Heilige Büchse: 1.500 Jahre alte römische Reliquie aus Elfenbein entdeckt

Ausgrabungen in einer römischen Siedlung im heutigen Österreich haben einen außergewöhnlichen Fund zum Vorschein gebracht: In einem Marmorschrein entdeckten Forschende eine aufwendig verzierte, seltene Büchse – eine sogenannte Pyxis.

Von Marina Weishaupt
Veröffentlicht am 1. Juli 2024, 09:00 MESZ
Die Einzelteile der runden Elfenbeindose in ihrer ursprünglichen Form angeordnet.

Die erhaltenen Teilstücke der Pyxis lassen vermuten, wie prunkvoll die Elfenbein-Dose einst ausgesehen haben muss.

Foto von Universität Innsbruck

Etwa einen Hektar groß ist die Ausgrabungsfläche auf dem Burgbichl bei Irschen im österreichischen Kärntner Drautal. Hier, auf dem unscheinbaren, rund 170 Meter hohen Hügel mit seinen steilen Abhängen fand eine römische Gemeinde einst Schutz und ein Zuhause. Zumindest bis die Menschen im Jahr 610 n. Chr. durch die Schlacht von Aguntum dazu gezwungen wurden, ihre Heimat zu verlassen.

Lange Zeit geriet die spätantike Höhensiedlung daraufhin in Vergessenheit. Seit 2016 wird ihre Vergangenheit durch Forschende der Universität Innsbruck allmählich aufgedeckt. Bislang brachten die aufwendigen Grabungsarbeiten mehrere Wohnhäuser und persönliche Gegenstände, eine Zisterne sowie zwei christliche Kirchen zum Vorschein. In einem der Gotteshäuser entdeckten die Archäolog*innen neben einem sternförmigen Taufbecken auch einen Schrein aus Marmor. Sein Inhalt stellte sich als wahre Sensation heraus: eine wertvolle, detailliert verzierte Reliquenbüchse aus Elfenbein — auch Pyxis genannt.

Reliquie mit Seltenheitswert wurde aufwändig konserviert 

Gefunden wurden der 20 mal 30 Zentimeter große Marmorschrein und die Pyxis unterhalb eines Altars in einer Seitenkapelle einer der Kirchen. Ein wahrer Glücksfall — denn derartig heilige Schätze bleiben bei der Aufgabe eines Gotteshauses nur selten zurück. Innerhalb Österreichs handelt es sich laut dem Archäologen Gerhard Grabherr um den ersten Fund einer Pyxis. „Weltweit wissen wir von circa 40 derartiger Elfenbeindosen, bei Grabungen ist meines Wissens eine solche zuletzt vor inzwischen rund 100 Jahren gefunden worden — die wenigen Pyxiden, die es gibt, sind entweder in Domschätzen erhalten oder in Museen ausgestellt”, sagt Grabherr.

Seine erfreuliche Entdeckung konnte das Team um Grabherr bereits im Sommer 2022 verzeichnen. Seitdem wurden die einzelnen Fragmente in einem aufwändigen Prozess konserviert, um wissenschaftliche Untersuchungen zu ermöglichen. „Elfenbein, zumal bodengelagertes Elfenbein wie im Marmorschrein, nimmt die Feuchtigkeit der Umgebung auf und ist in diesem Zustand sehr weich und leicht zu beschädigen“, sagt Ulrike Töchterle, Leiterin der Restaurierungswerkstatt der Universität Innsbruck. Zum Zeitpunkt der Ausgrabung herrschte innerhalb des Marmorschreins eine Luftfeuchtigkeit von 90 Prozent. Der lange Trocknungsprozess musste behutsam durchgeführt werden, um Schimmel- und Kondenswasserbildung oder ein zu zügiges Austrocknen und somit Verformungen oder das Zerbrechen des Elfenbeins zu vermeiden.

Biblische Bilder: Reich verzierte Elfenbeinbüchse

Entgegen der frühen Annahme befanden sich neben den Teilstücken der Elfenbeinbüchse keinerlei Überreste einer heiligen Persönlichkeit innerhalb des Schreins. Das heißt, in der Pyxis wurden in diesem Fall vermutlich keine heiligen Gegenstände gelagert – obwohl das oftmals die Funktion der Dose ist. „Die Pyxis wurde vermutlich ebenfalls als heilig gesehen und wurde auch so behandelt, sozusagen als Berührungsreliquie“, sagt Grabherr. Womöglich war die Dose aber auch vorher schon zerbrochen und hatte deshalb keinen Inhalt. In jedem Fall sei die „archäologische und kunsthistorische Bedeutung der Pyxis nicht zu bestreiten“, so der Archäologe.

Durch den guten Erhaltungszustand der einzelnen Fragmente lassen sich darauf Szenen aus dem Alten Testament erkennen – typisch für die Spätantike. So befindet sich auf der Pyxis eine Darstellung von Moses, der am Berg Sinai die zehn Gebote von Gott übergeben empfängt. Eine weitere Person ist auf einem Wagengespann zu erkennen. „Wir vermuten hier eine Darstellung der Himmelfahrt Christi, die Vollendung des Bundes mit Gott”, sagt Grabherr. Diese konkrete Darstellung sei bisher noch auf keiner Pyxis gefunden worden und mache den Fund noch bedeutender.

BELIEBT

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    Links: Oben:

    Detailaufnahme: Himmelfahrt Christi auf einer Biga.

    Rechts: Unten:

    Detailaufnahme: Moses erhält die Gebote aus der Hand Gottes.

    bilder von Universität Innsbruck

    Neben der Bestimmung der dargestellten Motive sollen zünftige Forschungen naturwissenschaftliche Erkenntnisse liefern. „Zum einen ist noch eine exakte Herkunftsbestimmung des Marmors ausständig, und mittels Stabilisotopie-Untersuchungen wollen wir auch die Herkunft des Elfenbeins bzw. des Elefanten bestimmen“, sagt Ulrike Töchterle. Ebenso würden die Metallscharniere sowie der Klebstoff und im Schrein gefundene Holzstücke genauer untersucht werden. Dass es sich bei letzteren um die Überreste einer Reliquie handelt, halten die Forschenden für unwahrscheinlich.

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