Nach der Menopause: Orca-Mütter schützen ihre Söhne
Aggressive Kämpfe, gewaltvolle Spiele: Männliche Schwertwale müssen einiges einstecken – und werden von ihren Müttern beschützt. Zumindest, wenn sie sich bereits in den Wechseljahren befinden.
Eine Orca-Familie beim sogenannten „spy-hopping“. Dabei positionieren sich die Wale senkrecht im Wasser, um sich oberhalb der Wasseroberfläche umzusehen.
Was haben Menschen mit Walen gemeinsam? Auf den ersten Blick gar nichts. Doch fünf Walarten, darunter Orcas und Belugas, und der Mensch teilen als einzige Säugetiere eine ganz spezielle Laune der Natur: die Wechseljahre. Wie sich diese bei menschlichen Individuen gestaltet, ist bereits gut erforscht. Doch wie wirkt sich die Postmenopause – die Phase nach dem Ausbleiben der Monatsblutung – zum Beispiel auf die sozialen Interaktionen weiblicher Orcas aus?
Ein Langzeitforschungsprojekt der Universitäten Exeter und York sowie dem Center for Whale Research ging dieser Frage nach, indem es die Verhaltensweisen von Schwertwalen vor der Pazifikküste Nordamerikas untersuchte.
Laut der in der Fachzeitschrift Current Biology erschienenen Studie legen die Weibchen nach der Menopause eine besondere soziale Verhaltensweise an den Tag: Sie schützen ihren Nachwuchs vor gewalttätigen Angriffen anderer Wale – allerdings ausschließlich die männlichen Nachkommen.
Weniger Bissspuren dank Mutter in Postmenopause
Orcas stehen an der Spitze der Nahrungskette. Ihre ausgeklügelten Jagdmethoden machen die schlauen Raubtiere nicht nur ausgesprochen erfolgreich – sondern auch zu den größten Raubtieren der Welt. Natürliche Feinde haben die schwarz-weißen Schwertwale neben den Menschen keine. Bissspuren an den Tieren selbst zeugen also von Aggressionen, Kämpfen oder gewalttätigen Spielen untereinander – entweder innerhalb der eigenen Gruppe oder wenn sie auf Tiere aus anderen Familien treffen.
Galerie: Orcas - Die Jagd beginnt
Die Forschenden haben sich mit diesen Bissspuren befasst, die als Narben etwa auf dem Körper oder der Rückenflosse der Tiere zurückbleiben. Dabei konnten sie auf rund 7.000 Fotos von sozial zugefügten Verletzungen und demografische Daten von 103 wildlebenden Orcas zurückgreifen, die innerhalb der letzten 50 Jahre aufgezeichnet wurden.
Das Ergebnis ihrer Analyse: Männliche Orcas wiesen bis zu 35 Prozent weniger Verletzungen auf, wenn ihre Mutter präsent war, die sich bereits in der Postmenopause befand. „Wir waren fasziniert, diesen spezifischen Vorteil für Männchen mit ihren postreproduktiven Müttern zu finden“, sagte Hauptautorin Charli Grimes vom Center for Research in Animal Behavior an der University of Exeter.
Ein jugendlicher Bulle mit offensichtlichen Bissspuren auf seinem Rücken.
Wie genau die Mütter vorgehen, um ihren Nachwuchs zu schützen, ist bislang noch unklar. „Es ist möglich, dass die älteren Weibchen ihre Erfahrung nutzen, um ihren Söhnen bei der Bewältigung sozialer Begegnungen mit anderen Walen zu helfen“, sagt Darren Croft, ebenfalls von der University of Exeter und Mitautor der Studie. Potentiell gefährliche Situationen könnten dementsprechend schon vorher erkannt und von den Müttern entschärft werden. Allerdings ist aufgrund verhältnismäßig weniger Narben anzunehmen, dass Mütter kaum körperlich intervenieren.
Warum Orca-Müttern nach der Menopause der Schutz ihrer Söhne am Herzen liegt
Anders erging es Bullen, deren Mütter noch fruchtbar waren, oder Töchtern und Enkeln. Sie wurden nicht von ihren Müttern oder Großmüttern beschützt. Wie kommt es zu diesem Privileg, dass ausschließlich Mütter in den Wechseljahren ihren Söhnen zugestehen? „Wir können nicht sicher sagen, warum sich dies nach der Menopause ändert“, sagt Grimes. Eine Möglichkeit bestehe laut ihr darin, dass die Mütter durch die Einstellung ihrer Fortpflanzung sowohl Zeit als auch Energie gewinnen, die sie fortan für den Schutz ihrer männlichen Nachkommen nutzen.
Eine weitere Antwort auf die Frage, weshalb ausschließlich ihre Söhne geschützt werden, könnte die Lebensweise der Tiere liefern. Um möglichst viele ihrer Gene erfolgreich weiterzugeben, konkurrieren die Weibchen nicht mit ihren Töchtern um die Fortpflanzung. Vielmehr helfen sie ihnen und ihren Enkeln dabei, ihren Nachwuchs erfolgreich großzuziehen.
„Männchen können sich mit mehreren Weibchen paaren, sodass sie ein größeres Potenzial haben, die Gene ihrer Mutter weiterzugeben“, sagt Grimes. Zudem würden sich männliche Tiere laut Grimes mit Weibchen außerhalb ihrer eigenen sozialen Gruppe paaren. Die Last der Aufzucht des Kalbes fällt dabei auf die andere Familie – durchaus praktisch.