Warum spenden Menschen so gern?

Weihnachtszeit ist Spendenzeit. In keinem anderen Monat sind die Deutschen großzügiger. Warum wir selbstlos handeln, wer am meisten gibt und weshalb Spenden wie eine Droge wirken kann.

Von Insa Germerott
Veröffentlicht am 21. Dez. 2022, 10:17 MEZ
Symbolbild Spenden: Eine Hand wirft ein Herz in einen Spendenkasten.

Gerade zur Weihnachtszeit spenden die Menschen besonders gerne – und viel.

Foto von blacksalmon / Adobe Stock

Ob für Naturschutz, Tierwohl oder Menschen in Not: Die Weihnachtszeit ist die beliebteste Spendenzeit im Jahr. Großzügiger als im Dezember sind die Deutschen in keinem anderen Monat. Das bestätigt Max Mälzer, Geschäftsführer des Deutschen Spendenrates: „Im Monat Dezember werden etwa 20 Prozent der Jahresspenden gesammelt.“ 

Doch was zählt eigentlich als Spende? Laut der Bundeszentrale für politische Bildung sind Spenden „ein freiwilliger finanzieller Transfer, bei dem die Spenderin oder der Spender keine äquivalente materielle Gegenleistung erhält“. Dieses Teilen ohne Gegenleistung ist vor allem wirtschaftlich gesehen ein Phänomen – widerspricht es doch dem Modell des homo oeconomicus, das impliziert, dass der Mensch nach dem größtmöglichen eigenen Nutzen strebt. 

Ökonomisch gesehen lässt sich also nicht erklären, warum Menschen spenden. Wieso wir es trotzdem tun und wie viele Menschen jährlich in Deutschland spenden, wer am meisten spendet und was das mit uns macht – sechs überraschende Fakten im Überblick. 

Menschen spenden aus Überzeugung – oder für das gute Gefühl

Es gibt diverse Gründe, weshalb Menschen spenden. In der Psychologie lässt sich vereinfacht eine Einteilung in emotionale und kognitive Prozesse vornehmen, erklärt Sozialpsychologin Janet Kleber von der Universität Klagenfurt. „Bei humanitären Spenden sind Emotionen wie Mitgefühl und Mitleid mit den Spendenempfangenden häufig von großer Bedeutung. Jedoch können auch selbstbezogene Emotionen, die im Prinzip wenig mit den Spendenempfangenden zu tun haben, von Bedeutung sein“, sagt sie.

“Im Monat Dezember werden etwa 20 Prozent der Jahresspenden gesammelt.”

von Max Mälzer
Geschäftsführer des Deutschen Spendenrates

Zum Spenden motivieren also entweder empathische, altruistische Gefühle gegenüber anderen – oder weitgehend selbstbezogene Gefühle wie der sogenannte warm glow. So werden laut Kleber als Spendengrund unter anderem die positiven Emotionen genannt, die bei der spendenden Person freigesetzt werden. 

Auch die eigenen Überzeugungen und Werte sind relevant: Je besser sie mit dem Spendenziel übereinstimmen, desto eher spenden Menschen. Vor allem Personen, denen Chancengleichheit oder eine Gleichverteilung von Ressourcen wichtig ist, spenden häufiger und mehr, erklärt Kleber. 

Neben diesen Faktoren spielen das konkrete Ziel und das gesicherte Ankommen der Spende eine Rolle für die Spendenbereitschaft. „Die Forschung konnte zeigen, dass Menschen lieber spenden, wenn ihr Geldbetrag ein bestimmtes Ziel erfüllt oder zumindest einen effektiven Beitrag zur Reduktion eines Problems leistet“, so die Sozialpsychologin. Zudem sei es von Bedeutung, dass sich potenzielle Spenderinnen und Spender eine Vorstellung von der Problematik machen können und so „ein mentales Bild der Situation bekommen“, für die sie spenden. 

