Die Ranger von Virunga: Blutzoll für den Artenschutz

Der Virunga-Nationalpark gehört zu den gefährlichsten der Welt. Immer wieder kommt es zu Todesfällen und Entführungen.

Von Jani Actman
Veröffentlicht am 19. Juni 2018, 16:40 MESZ
Emmanuel de Merode – flankiert von Leibwächtern im Hauptquartier von Virunga – hat den Nationalpark durch ...
Emmanuel de Merode – flankiert von Leibwächtern im Hauptquartier von Virunga – hat den Nationalpark durch ein besonders blutiges Jahrzehnt geführt.
Foto von Brent Stirton, Getty, National Geographic Creative

Emmanuel de Merodes Flieger war gerade gelandet, als er sein Handy einschaltete und die Nachricht sah, die dem Leiter des Virunga-Nationalparks in dieser Form bereits schmerzhaft vertraut war: Ein weiterer der über 700 Ranger, die das riesige Reservat im Osten der Demokratischen Republik Kongo (DRK) bewachen, wurde während der Arbeit erschossen. De Merode hatte geplant, etwas Zeit mit seiner Tochter zu verbringen – stattdessen flog er sofort zurück nach Virunga.

Die 25-jährige Rachel Masika Baraka wurde am 11. Mai getötet, als sie versuchte, zwei britische Touristen vor bewaffneten Männern zu schützen, die die Besucher entführen wollten. (Die beiden wurden kurze Zeit später befreit, allerdings ist unklar, ob die 200.000 Dollar Lösegeld bezahlt wurden.) Baraka ist einer von mehr als 170 Rangern, die in den letzten 20 Jahren starben, um die wilden Tiere des Nationalparks und seine Besucher zu beschützen. Viele der Gäste kommen, um die Tiere zu sehen – insbesondere die berühmten Berggorillas.

Die Welle der Gewalt, die aktuell über Virunga hinwegschwappt, ist die schlimmste seit zehn Jahren, erzählt de Merode, der 2008 die Stelle des Nationalparkleiters übernahm. Allein während der letzten zwölf Monate seien ihm zufolge 16 Angestellte getötet worden. Nur einen Monat vor dem Tod Barakas schossen vier bewaffnete Männer fünf Ranger und einen Fahrer nieder – der blutigste Angriff in der jüngeren Geschichte des Parks, der zu den ältesten in ganz Afrika zählt.

Virunga wurde 1979 zum UNESCO-Welterbe erklärt und hat sich einen zweifelhaften Ruf als einer der gefährlichsten Nationalparks in ganz Afrika erarbeitet. Der Park beherbergt eine einzigartige Artenvielfalt. Neben zahlreichen anderen Tieren tummeln sich dort Löwen, Elefanten und die seltenen Berggorillas, die durch den Verlust ihres Lebensraums und den Unruhen der zwei Bürgerkriege des Landes – einer in den Sechzigern und einer von 1997 bis 2003 – bedroht sind. Zudem hat der Park mit Angriffen regierungsfeindlicher Rebellen und lokaler Milizen zu kämpfen, ganz zu schweigen von der Elefantenwilderei, der Jagd nach dem Fleisch wilder Tiere, unlizenzierter Fischerei und der Abholzung der Bäume für die Köhlerei.

Zusammen mit dem Chef-Ranger Innocent Mburanumwe nahm de Merode 2015 die Auszeichnung als Rolex National Geographic Explorers of the Year im Namen aller Ranger des Parks entgegen. Auf dem National Geographic Explorers Festival in Washington, D.C. sprach er über die Herausforderungen, denen sich die Ranger des Virunga-Nationalparks stellen müssen, um einen der letzten wilden Orte in Afrika zu beschützen. Die National Geographic Society verkündete im Rahmen seines Auftritts, die Virunga-Ranger mit 100.000 Dollar zu unterstützen.

Wir sprachen mit de Merode darüber, was Menschen überhaupt dazu motiviert, als Ranger zu arbeiten, was der Park tut, um sie zu schützen, und wie es der Population der Berggorillas geht. Das Interview wurde zugunsten von Länge und Deutlichkeit redigiert.

Wodurch kommt es zu der vermehrten Gewalt in Virunga?

Sie ist Teil einer extrem komplexen Situation im Osten des Kongo. Das passiert im gesamten Osten, nicht nur in Virunga. Durch die Entnahme natürlicher Ressourcen aus dem Park werden enorme finanzielle Erträge generiert, die auf mehr als 170 Millionen Dollar für das Jahr 2017 geschätzt wurden. Das stellt eine der großen Einnahmequellen für die bewaffneten Milizen in der Region dar.

Viele der kürzlich erfolgten Angriffe endeten im Tod von Rangern, die Zivilisten beschützten. Können Sie das erklären?

In den letzten Jahren haben die Milizen ihre Einnahmen durch Angriffe auf Fahrzeuge ergänzt, die den Park durchqueren. Aufgrund der zahlreichen Angriffe kam es zu einer hohen Zahl von zivilen Todesopfern. Wenn sich Leute durch den Park bewegen, liegt es in der Verantwortung des Parks, ihre Sicherheit zu garantieren. Das ist demnach eine zusätzliche Verantwortung für die Ranger. Sie müssen sie beschützen, und das war unglaublich schwierig, aber auch sehr erfolgreich. 2015 gab es sehr viele Angriffe, die zu 124 Fällen führten, bei denen es zu Todesopfern, schweren Verletzungen oder Entführungen von Zivilisten kam. 2016 sank diese Zahl auf 79 und 2014 sogar auf 24.

Wodurch kommt dieser Erfolg zustande?

