Jahrtausende alte Klimadatenspeicher: Deutschlands schönste Tropfsteinhöhlen

Viele Schauhöhlen mit sehenswerten Stalagmiten, Stalaktiten und Stalagnaten sind die reinsten Naturspektakel und echte Besuchermagneten. Wo in Deutschland besonders sehenswerte zu sehen sind, verrät eine Höhlenforscherin.

Von Barbara Buenaventura
Veröffentlicht am 1. Sept. 2020, 12:13 MESZ
Tropfsteinhöhlen Hermannshöhle

Die Hermannshöhle in Sachsen-Anhalt gehört zu den schönsten Höhlen Deutschlands. Sie wurde zufällig bei Straßenbauarbeiten entdeckt und beherbergt ein seltenes Tier.

Foto von Tropfsteinhöhlen Rübeland, Jan Reichel

Wo Tropfsteine bewundert werden können, muss es nicht zwangsläufig dunkel und feucht sein: Viele Schauhöhlen mit sehenswerten Stalagmiten, Stalaktiten und Stalagnaten sind die reinsten Naturspektakel, die – modern ausgeleuchtet – echte Besuchermagneten sind. Wie sich Tropfsteine voneinander unterscheiden und wo in Deutschland besonders sehenswerte zu sehen sind – diese Tipps gibt eine Höhlenforscherin: „Jede Höhle ist einmalig – ob in Deutschland oder anderswo“, sagt Bärbel Vogel. Als Vorsitzende des Verbands der deutschen Höhlen- und Karstforscher e.V. ist die 54-Jährige aus Nesselwang mit besonderem Augenmerk auf Höhlenschutz auf europäischer und internationaler Ebene tätig. Tropfsteinen begegnet sie dabei regelmäßig: „Tropfsteine gibt es in fast jeder Höhle - auf Grund der geologischen und grafischen Lage mehr oder weniger ausgeprägt“, sagt Vogel und betont jedoch: Der Begriff „Tropfsteinhöhle“ existiert in der Wissenschaft gar nicht. Umgangssprachlich werden damit Höhlen beschrieben, deren Inhalt von Tropfsteinen gekennzeichnet ist – also die meisten Schauhöhlen, in denen Führungen stattfinden und die zu einem großen Teil mit moderner LED-Ausleuchtung ausgestattet sind, dank der die Tropfsteine noch prominenter zur Geltung kommen.

Dunkel, feucht und moderig ist anders: Viele der ausgebauten Schauhöhlen beweisen das mit einer großen Bandbreite an Besonderheiten. Die meisten Tropfsteinhöhlen sind Millionen Jahre alt. Das Wachstum der Tropfsteine in Kalkgebirgen hängt dabei unter anderem von der Niederschlagsmenge des Gebiets ab: „Regenwasser reichert sich mit CO2 aus der Luft oder dem Boden an, dringt durch Spalten in Kalkgestein. Die entstandene Kohlensäure löst den Kalk, der, sobald das Wasser auf einen Hohlraum trifft, ausgeschieden wird“, sagt die Expertin. Das Ergebnis: Kalkreste, die nach der Verdunstung des Wassers im Laufe der Zeit Tropfsteine bilden.

Die entstandenen Gesteinsbildungen (Sinter) unterscheiden sich in Struktur und Aussehen: Tropft das Wasser direkt in einen Luftraum, entstehen Ablagerungen in stehender (Stalagmit) oder hängender Form (Stalaktit). Läuft das Wasser über eine schräge Fläche, können sich die „Gardinen“ genannten Sinterfahnen bilden. Je nachdem, welche vorhandenen Mineralien mit gelöst wurden, können die Tropfsteine in seltenen Fällen zudem unterschiedliche Farben annehmen.

Tropfsteine sind Klimadatenspeicher

Auch die Temperatur in der Region ist verantwortlich für Beschaffenheit und Volumen der Tropfsteine: „Die Lösungs- und Ausscheidungsprozesse werden beschleunigt, sobald die Oberflächentemperaturen steigen. Deshalb sind Tropfsteinhöhlen in warmen Gebieten reicher geschmückt“, sagt Vogel. „Innerhalb Deutschlands wird dieser Unterschied allerdings nur im Vergleich zu alpinen Höhlen mit sehr geringem Tropfsteinaufkommen sichtbar.“ Die Gesteinsbildungen sind weit mehr als nur schön anzusehen – der Wissenschaft dienen sie als Klimadatenspeicher: „Tropfsteine sind faszinierende Zeitzeugen des Klimas vergangener Jahrtausende. Wie bei Jahresringen von Bäumen können Wissenschaftler Klimadaten von genau dem Ort gewinnen, unter dem der Tropfstein gewachsen ist und bis zu dem Zeitpunkt zurück, als er zu wachsen begann.“