Frauen spenden häufiger, Männer spenden mehr 

Merkmale wie Alter, Geschlecht und Bildung haben ebenfalls Einfluss auf die Spende. „Wir wissen, dass Menschen mit steigendem Alter eher bereit sind zu spenden“, erklärt Kleber. Laut einem Bericht des Deutschen Insituts für Wirtschaftsforschung (DIW) ist auch ein Unterschied zwischen den Geschlechtern zu erkennen: Frauen spendeten in allen Altersgruppen häufiger als Männer, Männer dafür mehr. 

Dazu steigt die Spendenbereitschaft mit höherer Bildung und höherem Einkommen, erläutern Karsten Schulz-Sandhof und Jürgen Schupp im Bericht des DIW. „So führt etwa ein höherer Bildungsgrad (zum Beispiel Hochschulabschluss) zu einer um 14 Prozentpunkte höheren Spendenwahrscheinlichkeit im Vergleich zur Referenzkategorie eines mittleren Abschlusses (zum Beispiel Abitur).“

BELIEBT

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    Die meisten Spenden gingen in die Ukraine

    2021 war hierzulande ein Spendenrekordjahr. Rund 3,8 Milliarden Euro konnten laut dem Deutschen Spendenrat gesammelt werden – der höchste Betrag seit Beginn der Erhebungen im Jahr 2005. Auch 2022 wird dieses außergewöhnliche Ergebnis nach aktuellen Angaben des Spendenrates wieder erzielt. Und das, obwohl die Anzahl der Spendenden zurückgegangen ist: um rund 800.000 Spendende. Wegen durchschnittlich höherer Spendenbeträge konnte dies jedoch ausgeglichen werden. 

    Diagramm der Spendenmenge zu verschiedenen humanitären Katastrophen.

    Auf den ersten Blick mag die Statistik verwirren: Nominal gesehen ist die Spendensumme für die Ukraine bereits jetzt die höchste, die bislang in Deutschland für ein Katastrophenereignis zusammengekommen ist. Nach Inflationsbereinigung wird die Summe leicht von den Spenden für den Tsunami 2004 in Südostasien übertroffen.

    Foto von Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung

    Gründe für das erhöhte Spendenaufkommen könnten in den diversen Krisen der vergangenen Jahre liegen: Corona-Pandemie, Krieg in der Ukraine und regionale Naturkatastrophe – die Flut im Ahrtal. „Das erheblich gesteigerte Spendenverhalten ist ein fantastischer Beleg der Solidarität der Deutschen, auch in sehr schweren Zeiten“, sagt Max Mälzer. 

    Die meisten Beträge kommen bei Katastrophenereignissen zusammen: 60 Prozent aller Spendengelder werden für die humanitäre Hilfe gesammelt. Den Betragsrekord in Deutschland hält aktuell die Spendensumme für die Ukraine. Nominal gesehen – also ohne Berücksichtigung anderer Einflussfaktoren wie der aktuellen Inflation – ist sie mit 862 Millionen Euro zwischen Februar und Oktober 2022 die höchste Summe gewesen, die in Deutschland je für ein Katastrophenereignis gesammelt wurde, erklärt das DIW. 

    Ärmere Haushalte spenden prozentual mehr als reiche

    2022 veröffentlichte das DIW einen Bericht über das Spendenverhalten der Deutschen, basierend auf Daten des sozio-ökonomischen Panels (SOEP) – einer repräsentativen Wiederholungsbefragung deutscher Haushalte. Die überraschende Feststellung: Ärmere Haushalte spenden prozentual mehr als reiche. Bezogen auf das ihnen zur Verfügung stehende Jahreseinkommen ist der Spendenanteil der einkommensschwachen Haushalte höher als jener der einkommensstärksten.

    Die Grafiken des DIW zeigen verschiedene Spendenindikatoren – von den einkommensschwächsten zu den einkommensstärksten Haushalten in ...

    Die Grafiken des DIW zeigen verschiedene Spendenindikatoren – von den einkommensschwächsten zu den einkommensstärksten Haushalten in Deutschland. Beim Anteil der Spenden, gemessen am verfügbaren Jahreseinkommen, wird deutlich: Ärmere Haushalte spenden mehr als reiche. 

