Zwei Generationen unter dem Meer

Sylvia Earle und Jessica Cramp sprechen über ihren Werdegang, ihre Inspirationen und eine sauberere, blauere Welt.

Von Brian Clark Howard
Veröffentlicht am 9. Aug. 2018, 15:18 MESZ
Cramp erkundet die Gewässer um die Galapagosinseln.
Cramp erkundet die Gewässer um die Galapagosinseln.
Foto von Kike Ballesteros, National Geographic

Diese Inhalte wurden als Teil der Partnerschaft zur Förderung von Erforschung und Naturschutz von National Geographic und Rolex erstellt. Diese Organisationen arbeiten zusammen, um diejenigen Entdecker zu unterstützen, die große Ideen vorantreiben und echte Lösungen zum Schutz der Wunder der Erde entwickeln.

Als eine der führenden und bekanntesten Persönlichkeiten des Umweltschutzes hat Sylvia Earle sich durch ein halbes Jahrhundert des Aktivismus zum Wohle des Meeres einen Namen gemacht. Ihr fortgeschrittenes Alter hält Earle (82) nicht davon ab, sich auf der ganzen Welt für die Erforschung und die pädagogische Arbeit rund um unsere Ozeane einzusetzen. Ihr anspruchsvoller Zeitplan bringt sie dabei mit Menschen aus allen Schichten in Kontakt – von Staatsoberhäuptern, bis hin zu Schulkindern.

Obwohl es der breiten Öffentlichkeit nicht bewusst ist, sind die Ozeane entscheidend für das Leben auf der Erde, so Earle, deren viele Forschungsrekorde ihr in ihrer langen Karriere den Spitznamen „Her Deepness“ (sinngemäß: „Ihre Tiefheit“) eingebracht haben.

„Der Ozean ist so viel mehr als nur Fische“, sagt Earle, die auch Rolex-Markenbotschafterin ist. „Er ist unser Kohlenstoffkreislauf, unser Klima, die Biochemie unseres Planeten, die alles Leben auf der Erde geprägt hat.“

Earle hat Millionen von Menschen auf der ganzen Welt inspiriert, sich über die Ozeane Gedanken zu machen – und über deren Schutz. Unter den von ihr inspirierten Menschen ist auch die Hai-Forscherin Jessica Cramp. Seit 2011 lebt und arbeitet Cramp auf den Cookinseln, wo sie Haie und maritime Ökosysteme erforscht und sich für deren Schutz stark macht. Ihre Arbeit lieferte die Grundlage für die Schaffung eines der größten Haischutzgebiete der Welt auf den Cookinseln.

National Geographic sprach mit Earle und Cramp über ihre Karriere und die großen Probleme für unsere Ozeane und den Planeten.

Was haben Sie, als Ozeanografinnen unterschiedlicher Generationen, voneinander gelernt?

SE: Mir gefällt, was Jessica macht. Sie ist da draußen auf den Inseln, direkt an ihrem Arbeitsgebiet. Sie hat eine Gelegenheit erkannt und sie genutzt.

JC: Sylvia hat mich inspiriert. Meine Arbeit wäre wohl nicht möglich ohne sie und die Handvoll der anderen Wegbereiter auf diesem Gebiet. Es ist einfacher für mich, als es für dich war, Sylvia.

Welchen Herausforderungen mussten Sie sich stellen?

SE: Heutzutage wird es eher akzeptiert, dass eine Frau genauso kompetent ist wie ein Mann. Wir machen Fortschritte.

JC: Es gibt aber auch noch viel zu tun, sogar in dem Land, in dem ich wohne [die Cookinseln]. Vor kurzem war ich dort als Expeditionsleiterin unterwegs, und einige der Einheimischen wussten nicht, wie sie damit umgehen sollten. Wenn sie nicht weiter wussten, wandten sie sich immer an die Männer in meiner Gruppe. Sie sagen Sachen wie: „Moment mal ... sie ist der Boss? Wirklich? Sie muss etwas ganz Besonderes sein.“ Oder auch: „Warum lassen Sie das nicht die Männer machen und lernen stattdessen Hula-Tanzen?“

SE: Reporter haben mir früher immer Fragen zu meinen Haaren und meinem Lippenstift gestellt. Sie fragten, warum ich einen Fön auf Expeditionen mitnahm. Der war natürlich nicht für unsere Haare, sondern für unsere Ohren. Aber mir wurde klar, dass ich auf diese Weise wenigstens ihre Aufmerksamkeit hatte und dadurch die Geschichte des Ozeans zu erzählen konnte.

JC: Ein Reporter erzählte mir neulich, dass viele nicht glauben könnten, dass Wissenschaftler wie ich aussähen. Wie soll ein Wissenschaftler denn aussehen?

JC: Sylvia, ich wüsste gern, wie du angefangen hast. Kannst du mir etwas darüber erzählen?

