Mein Hund, das Individuum: Welchen Einfluss die Rasse auf das Verhalten hat
Bisher bestand die Überzeugung, dass das Wesen eines Hundes zu einem großen Teil durch seine Rasse bestimmt wird. Eine neue Studie hat diesen Zusammenhang nun geprüft – und kommt zu einem unerwarteten Ergebnis.
Mutig, aufmerksam, freundlich oder entspannt – wie stark das Wesen eines Hundes durch seine Rassenzugehörigkeit bestimmt wird, hat nun eine neue Studie untersucht.
Dackel sind eigensinnig, Golden Retriever gutmütig, Doggen entspannt und Deutsche Schäferhunde mutig: Bei der Entscheidung für einen Hund spielt für zukünftige Halter neben Faktoren wie dem nötigen Auslauf und dem Pflegeaufwand vor allem das Wesen des neuen Haustieres eine Rolle – und dieses wird bei Hunden so stark wie bei keiner anderen Tierart eng mit der Rasse verknüpft. Wer sich einen Labrador zulegt, tut das unter Umständen vor allem deswegen, weil er sich einen unkomplizierten Familiengefährten wünscht – und auf die weithin bekannte Stereotypbeschreibung dieser Hunderasse vertraut.
Eine neue Studie, die in der Zeitschrift Science erschienen ist, zeigt nun jedoch, dass die Verbindung zwischen Rasse und Verhalten bei weitem nicht so stark ausgeprägt ist, wie bisher angenommen.
Galerie: Hunderassen im Porträt
Wie eng sind Genetik und Verhalten verknüpft?
Für ihre Studie hat Elinor Karlsson, Hauptautorin und Professorin für Molekularmedizin an der UMass Chan Medical School in Worcester, Massachusetts, mithilfe der Open-Source-Datenbank Darwin's Ark DNA-Proben von über 2.000 reinrassigen Hunden und Mischlingen gesammelt, die von dem Forschungsteam im Rahmen einer genomweiten Assoziationsstudie (GWAS) untersucht wurden.
Hierbei handelt es sich um eine Methode der Genanalyse, die genetische Variationen des Genoms, die gemeinsam mit einem bestimmten Merkmal des Organismus auftreten, betrachtet. Dabei liegt das Hauptaugenmerk auf den sogenannten Haplotypen: bestimmte Blöcke oder Reihen von Genvarianten an einer bestimmten Stelle eines bestimmten Chromosoms, die gemeinsam vererbt werden. Anhand solcher Genomsequenzen von Menschen mit derselben Krankheit können beispielsweise die Bereiche im Genom identifiziert werden, die Ursache oder Voraussetzung für bestimmte Krankheiten sein können.
„Ist eine ausreichend große Stichprobenmenge gegeben, sind genomweite Assoziationsstudien ein wirklich leistungsfähiges Instrument, um mehr über die Genetik herauszufinden", sagt Kathleen Morrill, Doktorandin an der UMass Chan und Erstautorin der Studie.
Informationen über das Verhalten von Hunden verschiedener Rassen zogen die Forschenden aus den Antworten in Fragebögen, die Hundehaltern ebenfalls auf Darwin’s Ark zur Verfügung gestellt wurden. Mehr als 18.000 Hundebesitzer gaben auf diese Weise Auskunft zu Verhaltensmerkmalen Gehorsam, Kontaktfreudigkeit oder dem Interesse ihrer Hunde an Interaktion und Spielzeug. Außerdem machten sie, beruhend auf den vom American Kennel Club veröffentlichten Standards, Angaben zu körperlichen und ästhetischen Merkmalen der Tiere.
Die Wissenschaftler kombinierten im nächsten Schritt die Daten aus Genanalyse und Umfrage, um die Verbindung von Genetik und Verhaltensmerkmalen bei 78 verschiedenen Hunderassen zu prüfen. Insgesamt konnten dabei elf Stellen im Hundegenom identifiziert werden, die in einem starken Zusammenhang mit Verhaltensunterschieden stehen. Das Team stellte fest: Keine dieser Stellen war rassespezifisch. So gibt es also durchaus Genomsequenzen, die das Verhalten beeinflussen – diese kommen jedoch in einzelnen Hunden unabhängig von deren Rasse vor.
