Was machen Eisbären ohne Eis?

Im Sommer, wenn das Meereis in der Arktis zurückgeht, können Eisbären keine Robben mehr jagen. Forschende haben nun untersucht, mit welchen Strategien die Tiere durch die warmen Monate kommen. Die Ergebnisse sind bedrückend.

In der eisfreien Zeit stehen den Eisbären am Polarkreis zwei Strategien zur Verfügung: die Nahrungssuche oder energiesparendes Herumliegen.

Foto von Andy Brunner / Unsplash
Von Katarina Fischer
Veröffentlicht am 23. Feb. 2024, 15:55 MEZ

Ausgewachsene männliche Eisbären werden bis zu 2,50 Meter lang und erreichen ein Gewicht von bis zu 500 Kilogramm – wenn das Nahrungsangebot stimmt. Die Tiere verbringen einen großen Teil ihres Lebens auf dem Meereis der nördlichen Polarregionen, auf dem sie stundenlang neben den Atemlöchern von Robben lauern, bis diese zum Luftholen an die Oberfläche kommen. Mit einem gezielten Biss oder Prankenhieb erlegen die Bären dann ihre Beute.

In den Sommermonaten sind Robben und ihr nahrhaftes Fett für die Bären jedoch unerreichbar, denn dann geht das Meereis zurück. Das zwingt die Eisbären dazu, sich auf das Festland zurückzuziehen und von dem zu leben, was die karge Tundra ihnen als Nahrung bietet: Beeren, Gräser, Seetang und Aas.

Mit GPS und Kamera ganz nah am Eisbär

Über die genauen Strategien, mit denen die Bären durch die eisfreie Zeit kommen, war bisher nur wenig bekannt. Nun haben sich Forschende der Washington State University das Verhalten der Tiere in den Sommermonaten genauer angesehen. Dafür wurden 20 Eisbären in der westlichen Region der Hudson Bay in Manitoba, Kanada, über drei Wochen mit Videokamerahalsbändern ausgestattet, per GPS verfolgt, ihr Energieverbrauch gemessen und sie vor und nach dem Beobachtungszeitraum gewogen. Es zeigte sich: Für das dauerhafte Leben an Land sind die großen Jäger nicht geeignet.

Wie die Studie, die in der Zeitschrift Nature Communications erschienen ist, zeigt, kombinieren die Bären an Land zwei Überlebensstrategien in unterschiedlicher Gewichtung: Futtersuche und Ruhe. Womit sie mehr Zeit verbrachten, war von Tier zu Tier verschieden. Eines der beobachteten Männchen verbrachte ganze 98 Prozent des Beobachtungszeitraums im Liegen. Einige Weibchen verwendeten immerhin 40 Prozent der Zeit auf die Suche nach Nahrung an Land. Drei Eisbären schwammen lange Strecken von bis zu 175 Kilometern durch die Bucht, zwei von ihnen fanden dabei einen Wal- und einen Robbenkadaver, die sie aber weder schwimmend verzehren noch an Land bringen konnten.

„Wir haben eine große Bandbreite an Energieverbräuchen gemessen“, sagt Anthony Pagano, Hauptautor der Studie und Wildtierbiologe des U.S. Geological Survey Polar Bear Research Program. Das aktivste Männchen unter den 20 beobachteten Bären, das in den drei Beobachtungswochen bei der Futtersuche eine Strecke von 330 Kilometern zurücklegte, verbrauchte demnach fünfmal mehr Energie als der Bär, der die meiste Zeit herumlag.

Futtersuche oder Ruhe – eine Kosten-Nutzen-Rechnung

Das Verhalten der Eisbären ähnelt dem einer ihrer Verwandten: dem Grizzlybären. Auch er übersteht futterarme Zeiten, indem er sich vorwiegend in Ruhe begibt und nur im Notfall aktiv wird und nach Nahrung sucht. So spart er Energie und kommt gut durch den Winter. Doch: „Eisbären sind keine Grizzlybären mit weißen Mänteln“, sagt Studienautor Charles Robbins, Wildtierbiologe und Leiter des Washington State University Bear Center. „Sie sind sehr, sehr anders.“

BELIEBT

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    Das könnte erklären, warum die Eisbären mit der Grizzly-Strategie nicht sonderlich erfolgreich sind. Die Studienautoren stellten fest, dass sie sehr schnell an Gewicht verloren – und das unabhängig von ihrem Verhalten. „Die Bären, die nach Nahrung suchten, verloren im gleichen Maße Körpergewicht wie die, die sich ausruhten“, sagt Robbins. Die Suche nach Nahrung ist kraftraubend und „die Bären mussten letztlich mehr Energie aufwenden, um an das Futter heranzukommen, als sie durch den Verzehr gewannen.“ Von den beobachteten Bären nahm nur einer an Gewicht zu, weil er zufällig auf einem seiner Streifzüge auf einen toten Meeressäuger stieß.

    Verhungern in der Arktis

    Durchschnittlich verloren die Eisbären ein Kilogramm Gewicht pro Tag. In der westlichen Hudson Bay, in der die Studie durchgeführt wurde, hat sich die eisfreie Zeit zwischen 1979 und 2015 durch die Erderwärmung um ganze drei Wochen verlängert. Die hier lebenden Eisbären waren in den letzten zehn Jahren gezwungen, sich durchschnittlich 130 Tage pro Jahr auf dem Festland aufzuhalten – eine lange Zeit ohne adäquate Nahrung.

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    Die Entwicklung ist dramatisch, denn „keine der beobachteten Strategien wird es den Eisbären ermöglichen, über eine bestimmte Dauer hinaus ausschließlich an Land zu überleben“, sagt Robbins.

    In dem Studiengebiet macht sich das Problem deutlich bemerkbar: Seit 1987 ist die Eisbärenpopulation in der westlichen Hudson Bay um schätzungsweise 30 Prozent geschrumpft und ein Ende des traurigen Trends ist nicht absehbar.

    „Weil die Eisbären früher an Land gehen müssen, verkürzt sich auch der Zeitraum, in dem sie normalerweise den Großteil der Energie aufnehmen, die sie zum Überleben brauchen“, sagt Pagano. „Mit zunehmender Landnutzung ist zu erwarten, dass immer mehr Bären verhungern werden, insbesondere Jungtiere und Weibchen mit Jungen.“

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