Tierisch menschlich: Die spannendsten Ergebnisse aus der Verhaltensforschung 2023

Hilfsbereite Schweine, fitnesssüchtige Zebrafinken und Hummeln, die nicht kämpfen wollen: Tiere legen häufig Verhaltensweisen an den Tag, die denen von Menschen ähneln. Was Forschende dieses Jahr beobachtet haben.

Von Katarina Fischer
Veröffentlicht am 15. Dez. 2023, 16:02 MEZ
Zwei grün gefiederte Mönchssittiche sitzen auf einem Holzzaun.

Zwei Mönchssittiche im spanischen Cádiz. Die Vogelart verbreitet sich seit einigen Jahrzehnten in Europa, die einzelnen Populationen haben sich je nach Stadt, in der sie heimisch sind, einen eigenen Dialekt angewöhnt.

Foto von Pablo Avanzini / adobe Stock

Wenn Tiere gewisse Verhaltensmuster an den Tag legen, ist es schwer, diese nicht durch die menschliche Brille zu sehen. Schnell unterstellen wir ihnen Beweggründe, die wir aus unserem eigenen Leben kennen – als wären sie Figuren in Zeichentrickfilmen, die zwar tierisch aussehen, aber menschliche Eigenschaften haben.

Um wirklich herauszufinden, warum Tiere sich auf eine bestimmte Art verhalten, was sie motiviert und welche Mechanismen dabei ablaufen, müssen Forschende oft Jahre, manchmal Jahrzehnte investieren – und haben am Ende oft trotzdem nicht alle Antworten. Dennoch ist die Verhaltensforschung ein wichtiger wissenschaftlicher Bereich. Sie liefert nicht nur immer wieder interessante und teils kuriose Einblicke in die Tierwelt, sondern kann auch für unsere eigene Spezies wichtige Ergebnisse hervorbringen – denn schließlich ist der Mensch nur ein Tier.

Auch im Jahr 2023 haben Verhaltensforschende wieder viele aufschlussreiche Studien veröffentlicht. Eine kleine Auswahl folgt hier.

Inhalt

Ein Lied fürs Ei: Sprachprägung durch Vorsingen

Klassische Musik vorspielen, die zukünftige Spieluhr auf dem Babybauch laufen lassen oder einfach selbst singen: Viele Menschenmütter führen ihr Kind schon vor der Geburt an Musik heran, um seine spätere Entwicklung frühzeitig positiv zu beeinflussen. Brütende Prachtstaffelschwanzweibchen machen es genauso. Sie trällern für ihr Gelege – und prägen so das Rufrepertoire der Küken bereits im Ei.

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    Ein brütendes Prachtstaffelschwanzweibchen in seinem Nest.

    Foto von Ashton Claridge / Sonia Kleindorfer

    Das fand ein internationales Forschungsteam unter der Leitung von Verhaltensbiologin Sonia Kleindorfer von der Universität Wien heraus. In ihrer Studie, die in der Zeitschrift American Naturalist erschienen ist, beschreiben die Forschenden, dass sich in den Bettelrufen der geschlüpften Küken charakteristische Elemente wiederfinden, die in den Rufen der Mutter während des Brütens enthalten waren. Je langsamer sie den Eiern vorsang, desto präziser gaben die Kleinen die Rufe später wieder. „Mit unserer Studie konnten wir zeigen, dass das Erlernen von Lautelementen schon viel früher als bisher gedacht beginnt und vom Verhalten der Vogelmütter beeinflusst wird“, fasst Kleindorfer die Ergebnisse zusammen.

    Pfeilgiftfrösche: eigene Persönlichkeit von klein auf

    Schon im Babyalter scheinen bei kleinen Menschen Charaktereigenschaften durch, die sie oft ein Leben lang begleiten. Manche Kinder sind eher zurückhaltend, andere entdecken mutig ihre Welt. Auf ein ähnliches Potpourri an verschiedensten kleinen Persönlichkeiten sind Forschende der Universität Bern auf einer Flussinsel in Französisch-Guayana getroffen. Dort beobachten sie eine natürliche Population der Pfeilgiftfroschspezies Allobates femoralis – und machten eine interessante Entdeckung.

