Rentiere schlafen und essen gleichzeitig

Um sich für den arktischen Winter zu wappnen, müssen Rentiere während des kurzen Sommers besonders viel Nahrung und Fettreserven aufnehmen – und das möglichst schnell. Ihre Strategie: Multitasking.

Von Marina Weishaupt
Veröffentlicht am 5. Jan. 2024, 15:49 MEZ
Ein Rentier mit weißem Fell und großem Geweih schläft zusammen mit Artgenossen in der Landschaft der ...

Während des Wiederkäuens verfallen Rentiere in einen Ruhezustand, der sie gleichzeitig Nahrung verwerten und schlafen lässt.

Foto von Kertu / adobe stock

Rentiere haben sich auf vielfältige Weise an ihre natürlichen Lebensräume hoch oben im Norden Eurasiens oder Nordamerikas angepasst. So nutzen sie etwa ihre Nase als Wärmetauscher – um beim Atmen ihre Körperwärme beizubehalten. Einer weiteren spannenden Methode der Tiere zum Überleben im kalten arktischen Winter sind Forschende aus der Schweiz auf die Schliche gekommen.

Laut ihnen hat die nordische Hirschart die Effizienz des Wiederkäuens und Schlafens maximiert: „Rentiere können Verdauungs- und Schlafanforderungen gleichzeitig erfüllen“, sagt Melanie Furrer, Erstautorin der Studie und Neurowissenschaftlerin an der Universität Zürich.

Vor allem im Sommer, wenn die Tage sehr lang sind und besonders viel Nahrung zur Verfügung steht, können und müssen Rentiere unaufhörlich der Nahrungssuche nachgehen, um sich für den anstehenden Winter zu wappnen. Viel Zeit für andere Tätigkeiten – wie ausgiebig zu schlafen – bleibt da nicht. Die Vermutung lag also nahe, dass die Tiere den fehlenden Schlaf womöglich während des langen Winters nachholen. „Aber das ist nicht das, was wir herausgefunden haben“, sagt Furrer.

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Besondere Strategie: Frisst du noch, oder schläfst du schon? 

Laut der Neurowissenschaftlerin sparen die Tiere bereits im Sommer Zeit, indem sie ruhen, während sie dem zeitaufwendigen Wiederkäuen nachgehen. Letzteres geschieht, wie bei anderen Paarhufern auch, indem schwer zu verdauende Kost – Flechten, Gräser oder Triebe von Sträuchern – zunächst im ersten von insgesamt vier Mägen ablagern. Die vorverdaute Nahrung wird daraufhin in mehreren Etappen verarbeitet, nochmals hochgewürgt, erneut zerkaut – bis sie schließlich vollständig durch alle Mägen gewandert ist und ihre Nährstoffe verwertet werden konnten.

Während dieses Vorgangs zeigen Rentiere sichtbare äußere Anzeichen, die mit dem Schlafen in Verbindung gebracht werden: ruhiges Sitzen und Stehen sowie auffällig weniger Reaktionen auf Störungen durch ihre Artgenossen.

Um herauszufinden, ob dieser Zustand tatsächlich mit einem „normalen“ Schlaf vergleichbar ist, untersuchten die Forschenden die Gehirnaktivität von vier erwachsenen weiblichen Rentieren einer in Norwegen lebenden, gefangenen Herde. Jeweils vier Tage lang überwachten sie die Gehirnwellen mittels einer nicht-invasiven Elektroenzephalographie, kurz EEG, während der längsten Sommertage, der Wintersonnenwende sowie der Tagundnachtgleiche im Herbst.

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    Das erstaunliche Ergebnis: Die Tiere schlafen das ganze Jahr über gleich viel. Vorteile des Schlafes, wie die körperliche Erholung, wurden unabhängig von der Jahreszeit, der extrem langen oder kurzen Tage sowie der Zeit des Wiederkäuens erbracht.

    Doch damit nicht genug. Die Studie belegt, dass die Gehirnwellen während des Wiederkäuens denen des Non-REM-Schlafes ähneln. Furrer und ihr Team kamen deshalb auch zu der Erkenntnis, dass die Rentiere umso ausgeruhter waren, je mehr Zeit sie mit Wiederkäuen verbrachten. Laut Furrer sorgt dieser Vorteil dafür, dass die Tiere dank des Wiederkäuens keine Kompromisse bezüglich der Schlaferholung eingehen müssen – und eine nahezu konstante Nahrungsaufnahme im Sommer möglich wird.

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