Wo fand die Varusschlacht statt? Neue Indizien sprechen für Kalkriese
Seit Jahrhunderten wird nach dem Ort gesucht, an dem die Römer im Jahr 9 n. Chr. den Germanen unterlagen. Der metallurgische Fingerabdruck römischer Artefakte liefert nun neue Hinweise.
Der serbische Maler Paja Jovanović schuf diese Darstellung der Varusschlacht im Jahr 1883 und verortete sie im Teutoburger Wald. Wo die historische Niederlage der Römer wirklich stattfand, ist bis heute ungeklärt.
Sie war eines der wichtigsten Ereignisse in der Entwicklungsgeschichte Germaniens – und laut dem Altertums-Historiker Theodor Mommsen ein Wendepunkt der Weltgeschichte: die Varusschlacht. Als in der zweiten Hälfte des Jahres 9 n. Chr. drei römische Legionen unter der Führung des Feldherren Publius Quinctilius Varus auf das germanische Heer des Cheruskerfürsten Arminius trafen, erlebten sie nach mehrtägigem Gefecht eine katastrophale Niederlage. Diese markierte das Ende der Bestrebungen, Germanien zu einer Provinz des Römischen Reichs zu machen, dessen Gesamtheer bei den Kämpfen zu einem Achtel vernichtet wurde.
Trotz der Tragweite dieses historischen Ereignisses ist bis heute nicht geklärt, wo genau es sich zugetragen hat. Heinrich Schliemann gelang es, Troja mithilfe des Ilias-Epos von Homer aufzuspüren, doch zeitgenössische Aufzeichnungen über die Varusschlacht sind nicht aussagekräftig genug, um aus ihnen den Schauplatz abzuleiten. Im Laufe der Jahrhunderte gab es darum die verschiedensten Vermutungen zur Lage des geschichtsträchtigen Ortes: von unterschiedlichen Stellen im nordrhein-westfälischen Teutoburger Wald über Haltern am See im Kreis Recklinghausen bis in den Harz und darüber hinaus.
Niederlage des Varus oder Rache des Germanicus?
Im Jahr 1987 wurde in der Senke von Kalkriese-Niewedde im niedersächsischen Wiehengebirge mit Ausgrabungen begonnen, die zahlreiche Münzen, Waffen, Fragmente römischer Soldatenausrüstungen, Tier- und Menschenknochen sowie Reste einer Wallanlage zutage förderten. Seitdem hat sich der Fundort als einer der vielversprechendsten Kandidaten für die Austragung der Schlacht herauskristallisiert. Seit dem Jahr 2000 existiert hier der Museumpark „Varusschlacht“, doch noch sind nicht alle Fundstücke aus Kalkriese endgültig und kulturhistorisch interpretiert.
Zudem gibt es kritische Stimmen, die sagen, bei den Artefakten von Kalkriese handele es sich lediglich um Indizien, nicht jedoch um Beweise für den Schauplatz der Varusschlacht. Ihnen zufolge könnten sie auch Zeugnisse einer sechs Jahre später im Jahr 15. n Chr. ausgetragenen Schlacht sein. Bei dieser begegneten sich im Rahmen des Rachefeldzugs für die Niederlage der Varusschlacht die Legionen des römischen Feldherren Germanicus und die Germanen im Kampf.
Archäologische Funde lassen sich nicht auf sechs Jahre genau datieren und so war es bisher nicht möglich, die Kalkriese-Artefakte mit Sicherheit der einen oder der anderen Schlacht zuzuordnen. Annika Diekmann, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Forschungsbereichs Materialkunde des Deutschen Bergbau-Museums in Bochum (DBM), ist dieses Problem im Rahmen ihrer Doktorarbeit angegangen, deren Ergebnisse nun veröffentlicht wurden. Als Teil eines Forschungsprojekts der LMU München, des Museums Kalkriese und des DBM liefert sie darin anhand des metallurgischen Fingerabdrucks der Fundstücke neue Belege dafür, dass Kalkriese Schauplatz der Varusschlacht war.