So einzigartig wie jeder Tropfstein ist, ist es auch jede Höhle. Einen Länder-Ranking will die Expertin dabei nicht aufstellen: „Höhlen kommen nur in Regionen vor, die wasserlösliches Gestein enthalten. Deshalb kann man Länder schwer vergleichen. In Dänemark oder Finnland gibt es gar keine Höhlen, während beispielsweise Slowenien sehr höhlenreich ist. Auch in Italien, Spanien und Frankreich gibt es sehr höhlenreiche Regionen. In Deutschland sind in einigen Gegenden wie der Schwäbischen und Fränkischen Alb, dem Sauerland oder dem Harz auf Grund der geologischen Gegebenheiten viele Höhlen entstanden.“

Die Vielfalt der deutschen Höhlen ist enorm: In der Fränkischen Schweiz sind über tausend Höhlen verzeichnet, auf der Schwäbischen Alb im süddeutschen Mittelgebirge sogar doppelt so viele. Viele davon enthalten gut erhaltene Tropfsteine, sind über Pfade, Schächte oder Leitern begehbar und enden oft in kilometerlangen Höhlensystemen, die verschiedenste Sinterformationen beherbergen. Diese 5 Höhlen mit sehenswerten Tropfsteinen sind ein besonderes Besuchserlebnis:

BELIEBT

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    Größtes Höhlensystem Hessens: Das Herbstlabyrinth-Adventhöhle-System bei Breitscheid im Westerwald ist eines der bedeutendsten in Deutschland. 

    Foto von Klaus-Peter Kappest

    Hessen: Herbstlabyrinth

    Die Schauhöhle Breitscheid liegt als jüngste Schauhöhle Deutschlands in einem Steinbruch. Auf 124 Stufen gelangt man in eine Art Zauberberg, der sich, so Bärbel Vogel, besonders durch seinen reichen und extrem weißen bis durchsichtigen Tropfsteinschmuck auszeichnet. Neben Führungen und Konzerten werden in der besonderen Umgebung der Höhle auch Fotoworkshops abgehalten, bei denen die einzigartigen Tropfsteine im Spiel mit verschiedenen Lichteffekten inszeniert werden können. www.schauhoehle-breitscheid.de 

    Schönheit unter der Erde: Die Atta-Höhle in Nordrhein-Westfahlen begeistert nicht nur durch einzigartige Sinterfahnen, sondern auch durch heilende Höhlenluft.

    Foto von Attendorner Tropfsteinhöhle

    Nordrhein-Westfalen: Atta-Höhle

    Die Höhle in Attendorn im Sauerland wurde 1907 zufällig in einem Steinbruch entdeckt: „Der Steinbruch wurde stillgelegt und die Höhle schon im darauffolgenden Jahr für Besucher geöffnet. Andernfalls wäre das Kleinod verlorengegangen“, sagt Bärbel Vogel. Heute gehört die Atta-Höhle mit ihrem reichen Tropfsteinschmuck zu den schönsten Höhlen Deutschlands: Rund 1.800 Meter der fast 6.700 Meter langen Höhle sind bei konstant 9°C für die Öffentlichkeit zugänglich. Zu den Besonderheiten gehören neben Stalaktiten, Stalagmiten und Stalagnaten auch die Sinterfahnen genannten Kalkablagerungen, die durch Eisenoxide eigentümlich gefärbt sind. Etwa 50 Meter unter der Attendorner Erdoberfläche befindet sich außerdem eine Gesundheitsgrotte, deren Besuch bei Asthma, Bronchitis und Neurodermitis empfohlen wird: Die reine, keim- und allergenfreie Höhlenluft mit hoher Luftfeuchtigkeit erleichtert nicht nur das Atmen, sondern wirkt auch entlastend auf den ganzen Körper. www.atta-hoehle.de

    Rekordhalter: Die Feengrotten stehen im Guinness Buch der Rekorde. Sie sind keine Höhlen, sondern Teil eines ehemaligen Bergwerks.

