Welche Spiele spielten die Menschen im Mittelalter?

In Baden-Württemberg haben Archäologen eine fast 1.000 Jahre alte Spielesammlung ausgegraben. Die extrem gut erhaltenen Funde zeigen, welcher Zeitvertreib im Mittelalter besonders beliebt war.

Von Lisa Lamm
Veröffentlicht am 7. Juni 2024, 08:42 MESZ
Drei Holzfiguren für Brettspiele.

Mittelalterliche Spielutensilien: In Süddeutschland hat ein Forschungsteam erstaunlich gut erhaltene Spielsteine, einen Würfel und eine Schachfigur gefunden.

Foto von Deutschland, Ldkr. Reutlingen

Obwohl wir schon viel über das Leben der Menschen im Mittelalter wissen, gibt es Bereiche, die noch wenig erforscht sind. Dazu gehören zum Beispiel die Brettspielgewohnheiten unserer Vorfahren in Mitteleuropa. Denn Funde, die darüber Aufschluss geben können, sind selten.

Umso spektakulärer ist die Entdeckung, die ein Team aus Archäolog*innen nun am Standort einer ehemaligen mittelalterlichen Burg in Deutschland gemacht hat: eine kleine Spielesammlung, die neben einem Würfel und Spielsteinen auch eine mindestens 800 Jahre alte Schachfigur enthält – einen weißen Springer.

Frühe Spielkultur in Deutschland

Der Fundort der Spielesammlung liegt in Holzelfingen, einem Ortsteil der baden-württembergischen Gemeinde Lichtenstein. Entdeckt wurden die Figuren bereits im Jahr 2022 bei Ausgrabungen an einer alten Burganlage, die bisher kaum erforscht ist und lange Zeit unbekannt war. Das Team, das aus Forschenden der Universität Tübingen, des Landesamtes für Denkmalpflege (LAD) und des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) besteht, fand die Objekte im Schutt einer Mauer. Dort, so Michael Kienzle, Archäologe von der Universität Tübingen, habe man die Figuren damals entweder verloren oder versteckt.

Galerie: Menschen des Mittelalters

Der Fund umfasst einen sechsseitigen Würfel und vier blütenförmige Spielsteine, die Reste roter Farbe an sich tragen. Das Highlight des Fundes ist aber der weiße Springer, an dem bis heute die plastisch ausgeformten Details der Augen und Mähne zu erkennen sind. Alle Funde wurden laut dem Forschungsteam aus Hirschgeweih geschnitzt.

Wie das Schachspiel nach Europa kam

Dass die Pferdefigur tatsächlich zum Schachspielen genutzt wurde, offenbart ihr Abnutzungsmuster: „Unter dem Mikroskop zeigt sich ein typischer Glanz vom Halten und Bewegen der Stücke“, so Flavia Venditti von der Universität Tübingen. Diese Spuren deuten darauf hin, dass die Spielfigur schon damals zum Springen angehoben wurde – und die Regeln des damaligen Schachs somit erstaunlich ähnlich zu den heutigen gewesen sein könnten.

BELIEBT

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    Der Fund aus dem Landkreis Reutlingen stammt aus dem 11. oder 12. Jahrhundert und damit aus der Anfangszeit des Schachs in Europa. Das Logikspiel hat sich vermutlich aus dem indischen Brettspiel Chaturanga entwickelt, das mindestens seit 600 n. Chr. gespielt wurde. Über Persien gelangte es in die arabische Welt, wo sich Chaturanga vermutlich erstmals in Schach verwandelte. Nach Europa kam das Spiel von dort aus dann erst vor etwa 1.000 Jahren. Damit gesellte es sich zu anderen Strategiespielen, die im Mittelalter beliebt waren, darunter Vorläufer Mikado, Backgammon und Vorläufern des Spiels Dame. Auch mit Karten spielten die Menschen damals bereits.

    Obwohl der Fund einer Schachfigur selten ist, ist der Fundort laut den Forschenden keine Überraschung. „Das Schachspiel zählte im Mittelalter zu den sieben Fähigkeiten, die ein guter Ritter beherrschen sollte“, sagt Jonathan Scheschkewitz vom LAD. „Insofern verwundert es nicht, dass bekannte Funde meist von Burganlagen stammen.“

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