Wölfe: „Gekommen, um zu bleiben“

Wie sicher sind wir beim Waldspaziergang? Wie schützen wir Weidevieh? Der Wiener Wildbiologe Klaus Hackländer erklärt den Wolf.

Von Stefan Wagner
Veröffentlicht am 16. Aug. 2021, 11:16 MESZ
Zwei europäische Wölfe heulen

Die August 2021-Ausgabe des NATIONAL GEOGRAPHIC Magazins behandelt unter anderem das Thema "Der Wolf und wir: Können Raubtier und Mensch zusammenleben?" Das Interview mit Wildbiologe Klaus Hackländer ist Teil der großen Titelstory.

Foto von bennytrapp - stock.adobe.com

Herr Hackländer, wird der Wolf irgendwann wieder verschwinden, so wie er gekommen ist?

Darauf deutet derzeit nichts hin. Die Wolfspopulation in Zentraleuropa verdoppelt sich etwa alle drei Jahre. Der Wolf passt sich gut an die Kulturlandschaft an und ist auch bei der Beutewahl nicht wählerisch. Er ist gekommen, um zu bleiben. Begrenzende Faktoren sind am ehesten freie Territorien, in die Jungtiere in ihrem zweiten Lebensjahr wandern können, wenn sie ihr Rudel verlassen. Ob der Schutz von Wölfen bei dieser Ausbreitungsgeschwindigkeit zeitgemäß ist, wird in Fachzirkeln heftig diskutiert.

Müssen wir beim Waldspaziergang Angst haben?

Wölfe sind gefährlich! Aber nur für Rotwild, Rehe, Schafe oder Wildschweine. Für Menschen sind sie keine besondere Bedrohung. Die wenigen historischen Berichte, die es über Wolfsangriffe gibt, können häufig nicht verifiziert werden. Für die Zeit ab 1950 sind in ganz Europa 59 Wolfsattacken dokumentiert, bei denen neun Menschen starben. Fünf der tödlichen Angriffe gingen von Wölfen mit Tollwut aus. Von 1800 bis heute gibt es für Deutschland, Österreich und die Schweiz sehr, sehr wenige Berichte, die einen Wolfsangriff auf einen Menschen beschreiben.

Was kann man tun, wenn man einem Wolf begegnet?

Erstens: Ruhe bewahren. Zweitens: sich freuen, dass man einen Wolf in freier Wildbahn erleben darf. Menschen entsprechen nicht dem Beuteschema von Wölfen. Ihre normale Reaktion ist Flucht. Manchmal aber nähern sich junge und neugierige Tiere dem Menschen. In jedem Fall sollte man möglichst groß erscheinen, also die Arme bewegen und in die Höhe strecken, Lärm machen, Stöcke werfen. Ansonsten: langsam zurückziehen, dabei dem Wolf nicht den Rücken zukehren. In Gebieten mit hohem Wolfsvorkommen kleine Kinder nicht abseits der Gruppe spielen lassen, Hunde anleinen oder gar nicht mitnehmen. Und vor allem: Keine Angst, denn sie ist nicht wirklich nötig.

Was macht den Wolf zu einem so erfolgreichen Beutegreifer?

Der Wolf ist perfekt für die Jagd ausgerüstet: Seine Nase ist der des Menschen hundert- bis tausendfach überlegen, er kann Wildtiere über Kilometer hinweg riechen. Auch die Ohren sind erstaunlich, sie nehmen Töne bis zu einer Frequenz von 42 Kilohertz wahr. Der Mensch liegt bei maximal 20 Kilohertz. Wölfe hören Geräusche im Ultraschallbereich, etwa Laute, mit denen Mäuse kommunizieren. Sie sind extrem gute und ausdauernde Läufer, können schon mal 50 Kilometer in einer Nacht zurücklegen. Und sie haben ein sehr spannendes Sozialverhalten im Rudel. Zum Beispiel ist der „Alphawolf “ ein Mythos, das Rudel ist sehr kooperativ strukturiert.

Warum fasziniert der Wolf den Menschen so?

Er ist das größte Raubtier in unseren Breiten. Aber viel von der Faszination ist schwer rational erklärbar: Als ich einmal in Slowenien in einer entlegenen Hütte übernachtete und in der Nacht im Wald ein Rudel anfing zu heulen, lief mir schon ein Schauder den Rücken hinunter.

