, gehen die Ansichten unüberbrückbar weit auseinander. „Als Noah und seine Familie die Arche verlassen konnten, gab es keine ausgewachsenen Bäume, aus deren Holz sie sich Unterkünfte hätten bauen können“, erklärt Snelling. „Darum nutzen sie das Holz der Arche, die sie ja jetzt nicht mehr brauchten, als Baumaterial.“

    Die Organisation schließt nicht aus, dass eines Tages Artefakte der Arche gefunden werden. Sollte dieser Fall jedoch eintreten, würden die „fragwürdigen Behauptungen der Arche-Sucher das Potenzial, das eine echte Entdeckung hätte, schon heute beschädigen“, so Snelling.

    Jody Magness zufolge, die derzeit Ausgrabungen an einer spätrömischen Synagoge in Galiläa im Norden Israels leitet, ist die Suche nach der Arche für die Öffentlichkeit nicht nur verwirrend: Sie hemmt auch die Freude über tatsächliche archäologische Funde, die die Bibel stützen – so wie etwa den Beleg für die Existenz des „Haus Davids“.

    „Wir wissen bereits viel über die biblische Welt und sie ist sehr interessant“, sagt sie.

    „Wir sind nicht wie Indiana Jones.“

    Laut Eric Cline sind die unrealistischen Erwartungen, die die Öffentlichkeit an die Archäologie hat, Teil des Problems – ebenso wie ihre Darstellung in den Medien, die den Schwerpunkt auf die spannende Suche und nicht auf das langwierige Sammeln archäologischer Informationen legt. „Wir sind nicht wie Indiana Jones“, sagt er. „Unsere Arbeit ist ein akribischer, wissenschaftlicher Prozess – und was uns in Aufregung versetzt, ist nicht zwingend auch für Außenstehende interessant.“

    Früher, so Cline, hätte er viel Zeit und Energie darauf verwendet, um die angeblichen biblischen Beweise zu widerlegen, die die Öffentlichkeit immer wieder in ihren Bann gezogen haben. Irgendwann hat er damit aufgehört und nutzt seine Ressourcen nun lieber für seine Expeditionen und für die Übersetzung seiner Forschungsergebnisse für diejenigen, die sie als Resultate eines wissenschaftlichen Prozesses schätzen. „Die Leute werden immer glauben, was sie glauben wollen“, sagt er.

    Weil sich das auf lange Sicht nicht ändern wird, konzentriert er sich jetzt auf die Ausgrabung eines kanaanäischen Palastes aus dem 18. Jahrhundert v. Chr. in Tel Kabri im nördlichen Israel. Hier soll im kommenden Sommer ein bemalter Steinboden aus alttestamentarischer Zeit freigelegt werden. „Für uns hat dieser Boden eine enorme Bedeutung, weil er Hinweise auf internationale Verbindungen und Kontakte vor fast 4.000 Jahren liefern kann“, erklärt Cline.

    „Es ist nicht die Arche Noah, sondern nur ein bemalter Fußboden“, sagt er, „aber mir reicht das völlig.“

    Dieser Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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