Hüterin der Haie

Sie kämpfte für ein Verbot des Haifangs auf den Cook-Inseln – jetzt will Jessica Cramp wissen, ob es auch wirkt.

Von Nina Strochlic
bilder von Andy Mann
Veröffentlicht am 9. Aug. 2018, 17:27 MESZ
Jessica Cramp beim Freitauchen vor der Küste von Rarotonga, der größten der Cook-Inseln.
Jessica Cramp beim Freitauchen vor der Küste von Rarotonga, der größten der Cook-Inseln.
Foto von Andy Mann

Als sie lernen, dass sie in einem der größten Haischutzgebiete der Welt leben, sitzen Konini Rongo und Bella Smith auf einem Anleger, die Hände mit den Innereien von Thunfisch beschmiert. Die jungen Frauen haben sich freiwillig gemeldet, um der amerikanischen Meeresbiologin Jessica Cramp bei der Installation von Unterwasserkameras zu helfen, mit denen Haie geortet werden sollen. Doch erst einmal stellen die beiden 17-Jährigen Köder her. Während Cramp vom Schutzgebiet im Südpazifik erzählt, zerkleinern sie Fischreste in einem Hafen auf Rarotonga, der größten der 15 Cook-Inseln.

2012 wurden die Cook-Inseln zu einem von weltweit 17 Haischutzgebieten, die insgesamt etwa 20 Millionen Quadratkilometer des Meeres abdecken. Die Vorschriften dieser Schutzgebiete – darunter auch die im Folgenden genannten – sollen die Tötungen von Haien einschränken, die sich Schätzungen zufolge jährlich im zweistelligen Millionenbereich bewegen. Fangverbot: Fischerboote, die innerhalb der ausschließlichen Wirtschaftszone des Landes agieren, dürfen keine Haie jagen. Geldstrafen: Jedes Boot, auf dem Haie oder deren Körperteile gefunden werden, muss eine Strafe in Höhe von 73.000 bis 182.000 Dollar zahlen. Drahtverbot: Verbot von stabilem Draht zum Befestigen von Angelhaken (wird oft für das Fangen von Haien verwendet).
Foto von NGM Maps

2011 zog die Meeresbiologin auf die Inseln, in deren Riffs es von Haien nur so wimmelt, um eine Kampagne für das Reservat ins Leben zu rufen. 18 Monate später wurde per Gesetz der Handel und Transport von Haifischfleisch innerhalb der 200-Meilen-Zone rund um die Cook-Inseln verboten – die Geldstrafe liegt bei mindestens 73000 Dollar. Jetzt plant Cramp, 28 Haie mit Peilsendern zu versehen, damit sie ihre Bewegungen verfolgen kann. Über die Haie in dieser Region ist wenig bekannt. Die Forscherin will herausfinden, wohin und wie weit sie schwimmen, um die Tiere auf Basis dieser Informationen besser schützen zu können.

Seidenhaie (hier vor den Bahamas fotografiert) gehören zu den Arten, die rund um die Cook-Inseln getötet wurden, bevor die Meeresbiologin Jessica Cramp half, dort ein Schutzgebiet zu etablieren. Jetzt sammelt sie Daten, um zu beurteilen, ob es funktioniert.

Auf dem Boot zeigt Cramp den Mädchen, was sie zu tun haben: Wie man eine GoPro-Kamera und einen Köder an einer Vorrichtung befestigt, die sie am Meeresgrund verankert. Und wie man die GPS-Koor-dinaten eingibt, um sie später wieder herauf-zu-zie-hen. Lockt der Köder einen Hai an, erklärt sie, wer-
de er ein-gefangen und ans Boot herangeholt. Dort schneidet man ihm einen Schlitz in die Rückenflosse und setzt den Peilsender ein. Die Helferinnen gucken entsetzt. „Das klingt zwar brutal, verschafft uns aber die nötigen Informationen, um Schutzmaßnahmen durchzusetzen“, sagt Cramp. „Wir erforschen das Leben der Haie hier unter anderem, weil sie in Gefahr sind. Und wir versuchen herauszufinden, ob die Gesetze auf den Cook-Inseln etwas bewirken.“

Cramp hält einen der Peilsender, die sie zwei Haiarten einsetzen wird, welche lange Strecken zurückzulegen pflegen. Mit den Sendern will sie ihre Bewegungen verfolgen.

Drei Jahre lang hat Jessica Cramp Daten ausgewertet, um herauszufinden, ob großflächige Schutzgebiete wie das, an deren Einrichtung sie mitgewirkt hatte, die Haie tatsächlich am Leben erhalten. Sie hofft, dass ihre Ergebnisse Naturschützern und Gesetzgebern helfen, möglichst effektiv vorzugehen. „Ich weiß, dass Haie auch innerhalb der Reservate sterben“, sagt Cramp. Denn auch wenn das Gesetz eindeutig scheint, gibt es Grauzonen. In mehreren Fällen wurden Bootsbesitzer mit Haifischfleisch an Bord nicht bestraft, weil sie die Hoheitsgewässer nur durchquerten oder nur in sie einfuhren, weil sie medizinische Hilfe brauchten.

Einst galten Haie den Bewohnern als taura atua, als „Schutztiere“. Doch für die heutigen kommerziellen Fischer stellen sie eine Konkurrenz dar: Sie locken ihren Fang mit Käfigen voller Köder, die ein paar Meilen vor der Küste unter Bojen hängen – und die ziehen auch hungrige Haie an. Damit hat Cramp bei ihrer Arbeit zu kämpfen. „Die Leute hier sagen sich: Wenn ein Hai dir etwas wegnimmt, hol dir den Hai.“

Die Insel Rarotonga, von oben. Im Jahr 2012 etablierten die Cook-Inseln eines der größten Haischutzgebiete der Welt. Meeresbiologin Jessica Cramp will herausfinden: Funktioniert es?

Bevor die Kameras abgeworfen werden, dreht die Meeresbiologin noch eine Runde im Hafen. Sie fragt eine Gruppe von Fischern: „Na, habt ihr heute was gefangen?“ Cramp hat gehört, dass einer von ihnen vor Kurzem einen Hai getötet hatte, und spricht ihn darauf an. „Er wollte sich mit mir an-legen!“, poltert der zurück. Cramp ist bei den Fischern unter dem Namen „Hai-Lady“ bekannt. Sie will dem Mann keine Standpauke halten. „Aber wahrscheinlich wird er ab jetzt nicht mehr so viele Haie töten“, sagt sie. „Weil er ein schlechtes Gewissen hat.“

Auf den Bootsfahrten zum Ausbringen der Kameras begegnen der Haiforscherin und ihren jungen Helferinnen keine Haie. Sie schauen sich die Aufnahmen an: Fische nuckeln an den Ködern. Schließlich entdeckt Cramp eine kreisende Bewegung im Hintergrund. „Da ist ein Hai!“ Die drei klatschen sich ab. „Das war meine Kamera“, sagt Konini Rongo stolz. Cramp will ihre Arbeit eines Tages an jemanden von den Cook-Inseln übergeben. Die Mädchen überlegen, Meeresbiologie zu studieren. „Dann könnte ich sagen: Ich bin eine ,Hai-Lady‘“, lacht Bella Smith. „Was für ein cooler Name für einen Job.“

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