    Bei Verhaltenstests stellten sie nicht nur fest, dass die Charaktereigenschaften der Amphibien wie beim Menschen ganz unterschiedlich ausfallen, sondern auch unabhängig von Zeit und Kontext im Laufe ihres Lebens konstant bleiben. Aus Kaulquappen, die besonders aggressiv und erkundungsfreudig waren, wurden ausgewachsene Frösche mit demselben Verhaltensrepertoire. „Eigenschaften wie Mut und Erkundungsdrang sind bereits in der Kaulquappe vorhanden und bleiben auch nach der Metamorphose erhalten“, sagt Lauriane Bégué, Autorin der begleitenden Studie, die in der Zeitschrift Evolutionary Ecology erschienen ist.

    Ein Pfeilgiftfroschmännchen der Spezies Allobates femoralis auf Partnersuche.

    Foto von Eva Ringler

    Die Metamorphose bedeutet für die Tiere eine große morphologische und ökologische Veränderung. Dass Persönlichkeitsmerkmale über diesen Wandel hinaus stabil bleiben, ist nicht nur eine überraschende Erkenntnis, sondern wegweisend für die Strategie, mit der die Frösche später auf Partnersuche gehen. Laut einer zweiten Studie hängt diese nämlich stark davon ab, was für ein Typ ein Froschmännchen ist. Aggressive, erkundungsfreudige Männchen sind bei der Fortpflanzung erfolgreicher, wenn sie in vielen verschiedenen Territorien nach Weibchen suchen, zaghafte Männchen haben mehr Erfolg, wenn sie in ihrem geschützten Revier auf eine Partnerin warten.

    Prisonbreak im Stall: Schweine helfen einander

    Dass Schweine äußerst intelligente und soziale Tiere sind, ist bekannt – aber sind sie auch hilfsbereit? Dieser Frage ist ein Team des Forschungsinstituts für Nutztierbiologie (FBN) in Dummerstorf nachgegangen. Für ihre Studie, die in der Zeitschrift Proceedings of the Royal Society B erschienen ist, statteten die Forschenden einen Stall mit zwei Abteilen aus, die sich nur von außen öffnen ließen. Ein Schwein wurde von der Gruppe getrennt und in eines der Abteile gesperrt, das andere blieb leer. Seine Artgenossen konnten nun frei entscheiden, ob sie das eingesperrte Schwein befreien, die Tür zum leeren Abteil öffnen oder gar nichts unternehmen wollten.

    Ein Schwein befreit ein Mitglied seiner Gruppe aus einem Abteil.

    Foto von Frank Hormann / FBN

    Das Ergebnis: Die Schweine öffneten Türen häufiger und schneller, um ihrem Gruppenmitglied zu helfen, als um in das leere Abteil zu gelangen. Je mehr Notsignale das gefangene Schwein aussendete, desto schneller wurde ihm geholfen.

    „Unsere Ergebnisse werden uns helfen zu verstehen, ob Schweine empathisch auf den emotionalen Zustand anderer reagieren und ob ihr Hilfsverhalten auf ähnlichen Mechanismen beruht wie beim Menschen“, sagt Studienautorin Liza R. Moscovice vom Institut für Verhaltensphysiologie am FBN. Bei der Erforschung des Hilfsverhaltens von Tieren würden generell häufig Nagetiere als Modelltiere herangezogen. Schweine seien in ihrer Physiologie und Gehirnstruktur dem Menschen aber sehr viel ähnlicher.

    Europas Papageien sprechen Dialekt

    Den meisten Menschen hört man an, woher sie kommen. Manchmal deutlich, manchmal dezent verrät ihr Dialekt, also die Sprachvariante ihrer Region, ihre Herkunft. Dasselbe ist der Fall bei den europäischen Mönchssittichen, die ursprünglich aus Südamerika kommen und sich seit etwa 50 Jahren in Europa ausbreiten.