Wissen kompakt: Wölfe
Durchdringender Blick und markerschütterndes Geheul: Wölfe werden ebenso bewundert wie kontrovers diskutiert. Wie viele Arten dieser charismatischen Tiere gibt es, was macht das Heulen jedes Wolfes einzigartig und wie funktioniert ein Rudel?

Wie kann man Herdentiere am besten schützen?

Die einfachste und billigste Methode ist sicherlich das Abschießen der Wölfe. Die komplexere und aus gesetzlichen Gründen einzig gangbare Methode ist der Herdenschutz. Der ist aber niemals hundertprozentig. Erfahrungen aus Ländern mit traditioneller Wolfspräsenz zeigen, dass der beste Schutz eine Kombination von Zäunen, Hirten und Hunden ist. Ein gewöhnlicher Zaun reicht nicht, es müssen Elektrozäune sein, die am besten etwa 1,20 Meter hoch sind. Doch selbst diese können Wölfe überwinden, wenn sie sich mit dem Hindernis vertraut gemacht haben.

Solche Schutzmaßnahmen sind aber sehr aufwendig.

Klar, der Schutz vor Wölfen ist nicht billig. Wir müssen aber auch überlegen, wie viel uns Biofleisch und die Pflege naturschutzfachlich wertvoller Weideflächen wert ist. Letztlich geht es darum: Wollen wir traditionelle Weidewirtschaft mit Hirten, die natürlich auch bezahlt werden müssen, mit ausgebildeten Hunden und funktionierenden Zäunen, oder sollen die Nutztiere wieder zurück in die Ställe? Auch die Kompensation von Wolfsschäden ist natürlich teuer. In den meisten Ländern gibt es für die Bauern finanzielle Unterstützung für Herdenschutzmaßnahmen und Ausgleichszahlungen, wenn ein Wolf Tiere reißt.

Kehlbiss und Blutrausch – ist der Wolf mordlustig?

Er tut, was er in der Natur tun muss, um sich zu ernähren und zu überleben. Ein Wolf frisst drei bis fünf Kilogramm Fleisch täglich – das entspricht etwa 130 Rehen im Jahr. Und der Wolf ist ein ziemlich effektiver Jäger. Mit dem Kehlbiss, der die Beute erdrosselt, versucht der Wolf das Tier außer Gefecht zu setzen und einen aufwendigen Kampf zu vermeiden. Auch der Blutrausch ist kein Resultat von Bösartigkeit. „Massaker“ an Weidetieren erklären sich dadurch, dass die Beute nicht flieht. Unter natürlichen Bedingungen würde ein Wolf beim Angriff auf ein Hirschrudel ein Tier töten und dann fressen. Die anderen Hirsche würden fliehen. In einem Gehege können die Tiere nicht weglaufen, dies löst den Tötungsreflex beim Wolf wiederholt aus – im Extremfall, bis sich rundum nichts mehr bewegt.

Wo kann ich Wölfe beobachten?

Am ehesten in Zoos und Wolfsgehegen. In freier Natur braucht man schon viel Glück und gute Revierkenntnisse. Wölfe sind scheu und überwiegend nachtaktiv. Nur dort, wo sie keine Menschen zu fürchten brauchen, sind sie auch tags unterwegs. In Schutzgebieten steigt also die Wahrscheinlichkeit, einem Wolf zu begegnen. Übrigens nehmen Wölfe Autos oder Häuser nicht als Bedrohung war. Sie meiden zwar den Menschen, nicht aber menschliche Strukturen. Gute Chancen, Wölfe zu sehen, gibt es auch an „Rendezvousplätzen“, wo ein Rudel zu Körperpflege und Kommunikation zusammenkommt.

Klaus Hackländer, 51, leitet das Institut für Wildbiologie und Jagdwirtschaft an der Universität für Bodenkultur in Wien. Seit Jahresbeginn ist der Wildbiologe Vorstandsvorsitzender der Deutschen Wildtier Stiftung in Hamburg. Er ist Verfasser des Buches „Er ist da“, Ecowin Verlag.

Die August 2021-Ausgabe des NATIONAL GEOGRAPHIC Magazins steht unter dem Motto "Der Wolf und wir: Können Raubtier und Mensch zusammenleben?"

Foto von National Geographic

Dieser Artikel erschien in voller Länge und mit vielen weiteren Informationen über Wölfe in der August 2021-Ausgabe des deutschen NATIONAL GEOGRAPHIC Magazins. Keine Ausgabe mehr verpassen und jetzt ein Abo abschließen! 

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