Neandertaler machten in Sachsen-Anhalt Jagd auf urzeitliche Elefanten

Die Analyse alter Knochenfunde liefert den ersten eindeutigen Beweis für die Elefantenjagd früher Menschen – und wirft ein neues Licht auf die Lebensweise der Neandertaler vor 125.000 Jahren.

Von Katarina Fischer
Veröffentlicht am 9. Feb. 2022, 12:30 MEZ, Aktualisiert am 9. Feb. 2023, 09:21 MEZ
Das Fersenbein eines Waldelefanten.

An dem Fersenbein eines männlichen Waldelefanten, dessen Überreste in Neumark-Nord gefunden wurden, sind tiefe Schnittspuren zu erkennen - ein Hinweis auf menschliche Aktivität.  

Foto von Wil Roebroeks / Universität Leiden

Vor 800.000 bis 100.000 Jahren wanderte ein Riese durch die Landschaften Europas und Westasiens: Palaeoloxodon antiquus – der Europäische Waldelefant. Mit einer Schulterhöhe von bis zu vier Metern und einem Gewicht bis zu 13 Tonnen war er das größte Landsäugetier des Pleistozäns.

Das Rätsel von Neumark-Nord

Die weltweit größte Ansammlung von Fossilien Europäischer Waldelefanten stammt aus Neumark-Nord bei Halle in Sachsen-Anhalt. In den Achtziger- und Neunzigerjahren wurden hier bei Rettungsgrabungen im Braunkohletagebau die Überreste von mindestens 70 Individuen der urzeitlichen Tierart freigelegt. Seitdem werden sie im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle aufbewahrt.

Vor etwa 15 Jahren untersuchte ein Team italienischer Paläontologen die Knochen der Urzeitriesen und stellte etwas Seltsames fest: Die Überreste aus Neumark-Nord stammen fast ausschließlich von erwachsenen männlichen Tieren. Dieses unausgewogene Sterblichkeitsprofil, das so weder bei heutigen noch bei fossilen Elefantenpopulationen beobachtet wurde, konnten sie nicht erklären.

Sabine Gaudzinski-Windheuser untersucht den Oberschenkelknochen eines großen erwachsenen männlichen Europäischen Waldelefanten. 

Foto von Lutz Kindler / LEIZA

Anfang des Jahres 2021 kam Sabine Gaudzinski-Windheuser, Archäologin an der JGU, dem Rätsel auf die Spur. Sie fand an den Fossilien eindeutige Schnittspuren – und damit Hinweise auf menschliche Aktivität.

Grund genug für sie, gemeinsam mit einem Team aus Forschenden der Johannes-Gutenberg-Universität (JGU) und des Leibniz-Zentrums für Archäologie in Mainz und der Universität Leiden in den Niederlanden die Sammlung erneut einer umfassenden Analyse zu unterziehen. Die jetzt in der Zeitschrift Science Advances erschienene Studie zeigt, dass die Elefanten vor rund 125.000 Jahren von Neandertalern erlegt wurden.

Über einen Zeitraum von mehreren Monaten untersuchte das Team jeden einzelnen Knochen und jedes Knochenfragment der Sammlung und dokumentierte die Schnittspuren an den Skelettresten. „Insgesamt haben wir auf diese Weise 3.122 Überreste von den Europäischen Waldelefanten in Neumark-Nord analysiert“, sagt Lutz Kindler, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Leibniz-Zentrum für Archäologie.

Waldelefanten waren Lebensgrundlage

Dabei stellte sich heraus, dass die eiszeitlichen Riesen den Neandertalern in der Region über einen Zeitraum von mindestens 2.000 Jahren – und damit über Dutzende Generationen hinweg – als Lebensgrundlage dienten. Laut Will Roebroeks, Prähistoriker an der Universität Leiden, ist dies „der erste eindeutige Beweis für die Elefantenjagd in der menschlichen Evolution.“

Die Jagd auf die großen Tiere setzt die enge Zusammenarbeit aller beteiligten Gruppenmitglieder voraus. Auch bei der Verarbeitung der Beute war Teamwork gefragt: Die Tiere mussten geschlachtet, Fleischreste von den langen Knochen abgelöst und die fettreichen Fußpolster entfernt werden.

Dass vor allem die Knochen alter Elefantenmännchen gefunden wurden, liegt unter anderem daran, dass diese größer waren als die Weibchen und damit einen höheren Ertrag brachten. Doch sie waren wohl auch deswegen die bevorzugte Beute, weil sie abseits der Herde und damit ohne deren Schutz lebten. Dadurch konnten sich die Jäger ihnen einfacher und risikofreier nähern.

Neandertaler jagten in großen Gruppen

Die Jagd auf Waldelefanten lohnte sich: Berechnungen der Studienautoren zufolge dürften Fleisch und Fettpolster eines zehn Tonnen schweren Elefanten – und in Neumark-Nord wurden teilweise weitaus größere Exemplare gefunden – mindestens 2.500 Essensportionen zu jeweils 4.000 Kilokalorien geliefert haben.

Diese großen Nahrungsmengen legen nahe, dass Neandertaler nicht wie bisher angenommen in Gruppen von höchstens 25 Individuen lebten, sondern zumindest zeitweise zum Zweck der Jagd und der Weiterverarbeitung der Beute in größeren Gemeinschaften zusammenkamen. Ein anderer Erklärungsansatz ist, dass die frühen Menschen bereits über die kulturellen Mittel zur Konservierung – möglicherweise durch Trocknung – und Aufbewahrung von Nahrungsmitteln im großen Maßstab verfügten. Eventuell trifft auch beides zu.

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