    Forschenden der Max-Planck-Institute (MPI) in Konstanz und Leipzig, haben für eine Studie, die in der Zeitschrift Behavioral Ecology erschienen ist, die Lautäußerungen der Papageienart in acht Städten in Spanien, Belgien, Italien und Griechenland aufgenommen und analysiert. Dabei zeigte sich, dass die Höhen und Tiefen in den Rufen der Vögel von Stadt zu Stadt anders modelliert werden. „Genau wie Menschen haben auch die Mönchssittiche in Europa je nach Lebensraum eine ganz eigene Art zu kommunizieren entwickelt“, sagt Hauptautor Stephen Tyndel, Doktorand am MPI für Verhaltensbiologie. Innerhalb einer Stadt gäbe es jedoch keine Unterschiede im Dialekt.

    Die Studienautoren rätseln nun, ob die Papageiendialekte passiv entstanden sind – also indem Individuen kleine Fehler in den Rufen von Artgenossen kopiert haben – oder aktiv, um dadurch eine Gruppenzugehörigkeit abzustecken. „Dialekte könnten verwendet werden, um zu kommunizieren, wer zu welcher Nestgruppe gehört, ähnlich wie ein Passwort“, sagt Mitautor Simeon Smeele. Somit könne es also sein, dass sich innerhalb kleinerer sozialer Einheiten eine Art Umgangssprache entwickelt hat, mit der sich die Mitglieder als zugehörig ausweisen können.

    Abwehrreaktion von Hummeln: Einfach fallen mal lassen

    Wenn man attackiert wird, ist es manchmal klüger, nicht direkt zum Gegenangriff überzugehen, sondern sich passiv zu verhalten. Diese Strategie haben Dunkle Erdhummeln (Bombus terrestris) für sich entdeckt, die – ebenso wie Honigbienen – immer stärker durch Asiatische Hornissen in Bedrängnis geraten: Die räuberischen Insekten lungern vor Nestern herum und überfallen rückkehrende Sammlerinnen. Während Bienen oft nicht in der Lage sind, sich gegen die Angreifer zu wehren, wissen Hummeln laut einer Studie der University of Exeter, die in der Zeitschrift communications biology erschienen ist, was zu tun ist: Indem sie sich im Flug einfach fallen lassen, entkommen sie den Klauen der Räuber. Das Studienteam hat über 120 Überfälle von Hornissen auf Hummeln beobachtet – jedes Mal war die kampfvermeidende Taktik der Hummeln erfolgreich.

    Eine Hornisse wartet darauf, dass eine Hummel ihr Nest verlässt.

    Foto von Thomas O’Shea-Wheller

    Gemeinsam stark: Freunde machen Hyänen mutig

    In der Gruppe kann man viel erreichen. Dabei ist jedoch wichtig, dass man sich auf die anderen auch verlassen kann – das ist bei afrikanischen Tüpfelhyänen nicht anders als bei uns Menschen. Forschende der Michigan State University beobachten die Tiere seit 35 Jahren und haben herausgefunden, dass die Qualität der Beziehungen und der sozialen Interaktionen zwischen ihnen Einfluss darauf haben, ob sie sich dazu entschließen, sich gegen Löwen zusammenzurotten – eine Praxis, die Mobbing genannt wird. Meist hat dieses zum Ziel, dem Löwen Beute streitig zu machen, manchmal mobben Hyänen aber auch ohne ersichtlichen Grund.

    Mobbing ist ein gefährliches Unterfangen, denn Löwen sind größer und stärker als Hyänen und in 25 Prozent der Fälle, in denen eine Hyäne ums Leben kommt, ist ein Löwe dafür verantwortlich. Trotzdem greifen Hyänen sie an – allerdings nur unter der Voraussetzung, dass die soziale Bindung in der Mobbing-Gruppe stark ist. „Das ist faszinierend, denn es entspricht dem, was Menschen tun würden", sagt Kenna Lehmann, Hauptautorin der Studie, die in der Zeitschrift Proceedings of the Royal Society B erschienen ist.

    Eine Gruppe von Hyänen startet ihren Mobbing-Angriff auf eine Löwin.