SE: Gerne. Als Kind sah ich, wie das Waldland in meiner Heimat New Jersey nach und nach Neubaugebieten weichen musste. Als ich zwölf war, zog meine Familie nach Florida und das war eine deutlich andere, wundervolle Welt. Ich konnte gar nicht genug von der Natur und dem Meer bekommen. Aber im Laufe der Zeit gab es auch hier immer mehr neu errichtete Gebäude. Tampa Bay veränderte sich unglaublich schnell. Deswegen wurde ich Wissenschaftlerin.

Zunächst wollte ich mich nur auf die Forschung konzentrieren, aber die Medien und die öffentliche Aufmerksamkeit zwangen mich schließlich, aus meinem Elfenbeinturm herauszukommen. Es dauerte nicht lange und ich beriet die Stadt Chicago oder den US-Kongress in wichtigen Fragen.

Jess, ein Großteil Ihrer Arbeit besteht darin zu versuchen, lokale Gemeinden beim Meeresschutz zu involvieren. Warum ist das so wichtig?

JC: Ich bin Wissenschaftlerin, aber so, wie ich meine Arbeit verstehe, muss ich auch umweltpolitisch aktiv sein. Die Zusammenarbeit mit örtlichen Kommunen ist zentral für alles, was ich tue. Wenn man nicht bei der Gemeinde nachhakt, dann fehlt allen Umweltschutzprojekten der Rückhalt. Und ohne diesen werden sie nicht durchgesetzt.

Sylvia, Ihre Arbeit umfasst oft sowohl die lokale wie auch die globale Ebene. Können Sie beschreiben, wie sie mit einem derart großen Aufgabenbereich umgehen?

SE: Man muss mit den lokalen Gemeinden genauso zusammenarbeiten wie mit Präsidenten, Ministern, Geschäftsführern und alle anderen. Das gilt auch für die Fischer, weil sie diejenigen sind, die viel Zeit auf dem Meer verbringen und daher über einiges Bescheid wissen. Oft sind es die Fischer, die als erstes etwas bemerken, z.B. einen rapiden Rückgang der Fangerträge. Wissenschaftler versäumen es manchmal, sich mit den Leuten zu beschäftigen, welche die besten Informationsquellen sind.

Unsere Aufgabe als Wissenschaftler ist es, der Öffentlichkeit das zu vermitteln, was wir wissen. Im Allgemeinen wollen die Menschen Schutzgebiete, sobald ihnen klar wird, wie wichtig diese sind.

BELIEBT

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    Earle zeigt einem Besucher unter dem Meer eine Alge.
    Foto von Bates Littlehales, National Geographic

    Sie beide haben fortschrittliche Technologie im Dienste des Meeresschutzes eingesetzt. Wie wichtig waren diese Hilfsmittel für Ihre Arbeit?

    SE: Dank der Fortschritte der Technologie, wie moderner Taucherausrüstung, steht das Meer heutzutage Millionen von Menschen offen. Rachel Carson konnte in ihrem Leben nur einen einzigen Tauchgang unternehmen. In einem Taucherhelm aus Kupfer stieg sie eine Leiter hinunter, etwa drei Meter tief in trübes Wasser. Was hätte sie wohl gesagt, wenn sie die Möglichkeit gehabt hätte, das zu sehen, was heutzutage jeder Hobbytaucher sehen kann? Ganz zu schweigen von Spezialwerkzeugen wie Drohnen, ROVs [Remote Operated Vehicles, unbemannte Unterwasserfahrzeuge mit Kabelverbindung], U-Booten und Messstationen.

    JC: Du hast sogar schon mal unter Wasser gelebt, oder?

    SE: Bei zehn Gelegenheiten, ja. So viel Zeit unter Wasser zu verbringen, hat mich eines erkennen lassen: Fische sind Individuen. Sie verhalten sich nicht alle gleich. Jeder von ihnen verhält sich anders.

    JC: Apropos Technik: Eine erhebliche Menge der Daten, die für mich bei meiner Arbeit zum Meeresschutz wichtig sind, stammt von Satelliten. Wir können sehen, wo kommerzielle Fischer arbeiten, was der Schlüssel zur Durchsetzung [der Schutzvorschriften] ist. Operieren sie dort, wo sie sollen? Sie erlauben es mir auch, Haie und Meeresvögel zu verfolgen, die ihr Habitat häufig wechseln und sich dabei nicht um die Grenzen von Ländern oder Schutzgebieten kümmern.

    SE: Diese Arbeit war dafür verantwortlich, dass Schiffe jetzt langsamer fahren, wenn sie wichtige Migrationswege von Walen und Schildkröten durchqueren.

    JC: Technologie hat uns geholfen, Richtlinien zu entwickeln, um zu schützen, was wir lieben.

