Seltene Solar-Schnecken stecken voller Geheimnisse

Die seltenen Schnecken sind in der Wildnis schwer zu finden – und noch viel schwerer zu züchten.

Von Douglas Main
Veröffentlicht am 27. Juli 2018, 17:23 MESZ
Elysia chlorotica ist eine Meeresschnecke, die vor allem an der Ostküste der USA zu finden ist. ...
Elysia chlorotica ist eine Meeresschnecke, die vor allem an der Ostküste der USA zu finden ist. Sie kann Zellteile von Algen stehlen, um damit Photosynthese zu betreiben.
Foto von Patrick J. Krug

Das Leben auf unserer Welt folgt gewissen Mustern und Regeln.

Pflanzen mit ihrer unglaublichen Fähigkeit, die Energie der Sonne zu nutzen, wandern nicht durch die Gegend. Das müssen sie auch gar nicht. Aber Tiere, denen es an der wundersamen Fähigkeit zur Photosynthese mangelt, müssen das. Sie trotten, schlängeln und flattern umher. Sie suchen nach Nahrung, die sie in Energie umwandeln können.

Aber sie betreiben keine Photosynthese. Außer, wenn sie es eben doch tun.

Eine kleine Meeresschnecke schert sich nicht um die vermeintlichen Regeln der Tierwelt.

Die Schnecken der Art Elysia chlorotica, die an der Ostküste der USA leben, geben sich nicht damit zufrieden, Algen einfach nur zu verspeisen. Sie stehlen deren Chloroplasten, mit denen die Pflanzen die Sonnenenergie umwandeln. Die Schnecken lagern die Mini-Kraftwerke in ihrem Körper ein und nehmen dadurch eine leuchtend grüne Färbung an.

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    Experimente haben gezeigt, dass die Schnecken – die wie kleine Blätter aussehen – mehr als neun Monate ohne Nahrungsaufnahme überleben können, solange sie Sonnenlicht erhalten und Photosynthese betreiben können.

    „Sie ist einzigartig. Sie ist kontrovers. Man bekommt sie kaum zu Gesicht. Sie isst nie“, sagt Patrick Krug, ein Biologe der California State University in Los Angeles. „Im Grunde ist sie ein typischer L.A.-Promi.“

    Obwohl auch andere Schnecken Chloroplasten stibitzen und damit ein paar Sonnenstrahlen einfangen können, macht das keine so gut wie Elysia chlorotica.

    Aus diesem Grund hat die Tier-Pflanzen-Chimäre die Aufmerksamkeit einiger Wissenschaftler auf sich gezogen, die hoffen, dass ihre Erforschung in der Immunologie, Gentherapie und anderen Bereichen Anwendung finden kann.

    Allerdings werden die besonderen Schnecken immer seltener und die wenigen Experten, die sie untersucht haben, befinden sich größtenteils im Ruhestand oder widmen sich nun anderen Forschungsgebieten.

    Diese Meeresschnecken sehen wie kleine Blätter aus. Allerdings wird es immer schwieriger, die Tiere noch zu finden.
    Foto von Patrick J. Krug

    Viele Geheimnisse

    Bisher hat die Erforschung der Schnecken nur wenige Antworten geliefert, dafür aber zahlreiche verlockende Hinweise, die vermuten lassen, dass weitere Untersuchungen einen wahren Wissensschatz offenbaren könnten.

    Bisher weiß niemand, wie die Schnecken die Chloroplasten am Laufen halten. Im Normalfall benötigen die Organellen spezielle Proteine, für deren Produktion Tausende von Algengenen verantwortlich sind. Die meisten dieser Gene scheinen den Schnecken zu fehlen – diese Thematik wird jedoch noch kontrovers diskutiert.

    Und weshalb schaden die Chloroplasten den Schnecken nicht? Photosynthese produziert freie Sauerstoffradikale in Mengen, die die meisten Tiere nicht tolerieren können dürften.

    An weiteren Rätseln mangelt es nicht: Warum werden die Chloroplasten im Verdauungstrakt der Schnecken nicht zerstört? Warum greift das Immunsystem diese Fremdkörper nicht an? Wie läuft die biochemische Interaktion zwischen den Schnecken und den Chloroplasten ab?

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    Nur eine einzige Forschungsgruppe um dem emeritierten Professor Sidney Pierce von der University of South Florida hat die Schnecken in den letzten Jahren gesammelt. Sie fanden die Tiere in einem Salzsumpf auf der Insel Martha’s Vineyard im US-Bundesstaat Massachusetts. Wie andere Forscher, die sich mit der Schnecke befasst haben, veröffentlicht er seine Informationen aufgrund der Seltenheit der Tiere nicht.

