Gleichberechtigung bei den Kolibris: Warum Weibchen manchmal wie Männchen aussehen

Das Gefieder des weiblichen Weißnackenkolibris ähnelt manchmal dem des Männchens. Wissenschaftler haben erforscht, wieso, und herausgefunden, dass sich nicht immer alles um die Fortpflanzung dreht.

Von Priyanka Runwal
Veröffentlicht am 2. Sept. 2021, 14:37 MESZ
Manche weiblichen Weißnackenkolibris tragen dasselbe auffällige farbenprächtige Gefieder wie die Männchen der Spezies.

Manche weiblichen Weißnackenkolibris tragen dasselbe auffällige farbenprächtige Gefieder wie die Männchen der Spezies.

Foto von Joël Sartore, National Geographic Photo Ark

In der Vogelwelt sind es hauptsächlich die Männchen, die mit einem schönen bunten Federkleid beeindrucken können – meistens zu dem Zweck, Weibchen von sich zu überzeugen. Der Pfauhahn, nicht die Pfauhenne, schlägt ein großes, schillerndes, blau-grünes Rad. Das Gefieder des männlichen Rotkardinals leuchtet in knalligem Rot, während die Federn des Weibchens unscheinbar hellbraun sind. Der männliche Weißnackenkolibri, ein winziger Tropenvogel, hat einen blauen Kopf und einen leuchtend grünen Rücken, das Federkleid des Weibchens ist dagegen generell eher trist – aber nicht immer.

Wissenschaftler haben die Art in Panama erforscht und eine überraschende Entdeckung gemacht: Bei fast 30 Prozent der mehr als 120 untersuchten weiblichen Weißnackenkolibris handelte es sich um Weibchen, die so auffällig gefiedert waren wie die Männchen der Spezies. Die aus dieser Entdeckung resultierende Studie, die in der Zeitschrift „Current Biology“ erschienen ist, kommt zu dem Ergebnis, dass das männlich anmutende Federkleid die Weibchen davor schützt, an der Futterstelle von anderen Kolibris schikaniert zu werden.

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Im Dschungel Ecuadors trotzt eine Flaggensylphe den schweren Regentropfen, um nicht zu verhungern. Szenen aus „Feindselige Erde“.

„Das leuchtende Gefieder wird von Artgenossen mit Aggression in Verbindung gebracht“, erklärt Jay Falk, Evolutionsökologe an der University of Washington in Seattle und Leiter der Studie. „Indem die Weibchen aussehen wie Männchen, entgehen sie dem Mobbing durch andere Kolibris und sichern sich einen besseren Zugriff auf Nektar.“

Sara Lipshutz ist Evolutionsbiologin an der Indiana University in Bloomington und hat an der Studie nicht mitgewirkt. Diese zeige ihr zufolge nicht nur, welche Rolle die selten auftretende Schmuckfärbung des Gefieders von weiblichen Vögeln spielt. Die Studie mache außerdem darauf aufmerksam, dass sich derartige Merkmale in der Evolution nicht nur aus Gründen der Fortpflanzung durchsetzen, sondern auch soziale Funktionen erfüllen können, so Sara Lipshutz.

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Grelle Farben, riesige Hörner, besonders ausgebildete Schwänze und Kehllappen: Auffällige Schmuckmerkmale werden an männlichen Tieren schon lange erforscht. Da sie an Weibchen nur selten zu finden sind, wurde ihre Funktion in dieser Hinsicht bis vor zwei Jahrzehnten überhaupt nicht untersucht. Die traditionelle Sichtweise, die auch Charles Darwin vertrat, besagt, dass männliche Merkmale bei weiblichen Tieren überhaupt keinen Nutzen hätten und nur aus dem Grund in Erscheinung treten würden, da die beiden Geschlechter eine sehr ähnliche DNA teilten. „Diese veraltete Idee ignoriert die weibliche Wirkungsmacht komplett“, sagt Sara Lipshutz.

Inzwischen kommen aber eine Reihe von Forschungen zu dem Ergebnis, dass von Fischen über Vögel bis hin zu anderen Taxa die Weibchen verschiedener Arten ihr Aussehen einsetzen, um Partner zu finden oder besseren Zugang zu Ressourcen zu gewinnen.

Dass dies auch für Kolibris gilt, stellte sich heraus, als in Museen für aktuelle Forschungen Exponate von 209 verschiedenen Arten der Familie untersucht wurden. Es zeigte sich, dass ein kleiner Teil der Weibchen von 47 dieser Arten aussah wie die Männchen der Spezies. Ein Wert, der darauf hindeutet, dass es sich hierbei nicht um zufällige Ausnahmen handelt.

Eine der 47 untersuchten Arten war der Weißnackenkolibri. Jay Falk und seine Kollegen fragten sich, ob das Schmuckgefieder den Weibchen dabei hilft, aus der Masse unauffälligerer Weibchen herauszustechen und leichter einen Partner zu finden – oder ob ihnen die bunten Federn möglicherweise einen besseren Zugang zu Ressourcen verschaffen.

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    Zunächst wollten die Wissenschaftler jedoch herausfinden, ob die buntgefiederten Weibchen in dem Forschungsgebiet in der kleinen panamaischen Stadt Gamboa häufiger vorkamen als ihre unscheinbaren Artgenossinnen. Hierzu fingen sie zwischen 2015 und 2019 Weißnackenkolibris in Netzen und untersuchten sie: Von allen gefangenen Kolibris waren fast 30 Prozent der mehr als 120 Weibchen, sowohl ausgewachsene als auch junge, buntgefiedert wie Männchen.

    Um eine Erklärung für den größeren Erfolg der buntgefiederten Weibchen zu finden, installierte Jay Falk drei verschiedene Kolibri-Attrappen – farblose Weibchen, bunte Weibchen und Männchen – an den Futterstellen und beobachtete, wie die Weißnackenkolibris mit ihnen interagierten. Alle Attrappen waren zornigem Picken und Schlägen ausgesetzt, doch die unscheinbaren Weibchen waren weitaus aggressiverem Verhalten durch Weißnacken- und andere Kolibriarten ausgesetzt als die buntgefiederten. Videoaufnahmen zeigten, dass unauffällige Weibchen häufiger von anderen Besuchern der Futterstelle verjagt wurden, als es bei denen mit Schmuckgefieder der Fall war.

    „Wir sehen also: Mit bunten Federn ist der Vogel an der Futterstelle weniger Schikanen ausgesetzt“, sagt National Geographic Explorer Dustin Rubenstein, Evolutionsökologe an der Columbia University in New York und Co-Autor der Studie.

    Doch wenn das Schmuckgefieder von so großem Vorteil ist, warum tragen es dann nicht alle Weibchen? Der Grund ist, dass das farbenprächtige Gefieder nicht nur sehr pflegeintensiv ist, sondern auch ein Risiko birgt. Weibliche Kolibris ziehen ihre Jungen alleine groß, was sie viel Energie kostet. „Wenn man leuchtend bunte Federn hat und auf einem braunen Nest in einem grünen Baum sitzt, fällt man garantiert auf“, so Dustin Rubenstein. „Dann passiert es schneller, dass man aufgefressen wird.“

    Die buntgefiederten Jungtiere ziehen aus ihrer Färbung vermutlich denselben Vorteil wie die Weibchen: Sie sind an der Futterquelle weniger Repressalien ausgesetzt. „Bis zur Geschlechtsreife zu überleben, ist schwer“, erklärt Jay Falk. „Die einzige Aufgabe, die Jungtiere haben, ist es, irgendwie bis zum nächsten Jahr am Leben zu bleiben, damit sie sich fortpflanzen können.“

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