Wie entscheiden wir, welche Arten bedroht sind?
Um Arten zu schützen, müssen Experten zunächst ihr Risiko auszusterben einschätzen – ein komplizierter Prozess, der viel Fachwissen erfordert.
Im Bereich des Artenschutzes geschehen von Zeit zu Zeit kleine Wunder. Der Weißkopfseeadler und die Arabische Oryx sind nur zwei solcher Beispiele.
Der Bestand der Adler war einst auf weniger als 500 Brutpaare zusammengeschrumpft. Neben der Jagd und dem Verlust von Lebensraum spielte dabei auch der großflächige Einsatz des Pestizids DDT eine Rolle. Es brachte den Kalziumhaushalt der Tiere durcheinander, die deshalb Eier mit dünneren Schalen legten. In den USA wurde die Substanz 1972 verboten. Ein Jahr später schaffte es der Vogel auf die Schutzliste des Endangered Species Act, der vom Aussterben bedrohte Arten in den USA schützen soll. Die Maßnahmen zeigten Wirkung: 34 Jahre später hatte sich der Bestand so gut erholt, dass der Weißkopfseeadler von der Liste gestrichen wurde.
Noch schlimmer als die Adler hatte es aber die Arabische Oryx getroffen, eine mittelgroße Antilopenart mit sehr langen, geraden Hörnern. Die Tiere wurden hauptsächlich als Trophäen gejagt und verschwanden in den Sechzigern aus ihrem ursprünglichen Verbreitungsgebiet im Nahen Osten. Die Weltnaturschutzunion, die den Schutzstatus von Tierarten auf der ganzen Welt auf Basis von Fakten und Zahlen bestimmt, stufte die Oryx daher als „in der Natur ausgestorben“ ein.
Allerdings gab es noch diverse Bestände in privaten Reservaten und Zoos. Bemühungen zur Wiederansiedelung der Art begannen in den Achtzigern und der Bestand wuchs schnell an. Schon 2011 gab es wieder mehr als 1.000 wildlebende Arabische Oryxe, sodass die Weltnaturschutzunion die Art auf den Status „gefährdet“ zurückstufte – eine beträchtliche Verbesserung. Damit waren diese Antilopen die ersten Tiere, die nach ihrer Klassifizierung als „in der Natur ausgestorben“ wieder den Status „gefährdet“ erreichen konnten.
Aber wie genau werden solche Entscheidungen gefällt?
Die Weltnaturschutzunion (IUCN) bewertet regelmäßig den Zustand aller Tierarten, für die ausreichend Daten vorliegen, um eine fundierte Entscheidung zu treffen, erklärt Jon Paul Rodríguez, der Vorsitzende der IUCN Species Survival Commission. Diese Kommission setzt sich aus mehr als 8.000 Wissenschaftlern in 162 Ländern zusammen.
Die Organisation beschließt dann, an welcher Stelle des Spektrums eine Tierart anzusiedeln ist: ausgestorben, in der Natur ausgestorben, vom Aussterben bedroht, stark gefährdet, gefährdet, potenziell gefährdet und nicht gefährdet.
Galerie: Preisgekrönte Wildtierfotos vom „Ritter der Goldenen Arche“
Für diese Entscheidung zieht die Kommission diverse Daten heran. Wichtig sind Faktoren wie das Verbreitungsgebiet und die Fragmentierung einer Population – denn wenn es zwar mehrere Populationen gibt, diese aber recht klein und noch dazu isoliert voneinander sind, kann es schneller zu Inzucht kommen, was sich negativ auf die Gesundheit und Überlebenschancen der Tiere auswirkt.
Auch die Entwicklung der Population über die letzten drei Generationen oder die letzten zehn Jahre (ausschlaggebend ist der längere Wert) hinweg ist aussagekräftig. Neben der Populationsgröße muss außerdem beachtet werden, welcher Anteil auf tatsächlich fortpflanzungsfähige Tiere entfällt.
Für all diese Kriterien gibt es bestimmte Grenzwerte, deren Überschreiten zur Einstufung in eine neue Gefährdungskategorie führen kann. Je nach den individuellen Besonderheiten einer Tierart müssen die Kriterien in Abhängigkeit voneinander beurteilt werden.
Rodriguez zufolge bildet die Gruppe Wissenschaftler intensiv aus, damit sie derartige Entscheidungen treffen können. „Das ist eine ziemlich komplizierte wissenschaftliche Aufgabe“, sagt er.
Der Weltnaturschutzunion geht es vor allem darum, fundierte wissenschaftliche Erkenntnisse zu präsentieren, denn sie selbst hat keinerlei rechtliche Befugnisse. „Wir produzieren Daten“, sagt er, „und ermutigen die Gesellschaft dann, diese Eischätzungen in ihren Entscheidungsfindungsprozessen zu berücksichtigen.“
Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.
Artenschutz
Die Ranger von Virunga: Blutzoll für den Artenschutz
Der Virunga-Nationalpark gehört zu den gefährlichsten der Welt. Immer wieder kommt es zu Todesfällen und Entführungen.
Artensterben: „Ohne die Natur haben wir keine Zukunft.“
Ein globaler Bericht warnt vor den verheerenden Folgen des Massensterbens. Noch bleibt ein kleines Zeitfenster, um den Planeten und damit auch uns selbst zu schützen.
Ohne Erbarmen – und ohne Sinn
Schuppentiere tragen ein exotisches Panzerkleid. Das macht die scheuen Wesen zur Zielscheibe von Wilderern – denn die Schuppen gelten als unverzichtbare Zutat für fragwürdige Heilmittel.