    Karen Pelletreau, einer Forscherin an der University of Maine, hat sich intensiv mit den Schnecken beschäftigt, sie aber bisher nur auf Martha’s Vineyard und einem Ort im kanadischen Nova Scotia gefunden. Sie hat diverse Orte in Maine abgesucht, an denen die Schnecken früher zu finden waren, jedoch ohne Erfolg.

    Schwierige Schnecken

    Sie zu finden, sei „schwierig, sehr schwierig“, erzählt Pelletreaus frühere Beraterin und Kollegin Mary Rumpho-Kennedy. Sie hat die ungewöhnlichen Tiere jahrzehntelang studiert, ging aber vor einigen Jahren in den Ruhestand. „Wenn man nicht ganz genau weiß, nach was man sucht und wo man suchen muss, wird man nichts finden.“

    Krug, der Meeresschnecken erforscht, hat in der Nähe des Hafenorts Woods Hole in Massachusetts nach den Tieren gesucht, jedoch ohne Erfolg.

    Er beschäftigt sich vorwiegend mit der verwandten Gattung Alderia, deren Vertreter dieselben Algen fressen wie E. chlorotica und in denselben Salzsümpfen leben. Diese Lebensräume werden allerdings durch den steigenden Meeresspiegel, den Klimawandel und die bauliche Erschließung bedroht.

    „Dieses Habitat könnte Schaden nehmen oder zunehmend seltener werden, und zwar in größerem Ausmaß, als die Leute das vielleicht wahrnehmen“, so Krug. Ihm zufolge hat bisher niemand eine Populationsstudie der Tiere durchgeführt.

    Zudem ist es äußerst schwer, die grünen Tierchen im Labor zu züchten. Ausgewachsene Tiere müssen gut genug versorgt werden, um sich zu vermehren, und leben üblicherweise nicht mal ein Jahr. Aus den Eiern schlüpfen freischwimmende Larven, die sich von verschiedenen Algen ernähren. Wenn die Tiere älter werden, beginnen sie, die Algenart Vaucheria litorea zu fressen, die nur langsam wächst und sich schwer kultivieren und züchten lässt.

    „Sie haben das schneller gefressen, als wir es züchten konnten“, sagt Pierce, der die Tiere mehr als 30 Jahre lang erforscht hat. „Das ist, als hätte man Teenager im Haus.“

    Zwei Gruppen – das Team von Rumpho und Pelletreau sowie das Team um Pierce – haben die Schnecken im Labor erfolgreich gezüchtet und mehrere aufeinanderfolgende Generationen aufgezogen. Allerdings erwies sich das also so kompliziert, dass die Entnahme aus der Wildnis einfacher ist. Die Schnecken produzieren außerdem Unmengen von Schleim, was molekulare und DNA-Analysen erschwert.

    Was bringt die Zukunft?

    Wie auch immer die Schnecken es schaffen, ihre Chloroplasten zu erhalten – irgendwie müssen dabei Algengene oder Genprodukte auf eine bisher unbekannte Weise zum Einsatz kommen.

    Von Pierce durchgeführte Studien lassen vermuten, dass das Genom der Schnecken Gene enthält, die aus den Algen transferiert wurden. Das wäre eine unglaubliche biochemische Leistung, die für die Genmanipulation anderer Lebewesen wie Menschen von Belang sein könnte. Allerdings wurden diese Ergebnisse von Rumpho und ihren Kollegen sowie von einigen europäische Forschern angezweifelt.

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    Der Forscher Debashi Bhattacharya von der Rutgers University veröffentlichte vor Kurzem eine Studie in „Molecular Biology and Evolution“, die zeigte, dass die Tiere Gene exprimieren, welche ihr Immunsystem unterdrücken, wenn sie die Chloroplasten aufnehmen. Zeitgleich erhöhen sie die Aktivität jener Gene, die mit der Neutralisation reaktiver Chemikalien in Zusammenhang stehen.

    Diese Muster erinnern an die biochemischen Interaktionen, die in der Symbiose zwischen Korallen und ihren photosynthetischen Algen eine Rolle spielen.

    Die weitere Erforschung dieser Parallelen ist nur einer der vielversprechenden Forschungsbereiche, mit denen sich Wissenschaftler in Zukunft beschäftigen könnten. Genau wie andere Wissenschaftler hofft auch Bhattacharya, dass Elysia chlorotica weiterhin erforscht wird. Er selbst hat diesbezüglich aber keine Pläne.

    „Um das zu untersuchen, müsste man eine Möglichkeit finden, eine Menge dieser Schnecken zu züchten“, sagt er. „Ihre Seltenheit ist das Problem.“
     

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

     

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