Jede Legion schmiedete anders
Der metallurgische Fingerabdruck beschreibt die charakteristische Zusammensetzung chemischer Spurenelemente in Buntmetallen wie Bronze und Messing. Vor einigen Jahren hatte der Archäologe Pablo Fernàndez Reyes von der Universität in Liverpool, England, mithilfe der Massenspektrometrie nachweisen können, dass sich der metallurgische Fingerabdruck römischer Legionen, die im 1. bis 3. Jahrhundert n. Chr. in Großbritannien stationiert waren, voneinander unterscheidet. Die Waffen- und Ausrüstungsteile wie Fibeln, Gürtelschnallen oder Riemenhalter weisen also spezifische Zusammensetzungen aus Buntmetallen auf, die es ermöglichen, die Stücke bestimmten Legionen zuzuordnen. Annika Diekmann nahm diesen Ansatz auf und entwickelte die Methode für ihre Zwecke weiter.
Für das Forschungsprojekt wurden Buntmetalle von sieben Legionsstandorten wie Xanten und Vindonissa untersucht. „Über zwei Jahre haben wir rund 550 Proben entnommen und mit chemischen Verfahren analysiert“, erklärt Annika Diekmann. Dabei wurden selbst geringste Mengen von Spurenelementen registriert. Sie stammen teilweise aus den ursprünglichen Erzen, aus denen die Gegenstände hergestellt wurden. Teilweise handelt es sich aber auch um Zuschläge, die sich bei der Verarbeitung und Reparatur in den Lagerschmieden sowie durch Anhaftungen an Werkzeugen in die Metalle gemischt haben. Dadurch war es möglich, für Legionen, von denen der Lagerstandort bekannt war, einen legionsspezifischen metallurgischen Fingerabdruck zu bestimmen.
Diese römische Fibel ist eines der Artefakte, die bei Grabungen in der Senke von Kalkriese-Niewedde gefunden wurden.
Im nächsten Schritt wurden sämtliche römischen Buntmetalle aus Kalkriese beprobt und mit Buntmetallen anderer Legionsstandorte verglichen. Im Mittelpunkt dieser Detektivarbeit standen die 19. Legion aus der Varusschlacht und Legionen aus den Germanicus-Feldzügen. Von der 19. Legion war bekannt, dass sie in den Jahren vor der Varusschlacht im süddeutschen Dangstetten stationiert war. Ihr metallurgischer Fingerabdruck hebt sich Diekmann zufolge von dem der anderen Legionen, die an den Rachefeldzügen der Römer beteiligt waren, deutlich ab.
„Beim Abgleich der Funde aus Kalkriese mit den Funden aus den anderen Fundorten, stellen wir fest, dass die Funde aus Dangstetten und Kalkriese signifikante Übereinstimmungen zeigen“, erklärt Diekmann. Dadurch sei es möglich, die 19. Legion in Kalkriese zu identifizieren.
Kein Ende der Kontroverse
„Kriminaltechnisch wäre jetzt der Täter überführt“, sagt Dr. Stefan Burmeister, Geschäftsführer des Museums und Parks Kalkriese. „Die Spurensicherung hat ein weiteres starkes Indiz für Kalkriese als Ort der Varusschlacht erbracht.“ Ein weiteres Indiz ist jedoch noch kein klarer Beweis, sodass weiterer Forschungsbedarf besteht.
Dass die Analyse des legionsspezifischen metallurgischen Fingerabdrucks für die Archäologie eine große Chance darstellt, ist jedoch nicht von der Hand zu weisen. „Als Forschungsmuseum der Leibniz-Gemeinschaft ist es für unsere Arbeit ein Gewinn zeigen zu können, dass materialwissenschaftliche Analysen einen wertvollen Beitrag zu historischer Forschung bieten können“, sagt Michael Prange, Forschungsbereichsleiter des DBM. Die Erkenntnisse aus den Untersuchungen könnten daher in Hinblick auf die Forschung zum römischen Militär eine über das Projekt hinausreichende Bedeutung haben.