Wissenschaftsethik: Darf man Kraken Ecstasy geben?

„Das ist ein bisschen so, als würde man eine außerirdische Intelligenz erforschen.“

Von Lori Cuthbert
Veröffentlicht am 21. Sept. 2018, 17:58 MESZ
Eine Kalifornische Zweipunktkrake. Exemplare dieser Art wurden auch bei einem Experiment mit MDMA benutzt, besser bekannt ...
Eine Kalifornische Zweipunktkrake. Exemplare dieser Art wurden auch bei einem Experiment mit MDMA benutzt, besser bekannt als Ecstasy.
Foto von David Liittschwager, National Geographic Creative

Was passiert mit Oktopoden, wenn man ihnen das Amphetamin MDMA verabreicht, besser bekannt als Ecstasy? Laut den Wissenschaftlern der Johns Hopkins University reagierten die Kopffüßer ähnlich wie Menschen auf die Droge. Das brachte die Forscher zu der Annahme, dass die Gehirne von Menschen und Oktopoden im Hinblick auf das Sozialverhalten ähnlich vernetzt sind. 

Wie aber steht es um die ethischen Implikationen des Experiments? War es in Ordnung, nichtsahnenden Oktopoden eine stimmungsverändernde Droge zu geben? Und was können wir aus Studien an Tieren lernen, die sich so maßgeblich von Menschen unterscheiden? 

Vor etwa drei Jahren entschlüsselten Forscher das Genom der Kalifornischen Zweipunktkrake. Nachfolgende Studien verglichen die Oktopoden-Gensequenz mit dem menschlichen Genom und fanden Abschnitte, die identisch waren, obwohl sich unsere evolutionären Wege schon vor etwa 500 Millionen Jahren getrennt haben. Die identischen Abschnitte betrafen auch bestimmte Neurotransmitter – Botenstoffe, die im Gehirn Erregungen zwischen Nervenzellen weiterleiten –, die mit sozialen Verhaltensweisen in Zusammenhang stehen.  

Um zu testen, ob diese Ähnlichkeiten sich tatsächlich im Verhalten widerspiegeln würden, gab das Forscherteam vier Kalifornischen Zweipunktkraken – höchst unsoziale Tiere – Ecstasy. Tatsächlich schien die Droge die Tiere zu entspannen und ihre Hemmungen abzubauen, sodass sie deutlich kontaktfreudiger wurden. 

Sie interagierten mit dem Oktopus im Nachbarkäfig, „umarmten den Käfig und legten ihren Schnabel an Teile des Käfigs“, sagte die Hauptautorin der Studie Gül Dölen, eine Neurowissenschaftlerin an der Johns Hopkins University. „Das ähnelt der menschlichen Reaktion auf MDMA sehr. Auch Menschen berühren sich dann gegenseitig ständig.“ 

Die Studienergebnisse, die in „Current Biology“ erschienen, deuten darauf hin, dass jene Bereiche im Gehirn von Menschen und Oktopoden, die das Sozialverhalten steuern, im Laufe der getrennten Evolutionswege gleichblieben. 

Mensch und Oktopus

Dölens Interesse an den Kopffüßern geht aber über deren Reaktion auf MDMA hinaus. Die wirbellosen Meeresbewohner sind näher mit Schnecken als mit sonstigen Tieren der Erde verwandt – und sie sind furchtbar intelligent. Oktopoden brechen regelmäßig aus ihren Aquarien aus, fressen ihre Mitbewohner und schlagen Steine so lange gegen Glaswände, bis sich darin Risse bilden. 

Oktopoden unterscheiden außerdem extrem von Menschen: Im Gegensatz zu Säugetieren haben sie keine Großhirnrinde, sind aber dennoch zu erstaunlichen kognitiven Leistungen fähig. 