    Foto von Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung

    Zwar ist der Anteil am Gesamtspendenvolumen – also der Summe aller Spenden, die über das Jahr gesammelt wurden – bei einkommensschwachen Haushalten niedriger und auch der durchschnittliche Spendenbetrag von 150 Euro geringer als die Durchschnittssumme von 1.260 Euro der reichsten zehn Prozent. Gemessen am Jahreseinkommen jedoch ist der Spendenanteil der ärmsten zehn Prozent mit 1,9 Prozent mehr als doppelt so hoch wie der Anteil der reichsten Haushalte mit lediglich 0,93 Prozent.

    „Obwohl die ärmeren Haushalte in Deutschland einen höheren Anteil ihres verfügbaren Einkommens spenden als die einkommensstärksten Haushalte, werden sie steuerlich benachteiligt“, sagt Soziologe Jürgen Schupp, Co-Autor des Berichts. Ein einheitlicher Abzug von der Steuerschuld könne dahingehend für mehr Gleichberechtigung sorgen.

    Ältere spenden mehr als Junge

    Die größte Spendengruppe in Deutschland bildet die Generation der Menschen über 70 Jahren. Mit 41,6 Prozent machen sie auch 2022 wieder einen unverzichtbaren Anteil des Gesamtspendenvolumens aus – selbst wenn diese Spendengruppe im Vergleich zum Vorjahr um circa 3 Prozent geschrumpft ist. Insgesamt fielen damit 244.000 Menschen aus dieser Altersgruppe im Jahr 2022 als Spenderinnen und Spender weg. 

    Die hohe Spendenbeteiligung älterer Menschen lässt sich laut der Bundeszentrale für politische Bildung unter anderem auf geteilte Erfahrungen mit den Spendenempfangenden zurückführen, zum Beispiel auf Kriegssituationen. Ein weiterer Grund könnte die wirtschaftliche Lage der Älteren sein, die häufig besser ist als die von jungen Menschen. Der gravierende Rückgang innerhalb der ältesten Spendengruppe im Jahr 2022 könnte mit der Verschlechterung ihrer ökonomischen Lage erklärt werden – Stichwort Inflation. 

    Helper’s High: Spenden macht glücklich

    Das selbstlose Handeln zum Wohle anderer löst positive Emotionen aus. In den 1980er Jahren beschrieben Forschende in diesem Zusammenhang erstmals das sogenannte „Helper’s High“. Durch biochemische Analysen fanden die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler damals heraus: Spenden kann wie eine Droge wirken – und kurzfristig high machen.

    Neurowissenschaftler Jorge Moll von den National Institutes of Health (NIH) in den USA untersuchte die Aktivitäten im Gehirn einer spendenden Person näher. Es zeigte sich, dass das High durch unser mesolimbisches System ausgelöst wird – das Belohnungszentrum unseres Gehirns. Es wird aktiviert, wenn wir spenden und schüttet daraufhin Neurotransmitter wie das Glückshormon Oxytocin aus. Das steigert unser Wohlbefinden. Spenden macht glücklich, sodass Menschen, die einmal gespendet haben, mit einer höheren Wahrscheinlichkeit wieder spenden werden. Das Helper’s High hat außerdem einen positiven Effekt auf die Immunfunktion des Körpers und führt zu einem verringerten Stresspegel. 

    Eine zubereitete Weihnachtsgans auf einer Tafel.

    Das DIW berichtet auch von einem nachhaltig positiven Zusammenhang zwischen Lebenszufriedenheit und Spendenfreude: Das Spenden wirkte sich einerseits positiv auf die Zufriedenheit der Probanden aus – und zufriedene Menschen spendeten andersherum auch wieder öfter. Vielleicht gilt gerade deshalb die Weihnachtszeit, in der Menschen dankbarer, zufriedener und hilfsbereiter sind, als die Zeit des Gebens.

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