Rassespezifische Unterschiede nur äußerlich
Deutliche rassenspezifische genetische Unterschiede zeigten sich nur in Genen, die Fellfarbe, Felllänge und andere körperliche Merkmale steuern. Eine Vorhersage über die körperlichen Merkmale eines Hundes basierend auf der Rasse war somit im Vergleich fünfmal so häufig möglich wie eine Vorhersage über das Verhalten.
Der Einflussanteil, den die Rassezugehörigkeit am Wesen eines individuellen Hundes hat, liegt der Studie zufolge lediglich bei neun Prozent. Andere Faktoren wiegen demnach in Bezug auf gewisse Verhaltensmerkmale erheblich schwerer: Auf den Spieltrieb eines Hundes hat beispielsweise das Alter einen deutlich größeren Einfluss.
Dass es Verhaltensweisen gibt, die spezifisch nur bei einer Hunderasse vorkommen, konnte in der gesamten Studie nicht nachgewiesen werden – zu jedem Stereotyp gibt es Ausnahmen, die ihn widerlegen. So gaben zum Beispiel 90 Prozent der Halter von Windhunden an, dass ihre Hunde niemals ihr Spielzeug vergraben. Drei Windhunde in der Kohorte taten dies jedoch leidenschaftlich gern. Unter den untersuchten Labradoren – einer Rasse, die eigentlich nicht zum Heulen neigt – heulten acht Prozent der Tiere trotzdem ab und an.
Die Daten der an der Studie teilnehmenden Mischlingshunde dienten den Wissenschaftlern zur Prüfung der Vererbbarkeit bestimmter Verhaltensweisen. Dabei zeigte sich, dass einige Verhaltensmerkmale wie Gehorsam durchaus mit der Rassenzugehörigkeit in Zusammenhang stehen – und ihre Vererbbarkeit die Generationen überdauert. Über weniger vererbbare und rassedifferenzierende Merkmale wie zum Beispiel Schreckhaftigkeit oder Erregbarkeit kann der Studie zufolge nur anhand der Rasse jedoch keine Vorhersage getroffen werden.
„Die Persönlichkeit und das Verhalten eines Hundes werden von vielen Genen und Lebenserfahrungen geprägt. Das macht es schwierig, diese Eigenschaften durch Züchtung zu beeinflussen“, erklärt Elinor Karlsson. „Reine Hunderassen unterscheiden sich in den meisten Fällen nur geringfügig von anderen Hunden.“ So sei bei einem Golden Retriever die Wahrscheinlichkeit, dass er freundlicher ist, nur geringfügig höher als bei einem Mischling oder einem anderen reinrassigen Hund. Die rassespezifischen Merkmale, die tatsächlich von den Genen bestimmt werden, sind Karlsson zufolge physische Kriterien: die Ohrenform, die Größe, die Fellfarbe – nicht aber wie freundlich oder abweisend das Wesen des Hundes ist.
Hunderte Rassen – ein Ursprung
Die Geschichte der Entstehung moderner Hunderassen ist verglichen mit jener der Domestizierung prähistorischer Wölfe in evolutionärer Hinsicht relativ kurz: Genetischen Forschungen zufolge fand der Übergang vom Wolf zum Hund vor etwa 10.000 bis 15.000 Jahren statt. Erst vor ungefähr 2.000 Jahren begann der Mensch damit, Hunde für spezielle Aufgaben zu züchten. Im frühen 19. Jahrhundert wurden Hunde dann basierend auf körperlichen und ästhetischen Merkmalen für die Zucht ausgewählt – der Beginn der heute bekannten „reinen“ Hunderassen, denen bestimmte Eigenschaften und Temperamente zugeschrieben werden.
„Die meisten Verhaltensweisen, die wir als Merkmale bestimmter moderner Hunderassen ansehen, sind höchstwahrscheinlich im Laufe der Jahrtausende langen Evolution vom Wolf über den Wildhund zum Haushund und schließlich zu den modernen Hunderassen entstanden“, sagt Karlsson. „Jede Rasse hat die genetische Variation dieser alten Hunde geerbt, allerdings nicht immer in genau der gleichen Häufigkeit.“ So seien diese Unterschiede in Form von verschiedenen Persönlichkeiten und Wesenszügen durchaus in modernen Hunden sichtbar – sie sind jedoch, wie die Studie zeigt, nicht prinzipiell bei allen Hunden einer Rasse gleich.
Bevor man sich also für einen Hund entscheidet, sollte man sich die Zeit nehmen, das individuelle Tier kennenzulernen. Denn wer seine Wahl blind auf Basis der Hunderasse trifft, könnte später eine Überraschung erleben.