„Das ist ein bisschen so, als würde man eine außerirdische Intelligenz erforschen“, sagt Dölen. „Das kann uns potenziell viel über die ‚Regeln‘ für den Aufbau eines Nervensystems verraten, welches komplexe kognitive Verhaltensweisen ermöglicht, ohne dass wir am zufälligen Aufbau von Gehirnen hängenbleiben.“ 

Die Untersuchung einer Art am anderen Ende des evolutionären Stammbaums kann auch die Mechanismen hinter bemerkenswerten Eigenschaften wie der Tarnung und der Regeneration von Gliedmaßen offenbaren, so Dölen. Das kann wiederum zu neuen Ideen in den Bereichen der Robotik und der Gewebezüchtung führen. Kraken verfügen noch über weitere wundersame Eigenschaften: Sie tragen Gene in sich, die mit Autismus in Zusammenhang stehen, können aber Aufgaben ausführen, die Menschen auf dem Autismusspektrum nicht ausführen können. Während manche Oktopoden nach ihrer ersten Fortpflanzung sterben, können andere viele Male Nachwuchs bekommen, was uns Einblicke in Alterungsprozesse gewähren könnte. 

BELIEBT

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    Die Kalifornischen Zweipunktkraken aus der Studie (der abgebildete Krake zählt nicht dazu) verhielten sich ähnlich wie Menschen, die Ecstasy genommen hatten.
    Foto von David Liittschwager, National Geographic Creative

    Geht es den Tieren gut? 

    Es bleibt die Frage, ob es so eine gute Idee ist, wirbellosen Meerestieren Partydrogen zu verabreichen. Mehrere Bioethiker äußerten sich gegenüber National Geographic dahingehend, dass das Experiment vermutlich im Rahmen des Zumutbaren ist, sofern die Tiere human behandelt, auf Anzeichen von Stress geprüft und gegebenenfalls aus dem Experiment entfernt und der Droge nicht so oft ausgesetzt wurden, dass sich eine Abhängigkeit entwickelte.

    Die unglaubliche Tarnfähigkeit von Oktopoden

    „Das oberste ethische Gebot ist, den Oktopus vor Schmerzen und Leid zu bewahren“, sagt Jennifer Blumenthal-Barby, eine Medizinethikerin des Baylor College of Medicine in Houston, Texas. 

    Ecstasy gilt als Stimmungsaufheller, wie Blumenthal-Barby hinzufügt. „Ihr Verhalten schien darauf hinzudeuten, dass sie die Auswirkungen der Droge ähnlich wie Menschen erlebten.“ 

    Für Craig Klugman, einen Bioethiker von der DePaul University, ist die Absicht ausschlaggebend: „Am wichtigsten ist vielleicht, dass die Forschung ein Ziel haben muss – dass sie ein Ergebnis hervorbringen will, welches der Veterinär- oder Humanmedizin nutzen kann“, sagt er. 

    In den USA unterliegen Tests an Oktopoden denselben Richtlinien wie Tests an Insekten und Würmern, erklärt Dölen. Vor zwölf Jahren machten europäische Behörden Oktopoden hingegen zu den einzigen wirbellosen Tieren, deren Tests denselben Richtlinien unterliegen wie Tests an Wirbeltieren. 

    Dölen zufolge befolgt ihr Labor bei den Krakenexperimenten die gleichen Richtlinien wie für Mäuse. Besonders aufschlussreich sei es laut ihr, dass sich die Kraken paarten, nachdem sie in ihr Aquarium im Woods Hole Oceanographic Institute in Massachusetts zurückgekehrt waren. Außerdem hätten die Oktopoden zu keinem Zeitpunkt ihr Tintensekret verspritzt, was ein deutliches Zeichen für Stress gewesen wäre. 

    „Ich sollte auch erwähnen, dass Oktopoden vielerorts gegessen werden“, so Dölen. „Und ich kann Ihnen sagen, dass unsere Tiere selbst bei den invasivsten Eingriffen, die wir im Rahmen von Forschungsarbeiten an ihnen durchführen, immer noch besser behandelt werden als die Tiere, die als Mahlzeit enden.“ 

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

    Oktopoden


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