    Foto von Brittany Gunther

    „Die Hyänen stützen ihre Entscheidung, ob sie beim Mobbing von Löwen kooperieren oder nicht, sowohl auf kurzfristige freundschaftliche Verhaltensweisen als auch auf langfristige, freundschaftsähnliche Beziehungen“, sagt Biologin Kay Holekamp, Mitautorin der Studie. Tüpfelhyänen leben in komplexen sozialen Strukturen, die denen von Primaten ähneln. Durch ihre Beobachtungen möchten die Forschenden mehr darüber erfahren, wie sich kooperative Verhaltensweisen – wie in diesem Fall der Zusammenschluss gegen einen gemeinsamen Feind – nicht nur in der Tierwelt, sondern auch beim Menschen entwickelt haben.

    Ameisen meiden Stoßzeiten an Futterstellen

    Niemand stellt sich gern für sein Essen an – Ameisen bilden da keine Ausnahme. Eine Studie von Forschenden der Universität Regensburg, die in der Zeitschrift PNAS erschienen ist, zeigt, dass die Insekten Futterstellen, die sie als besonders hoch frequentiert einschätzen, meiden. Die Verhaltensforscher*innen stellten für die Ameisen Zuckerlösungstränker mit einer unterschiedlichen Anzahl an Trinklöchern bereit. Die Tiere bevorzugten klar die Tränker mit weniger Löchern. Hatten sie jedoch Grund zur Annahme, dass der Andrang dort groß sein würde, suchten sie eine weniger begehrte Alternative auf.

    Gedränge an der Futterstelle gefällt Ameisen gar nicht. Darum meiden sie bewusst Stoßzeiten.

    Foto von Rainer Fuhrmann / adobe Stock

    „Das wirklich Verrückte“, sagt Studienautor Tomer Czaczkes, Biologe an der Universität Regensburg, „ist nicht einmal, dass sie den überfüllten Tränker zur Stoßzeit mieden. Das macht Sinn. Die eigentliche Frage ist: Wie haben sie herausgefunden, dass der Tränker überfüllt sein könnte?“ Denn die Ameisen hätten diesen Tränker noch nie in ihrem Leben gesehen und auch nie erlebt, dass dieser überfüllt sei. Dass sie trotzdem antizipierten, dass dort Gedränge herrschen würde, liegt laut Hauptautorin Laure-Anne Poissonnier vermutlich daran, „dass die Ameisen ein sehr tieferes Verständnis davon haben, wie die Welt funktioniert.“

    Singvögel müssen ihre Muskeln trainieren

    Viele Menschen gehen regelmäßig ins Fitnessstudio, um Muskeln aufzubauen – aus Gründen der Gesundheit, aber auch, um attraktiver auszusehen. Auch bei Singvögeln spielt Muskeltraining für die Partnersuche eine wichtige Rolle. Allerdings steht bei ihnen nicht der Bizeps im Fokus, sondern die Gesangsmuskulatur.

    „Es ist seit langem bekannt, dass der Gesang von Singvögeln durch schnelle Gesangsmuskeln gesteuert wird. Bisher wussten wir aber nur sehr wenig darüber, ob und wie diese Muskeln auf Beanspruchung reagieren“, sagt Iris Adam, Biologin an der University of South Denmark, die an einer Studie mitgewirkt hat, die sich mit dieser Frage beschäftigte und in der Zeitschrift Nature Communications erschienen ist.

    Kleiner Vogel, große Stimme: Damit ihr Gesang optimal klingt, müssen männliche Zebrafinken täglich ihre Muskeln trainieren.

    Foto von Sergey + Marina / adobe Stock

    Beim Singen müssen hunderte Muskeln im Körper präzise koordiniert werden. Die Studie zeigt, dass männliche Zebrafinken diese täglich trainieren müssen, um gut zu singen. Andernfalls lässt ihre Leistungsfähigkeit innerhalb kürzester Zeit rapide nach: Nach sieben Tagen Gesangspause hatten sie bereits 50 Prozent ihrer Kraft eingebüßt. „Dass die Muskeln so stark reagierten und so schnell an Leistung verloren, war sehr überraschend“, sagt Adam.

    Bei der Analyse der Lieder, die die Vögel trällerten, zeigten sich vor und nach dem Stimmtraining Unterschiede, die für Menschen nicht hörbar sind, Zebrafinkweibchen aber sofort auffielen, als die Forschenden ihnen die Gesänge vorspielten: 75 Prozent von ihnen bevorzugten die Lieder der gut trainierten Männchen.

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