Es gab bedeutende Investitionen, um die Zahl der Ranger zu erhöhen und – was noch wichtiger ist – sie auf hohem Niveau auszubilden, damit sie diese Arbeit verrichten können. Die Zahl der Ranger ist von 230 im Jahr 2011 auf die aktuelle Zahl von 731 gestiegen. Zudem hat sich das Durchschnittsalter der Ranger von 49 auf 29 reduziert, was auch sehr aussagekräftig ist. Das liegt daran, dass wir sie jünger rekrutieren.

BELIEBT

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    Ein Silberrücken im Dschungel von Virunga – der Heimat der vom Aussterben bedrohten Berggorillas.
    Foto von Brent Stirton, Getty, National Geographic Creative

    Warum entscheidet sich jemand dafür, ein Ranger zu werden, wo der Job doch so gefährlich ist?

    Auf der ganzen Welt entscheiden sich Leute dafür, im Dienst der Öffentlichkeit gefährliche Arbeit zu verrichten, das ist also einer Gründe. Aber es gibt auch andere. Es ist eine berufliche Laufbahn an einem Ort, an dem solche Karrieren nicht so leicht zugänglich sind. In dem Gebiet um Virunga gibt es eine Arbeitslosenquote von 70 Prozent. Außerdem hat der Schutz von wilden Tieren dort eine lange Tradition. Der Artenschutz in Afrika wurde in Virunga geboren, und viele der Ranger, die sich für diesen Job entscheiden, sind die Kinder oder Enkel von Rangern.

    Wie ist es so, an einem Ort zu arbeiten, an dem Sie und Ihre Kollegen immerzu von Gewalt bedroht sind?

    In meinem Fall habe ich mir das so ausgesucht. Ich wollte schon mein ganzes Leben lang im Bereich des Artenschutzes arbeiten, und dafür gibt es auf der ganzen Welt keinen spektakuläreren Ort als Virunga. Es ist das beste Leben, das ich als Artenschützer haben könnte. Die Risiken, die mit dem Job einhergehen, muss man natürlich bewältigen. Ich bin der Leiter des Parks, daher werde ich von meinen Kollegen sehr gut geschützt. Ich fühle mich nicht so unsicher, wie man vielleicht meinen könnte. Ich fühle mich in den Händen der Virunga-Ranger sehr sicher.

    Wie haben Sie sich gefühlt, als sie von Barakas Tod erfahren haben?

    Das ist für jemanden in meiner Situation das Schlimmste, weil ich letztendlich die Verantwortung trage. Das ist jetzt schon so oft passiert, aber jedes Mal, wenn einer unserer Ranger getötet wird, empfinde ich dafür eine überwältigende Verantwortung. Man kann eigentlich nie zu viel tun, um sie zu schützen. Jedes Mal, wenn etwas so Schreckliches passiert, hinterfragt man also eine ganze Menge. Das sind die ersten Emotionen, die man fühlt, und danach hat man für solche Gefühle keine Zeit mehr. Man informiert sich und macht seinen Job, der darin besteht sicherzustellen, dass niemand anderes gefährdet ist und dass die Situation schnellstmöglich unter Kontrolle gebracht wird.

    Was wird zum Schutz der Ranger getan?

    Das Wichtigste sind natürlich die Ausbildung, die Ausrüstung und die Führung, die sie erhalten. Das müssen wir konstant weiterentwickeln und verbessern. Es gibt aber auch andere Dinge – die Ranger tragen mittlerweile Panzerwesten, wie sie auch bei modernen Polizeieinsätzen getragen werden. Wir investieren in ihre medizinische Betreuung. Außerdem steht auch die Frage einer Langzeitstrategie im Raum, mit der die Gewalt bekämpft werden kann. Dabei geht es im Grunde darum, sich sehr intensiv mit den lokalen Gemeinden zu befassen, die aus mehr als vier Millionen Menschen bestehen, die innerhalb eines Tagesmarsches zu den Grenzen des Parks leben. Es geht darum zu versuchen, mit ihnen zusammenzuarbeiten, um die Wirtschaft von einer – wie wir es nennen würden – Kriegswirtschaft wegzubewegen, die an den Schmuggel natürlicher Ressourcen gebunden ist, und hin zu einer grünen Wirtschaft, die dabei hilft, das Land wiederaufzubauen.

    Gibt es Grund, daran zu glauben, dass sich die Situation für die Ranger verbessern wird?

    Natürlich hoffen wir darauf, dass es besser wird – aber wir müssen für den Fall planen, dass sich die Situation drastisch verschlechtert. Auf Basis dieser Annahme machen wir uns natürlich insbesondere große Sorgen um die unmittelbare Zukunft. Aber das Team vermittelt mir das Gefühl, dass es fest entschlossen ist, weiterzumachen. Die Moral ist überraschend hoch – trotz der unglaublichen Schwierigkeiten, mit denen sie in den letzten Monaten zu kämpfen hatten.

    Ein Stimmungsaufheller war sicherlich die Neuigkeit, dass die Zahl der Berggorillas sich auf mehr als tausend Tiere erhöht hat von den 380 Tieren im Jahr 2003 und den 881 im Jahr 2011.

    Die Berggorillas sind wirklich ein Ausdruck dessen, was Virunga erreichen kann, eine unglaubliche Erfolgsgeschichte. Ich erinnere mich noch, wie ich 15 war und meine Eltern mir sagten, dass ich keine Berggorillas mehr sehen würde, wenn ich älter bin, weil sie dann ausgestorben wären. Der Tourismus hat dabei eine Rolle gespielt und auch die Gemeinden vor Ort haben die Tiere sehr aktiv geschützt. Aber wenn die Ranger nicht da wären, um sie zu beschützen, wäre es letztendlich wohl unwahrscheinlich gewesen, dass sie auf diese Weise überlebt und sich erholt hätten.

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