Ausgestorbener Schattenwolf kehrt zurück – oder doch nicht?

Vor 13.000 Jahren starb Aenocyin dirus für immer aus – eigentlich. Forschende wollen die Art nun mit modernster Gentechnik wieder zum Leben erweckt haben. Kritische Stimmen sehen das anders.

Von Marina Weishaupt
Veröffentlicht am 12. Apr. 2025, 07:16 MESZ
Zwei Schattenwolf-Welpen werden von Händen gehalten

Romulus und Remus: 15 Tage nach der Geburt. Sie wachsen auf einem privaten Gelände auf und werden vermutlich ihr ganzes Leben in dem weitläufig umzäunten und über 800 Hektar großen ökologischen Reservat verbringen.

Foto von Colossal Biosciences

Bis ins Pleistozän durchstreifte der Schreckenswolf (Aenocyin dirus) einst seine Lebensräume in Nord- und Südamerika. Mit seinem dichten, hellen Fell erreichte er eine Länge von bis zu eineinhalb Metern und wog rund 70 Kilogramm. Damit war er etwa zehn Zentimeter länger und brachte teils doppelt so viel auf die Waage wie der heutige Grauwolf (Canis lupus). Vor rund 13.000 Jahren verschwand die Art – durch die Serie Game of Thrones heute besser als Schattenwolf bekannt – jedoch für immer von der Erde.

Forschende des US-Startups Colossal Biosciences wollen das nun mit modernster Gentechnik rückgängig machen. Mit der Geburt von gleich drei genetisch herangezüchteten „Schattenwölfen“ sehen sie einen wissenschaftlichen Meilenstein erreicht.

Gen-Editing macht’s möglich: Hybride tragen Erbe des Schattenwolfs in sich

Am 1. Oktober 2024 erblickten die Welpen Romulus und Remus das Licht der Welt. Im Video, in dem Colossal Biosciences das „erste Heulen eines Schattenwolfes in über 10.000 Jahren“ präsentiert, sind ihre Augen noch ganz klein, ihr strahlend weißes Fell glänzt. Das Unternehmen preist sie als weltweit ersten Tiere einer Art an, die einst ausgestorben war – und nun zum Leben erweckt wurde. Vor zwei Monaten wurde zudem ein Weibchen  geboren, das – in Anlehnung an die Serie Game of Thrones – den Namen Khaleesi trägt.

Galerie: Das Aufwachsen der Schattenwölfe Romulus und Remus in Bildern

Möglich war dieser Schritt dank Erbgut, das aus einem rund 11.500 Jahre alten Zahn sowie einem etwa 72.000 Jahre alten Schädel von Aenocyin dirus extrahiert werden konnte. Die Teile der daraus gewonnenen DNA zeigten, dass das Erbgut der ausgestorbenen Art zu 99,5 Prozent mit dem der modernen Grauwölfe identisch ist. Um die Schattenwölfe wieder „zum Leben zu erwecken“, setzten die Forschenden auf modernstes Gen-Editing: Anstatt die DNA des bekannten Schattenwolfs zu vervielfältigen, nahm das Unternehmen 20 Änderungen am Genom des Grauwolfs vor – ein Rekord. Sie bearbeiteten somit die Gene, die den modernen Grauwolf optisch von den Schattenwölfen unterscheiden – darunter Merkmale wie das charakteristische lange, weiße Fell und der kräftigere Körperbau. Mit dem veränderten Erbgut erzeugten sie wiederum Embryonen, die allerdings nicht etwa von Wölfinnen, sondern von Hündinnen ausgetragen wurden.

BELIEBT

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    Colossal Biosciences zeigt sich stolz und spricht von einem großen Schritt für Wissenschaft, Naturschutz und die Menschheit. Schließlich sei erstmals eine verlorene Art mithilfe der CRISPR-Technologie erfolgreich wiederbelebt worden.