    SE: Technologie hat aber auch Schattenseiten. Neben ihrem Nutzen für die Wissenschaft treibt sie auch die Ausbeutung der Meere voran. Angelzeitschriften sind voller Anzeigen, die sagen, dass Fische sich dank Sonar nirgendwo mehr verstecken können. Dieselbe punktgenaue Navigation, die so wichtig für die Wissenschaft ist, gibt auch den Fischern die Möglichkeit, genau denselben Ort wieder und wieder anzusteuern. Zu Beginn meiner Karriere war es noch sehr schwer, auf dem Meer einen bestimmten Punkt wiederzufinden.

    Kommen wir zu den Haien – ein Thema, mit denen sie beide sehr vertraut sind. Was denken sie, warum die Leute diese so faszinierend finden?

    JC: Ich bezeichne Haie als die Einstiegsdroge der Meere. Kinder lieben sie. Erwachsene lieben sie entweder oder haben Angst vor ihnen. So oder so, ihr Interesse ist geweckt. Mit Haien als Zugpferd kann man die Leute dazu bringen, mehr über den Ozean zu lernen, ohne dass sie es merken.

    SE: Aus diesem Grund nenne ich Haie manchmal „Dinosaurier ehrenhalber“. Haie sind gute Indikatoren für den Gesundheitszustand des Ozeans. Ein gesundes Riff hat viele Haie, während ein krankes Riff keine hat. Wenn die Leute an Haie denken, dann als die ultimativen Raubtiere. Aber das sind nicht sie, sondern wir.

    Earle untersucht einen gewaltigen Ofenrohr-Schwamm vor der Küste von Bonaire.
    Foto von David Doubilet, National Geographic

    Bei all den Herausforderungen, die der Umweltschutz mit sich bringt, was spornt Sie an weiterzumachen?

    SE: Jessica.

    JC: Zuviel der Ehre. Aber für mich ist es Sylvia.

    Ein weiterer Grund ist, dass diese Probleme lösbar sind. Wir haben nicht mehr die Ausrede, dass wir nicht wissen, was zu tun ist. Das Bewusstsein für diese Probleme ist jetzt größer. Viele Politiker wissen um die Fragen des Umweltschutzes und sind bereit, sich dafür stark zu machen. Wir müssen nur die Anlaufschwierigkeiten überwinden.

    JC: Sylvia, ich wollte dich schon immer fragen, was dich die schwereren Zeiten dieser Arbeit überstehen lässt?

    SE: Verschiedene Dinge. Zunächst einmal mein Glaube an den menschlichen Geist, an unsere Fähigkeit zum Mitgefühl. Außerdem glaube ich, dass die Natur sehr widerstandsfähig ist. Heutzutage gibt es mehr Schildkröten und Wale im Ozean als zur Zeit meiner Kindheit. Von den Hawaiigänsen, oder Nēnē, waren gerade mal eine Handvoll übrig, aber jetzt erholt sich ihre Population. Es gibt viele weitere Beispiele.

    Haben sie Ratschläge für künftige Generationen, die sich für den Schutz der Ozeane interessieren?

    SE: Ich freue mich besonders über das Interesse von Kindern, weil diese nicht mit derartig vorgefassten Meinungen zu mir kommen wie viele Erwachsene. Sie stellen Fragen und sind begierig darauf, Antworten zu bekommen. Ich halte es auch für wichtig, das Kind in jedem anzusprechen, egal wie schwer das auch sein mag. Denn der Ozean braucht unsere Hilfe.

    JC: Ich hoffe, dass die nächste Generation lernt, im Einklang mit der Umwelt zu leben.

    Was kann der Einzelne tun, um zu einem saubereren Ozean beizutragen?

    SE: Kinder sollten Erwachsenen die Natur zeigen und versuchen, sie die Zukunft durch Kinderaugen sehen zu lassen. Erwachsene können das Gleiche für Kinder tun. Wenn man das Meer besucht, besonders in der Nähe eines Hope Spot [ein Wasserschutzgebiet von besonderer Bedeutung], kann man dieses Erlebnis in Form von Fotos und Beschreibungen mit anderen teilen.

    JC: Man kann sich auch mit Kampagnen an die Politiker wenden oder sich als Freiwilliger engagieren.

    SE: Heutzutage leben wir u. a. deshalb länger und gesünder, weil wir so viel darüber wissen, was ein bewusstes Leben ausmacht. Ein wichtiger Teil davon ist eine weitgehend pflanzliche Ernährung, um unseren Einfluss auf den Planeten und andere Arten zu reduzieren. Wir alle treffen Entscheidungen und müssen andere Lebensformen respektieren, einfach weil es sie gibt. Das sind keine Trivialitäten. All das macht uns zu dem, was wir sind. Und die Zeit zum Handeln ist jetzt extrem günstig.

    Dieses Interview wurde zugunsten von Länge und Deutlichkeit redigiert.

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