    Foto von Matthias Frank Schmidt

    Thüringen: Saalfelder Feengrotten

    1993 wurden die Feengrotten mit einem Eintrag im Guinness-Buch der Rekorde als „Farbenreichste Schaugrotten der Welt“ gekürt. Dabei handelt es sich nicht um eine Höhle, sondern um ein einstiges Alaunschieferbergwerk: „Die Tropfsteine entstanden aber genau wie in natürlichen Hohlräumen mit dem eindringenden Wasser“, sagt Expertin Vogel. Besonders der „Märchendom“ auf der dritten Sohle des Schaubergwerks ist sehenswert: Im ältesten und schönsten Hohlraum der Grotten befinden sich Tropfsteine, die teils verwachsen und dank über 45 nachgewiesener Minerale außergewöhnlich gefärbt sind. Vor dem Ausgang beeindruckt ein Wurzelstalaktit in Form einer versinterten Eichenwurzel. Interessant: Die Diadochit-Tropfsteine in den Feengrotten wachsen wegen ihrer weichen Substanz etwa tausendmal schneller als Tropfsteine im Karbonatkarst. www.feengrotten.de

    In der Bärenhöhle wurden zahlreiche Knochen des ausgestorbenen - man ahnt es schon - Höhlenbärs gefunden.

    Foto von Jill Carstens

    Baden-Württemberg: Bärenhöhle

    Bei Sonnenbühl-Erpfingen liegt die über 250 Meter begehbare Höhle mitten im weißen Jurakalk: „Die Bärenhöhle verdankt ihren Namen den zahlreichen Knochenfunden des ausgestorbenen Höhlenbärens“, sagt Bärbel Vogel. Neben den sehenswerten Skeletten sind auch viele Tropfsteine und Deckenbildungen bei ganzjährig 8-10°C zu bewundern. Dank eines ausgeklügelten, energiesparenden LED-Konzepts sind jeweils eine Halle der Bärenhöhle und der angrenzenden Karlshöhle farbig beleuchtet. hoehlen.sonnenbuehl.de

    In der Baumannshöhle gibt es einen Saal mit einer Bühne und Plätzen für bis zu 300 Personen. In diesem Goethesaal kann man auch heiraten, denn er ist eine Aussenstelle des Standesamtes.

    Foto von Tropfsteinhoehlen Ruebeland, Jan Reichel

    Sachsen-Anhalt: Baumanns- und Hermannshöhle

    Im Harzer Rübeland liegen zum einen die Baumannshöhle als älteste Schauhöhle Deutschlands und nur wenige Gehminuten entfernt die Hermannshöhle, die 1866 bei Straßenarbeiten entdeckt wurde: „Der schmale Eingang zur Hermannshöhle wurde schon am darauffolgenden Tag mit einer Tür gesichert“, so Vogel. „So konnte der Tropfsteinschmuck noch weitgehend erhalten werden.“ In der Hermannshöhle sind neben einer einzigartigen Tropfsteinkulisse auch die einzigen Grottenolme Deutschlands zu sehen: „Schon 1932 wurden die ersten Exemplare aus Istrien dort angesiedelt, heute sind sie Teil eines Forschungsprojektes über diese einzigartigen Tiere.“www.harzer-hoehlen.de/

    In der Hermannshöhle sind Grottenolme zuhause. Die seltenen Schwanzlurche leben dauernd in Larvenform und sind eine Attraktion. 

    Foto von Tropfsteinhöhlen Rübeland, Jan Reichel

    Die Expertin: Bärbel Vogel, aus Nesselwang im Allgäu ist Vorsitzende des Verbandes der deutschen Höhlen- und Karstforscher e.V..

    Foto von Peter Hofmann

    Die Expertin: Bärbel Vogel, aus Nesselwang im Allgäu ist Vorsitzende des Verbandes der deutschen Höhlen- und Karstforscher e.V. Ihr besonderes Augenmerk gilt dem Thema Höhlenschutz. Dazu setzt sie sich auch auf europäischer und internationaler Ebene in verschiedenen Gremien wie der Weltnaturschutzunion IUCN ein: „Das Besondere an Höhlenforschung ist für mich die Vielfältigkeit der Forschungsmöglichkeiten, ob Geologie, Biologie, Paläontologie, Archäologie, Hydrologie, Klimatologie oder Heimatkunde - es ist für jeden was dabei und das spiegelt sich auch in den Besonderheiten jeder einzelnen Schauhöhle wider.“

     

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