    Mammut, Dodo, Säbelzahnkatze: Unternehmen hat große Ziele 

    Die Rückkehr des Schattenwolfs ist nur ein Punkt auf der Wunschliste von Colossal Biosciences. Im März 2025 ging bereits eine Meldung des Unternehmens um die Welt: Es hatte gentechnisch veränderte Mäuse gezüchtet, die über goldbraunes Mammutfell verfügen. Langfristig sollen derartige Teilerfolge zur Wiederbelebung des Wollhaarmammuts dienen. Zusätzlich will das Team den im Jahr 1936 verlorenen Tasmanischen Tiger oder den im 17. Jahrhundert auf Mauritius ausgestorbenen Dodovogel zurückbringen. Das Motto: „Die Erde wiederherstellen. Art für Art.“ 

    Doch damit nicht genug: Zusammen mit namhaften Universitäten, darunter Harvard oder die Universität Potsdam, soll die Erforschung der Genetik von Moas, Riesenfaultieren, Säbelzahnkatzen, Kurznasenbären oder auch dem mit nur zwei verbliebenen Individuen bald ausgestorbenen Nördlichen Breitmaulnashorn vorangebracht werden.

    „Unsere Bemühungen, ausgestorbene Arten wie das Wollmammut, den Tasmanischen Tiger und den Dodo wiederzubeleben, gestalten die Zukunft des Naturschutzes neu“, schreibt Colossal Biosciences auf seiner Homepage. „Gemeinsam werden wir bald in eine bessere Zukunft erwachen. Genau wie diese nicht vergessenen Arten.“ 

    Ein junges Habichtskäuzchen im Daunenkleid sitzt auf einem Ast und blickt direkt in die Kamera.

    Hybride statt Schattenwölfe: „Wiederbeleben“ von Arten wird skeptisch beäugt 

    Was fast zu schön klingt, um wahr zu sein, wird allerdings auch skeptisch betrachtet. „Die Tatsache, dass man 20 Einzelmutationen einem gesunden Tier einpflanzen kann und damit quasi eine ausgestorbene Morphologie wieder herstellen kann – also einen Grauwolf, der aussieht wie ein Schattenwolf – das ist schon ein sehr großer Durchbruch“, sagt Alexander Suh vom Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels (LIB). Trotzdem sei damit nicht gewährleistet, dass sie auch dem Verhalten oder der Funktion im Ökosystem der ausgestorbenen Art entsprechen könnten.

    Für einen genetisch „echten“ Schreckenswolf bräuchte es laut dem Evolutionsbiologen und Leiter des Zentrums für Molekulare Biodiversitätsforschung am LIB noch weitere Schritte: Wenn man Schattenwölfe und Grauwölfe genetisch vergleiche, ginge es um Millionen an Sequenzunterschieden zwischen diesen beiden Spezies. „All diese Sequenzunterschiede müsste man tatsächlich einem Grauwolf einpflanzen, sodass er genetisch nicht unterscheidbar ist von einem Schattenwolf“, sagt Suh. „Evolutionsbiologisch betrachtet ist der Schattenwolf also weiterhin ausgestorben.“

    Zwei Schattenwölfe im Schnee

    Die Schattenwolf-Hybride Romulus und Remus im Alter von drei Monaten.

    Foto von Colossal Biosciences

    Neben der Frage nach dem wissenschaftlichen Erfolg steht bezüglich der Schattenwölfe auch die Sinnhaftigkeit des „Wiederbelebens“ längst verlorener Arten zur Debatte. Alexander Suh sieht in Anbetracht des aktuellen Massenaussterbens zwar die positiven Aspekte der Erforschung der Genom-Editierung. Das LIB verfüge über eine Biobank, in der lebende Zellen von Tierarten eingefroren werden. Das bedeute allerdings nicht, dass man sich um diese Arten nicht mehr sorgen müsse: „Im Gegenteil. Der Gedanke ist, dass wir im Notfall diese Zellen als lebendes Backup des kompletten Genoms dieser Art haben“, sagt Suh.

    “Am Ende des Tages müssen wir als Gesellschaft entscheiden, mit welcher Kombination an Ansätzen wir dem Artensterben entgegensteuern können.”

    von Alexander Suh vom Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels

    Auch der NABU äußert sich kritisch, denn das Projekt birgt sowohl ökologische als auch ethische Risiken. Die genetische Anpassung von Grauwölfen leiste keinen ernsthaften Beitrag zum heute notwendigen Artenschutz. „Statt ausgestorbene Arten künstlich zurückzubringen, sollten wir unsere Ressourcen auf den Schutz lebender Arten und intakter Lebensräume konzentrieren sowie Nutzungskonflikte zwischen Mensch und Wildtieren minimieren“, so NABU-Wolfsexpertin Marie Neuwald.

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