Absicht oder aus Versehen: Hunde verzeihen Tollpatschigkeit
Ein Experiment zeigt: Hunde merken, ob ein Mensch sie ärgert oder sich einfach nur dumm anstellt – und reagieren dementsprechend.
Einen Hund ärgern, indem man ihm das Leckerli vor der Nase wegzieht? Damit macht man sich keinen Freund fürs Leben. Für ungeschickte Menschen haben die Vierbeiner jedoch viel Geduld.
Wenn wir das Verhalten anderer beurteilen, spielt die Frage der Absicht eine entscheidende Rolle. Tritt uns jemand aus Versehen auf den Fuß, verzeihen wir es ihm vermutlich. Tut er es jedoch absichtlich, reagieren wir zu Recht wütend. Ähnlich verhält es sich, wenn jemand eine Aufgabe schlecht oder gar nicht ausführt: Wie viel Geduld wir in so einem Fall aufbringen, hängt immer davon ab, ob Unvermögen oder Unwille vorliegt. Will uns der andere ärgern oder kann er es einfach nicht besser?
Je besser wir die Intentionen anderer verstehen, desto besser können wir uns im sozialen Gefüge bewegen, angemessen reagieren und bevorstehende Handlungen voraussagen. Seit Langem beschäftigt die Verhaltensforschung die Frage, ob auch nicht-menschliche Tiere diese Fähigkeit besitzen. Ein Forschungsteam des Clever Dog Labs der Veterinärmedizinischen Universität (Vetmeduni) Wien hat dies nun bei Hunden untersucht. Die Studie ist in der Zeitschrift Proceedings of the Royal Society B erschienen.
Keine Geduld für Gemeinheiten
Hunde leben seit Tausenden von Jahren mit Menschen zusammen und ihre kognitiven Fähigkeiten haben sich im Laufe der Zeit an das Leben in menschlicher Gesellschaft angepasst. Sie beobachten menschliche Handlungen und Gesichtsausdrücke genau und verstehen menschliche Zeigegesten in einer Weise, auf die andere Arten es nicht tun. Unklar ist jedoch, ob Hunde menschliche Intentionen tatsächlich verstehen oder ob sie lediglich Verhaltensregeln erlernt haben, die bestimmte Verhaltensweisen und Ergebnisse miteinander verknüpfen.
Um eine Antwort zu finden, wandte das Forschungsteam einen Test an, der in ähnlicher Form in der Entwicklungspsychologie genutzt wird, um zu bestimmen, ob menschliche Babys die Absichten von Erwachsenen verstehen. Für den Versuch mit Hunden baute das Team eine Gitterbox mit einer durchsichtigen Kunststoffscheibe an der Vorderseite, die mit einem golfballgroßen Loch versehen war. Die darin sitzende Versuchsleiterin bot insgesamt 48 Haushunden unterschiedlicher Rassen Leckerlis an – doch die Übergabe funktionierte nicht immer. In manchen Fällen fielen ihr die Leckerlis scheinbar aus Versehen aus der Hand und in die Box zurück, in anderen wurde das Leckerli absichtlich zurückgezogen.
Während des Experiments nahmen acht Kameras die Hunde auf, eine KI-unterstützte 3D-Tracking-Software erfasste jede ihrer Bewegungen. Bei der Auswertung der Daten stellte sich heraus, dass Hunde offenbar in der Lage sind, ein absichtlich gemeines Verhalten von Tollpatschigkeit zu unterscheiden. Obwohl die Handgesten bei beiden Versuchsabläufen dieselben waren, reagierten die Hunde auf die jeweiligen Handlungen ganz unterschiedlich. Wurde das Leckerli absichtlich zurückgezogen, wurden sie schnell ungeduldig und entfernten sich von der Box. Fiel das Leckerli scheinbar aus Versehen runter, verharrten die Hunde deutlich länger vor der Plastikscheibe.
Hunde verhalten sich wie menschliche Kleinkinder
Die Bewegungsdaten zeigten außerdem, dass die Hunde vermehrt auf der rechten Körperseite mit dem Schwanz wedelten, wenn sich die Versuchsleiterin ungeschickt anstellte. „Frühere Untersuchungen brachten Schwanzbewegungen nach rechts mit positiven Emotionen in Verbindung“, sagt Ludwig Huber, Studienautor und Leiter der Abteilung für vergleichende Kognitionsforschung des Messerli Forschungsinstituts der Vetmeduni. Das beobachtete Schwanzwedeln legt also nahe, dass die Hunde davon ausgingen, die Versuchsleiterin hätte gute Absichten und würde ihnen früher oder später ihr Leckerli geben.
„Unsere Ergebnisse liefern solide Beweise dafür, dass Hunde zwischen ähnlichen Handlungen, die zum gleichen Ergebnis führen, aber mit unterschiedlichen Absichten verbunden sind, unterscheiden“, sagt Christoph Völter, Erstautor der Studie und Entwicklungspsychologe im Clever Dog Lab. „Sie verhielten sich damit wie Kleinkinder und Menschenaffen in vergleichbaren Situationen.“ Ob dem Verhalten der Hunde aber auch ähnliche kognitive Fähigkeiten wie die von Kleinkindern oder Menschenaffen zugrunde liegen, kann die Studie ihm zufolge nicht zeigen.