Die geheime Sprache der Erdmännchen
Erdmännchen sind Plaudertaschen. Oft quasseln sie nonstop. Kommunikation ist die Lebensversicherung in der gefährlichen Welt der kleinen Raubtiere.

Stille Post? Erdmännchen sind sehr kommunikative Tiere.
Jede Tierart hat ihre eigene Sprache. Manchmal klingt das eher nach Geheimcodes aus Agentenfilmen als nach tierischer Kommunikation. Pottwale etwa verständigen sich mit morseähnlichen Klicklauten, Honigbienen sprechen eine Tanzsprache. Zitteraale senden elektrische Kontaktsignale aus. Die Kommunikationswege der Tiere sind verblüffend – und rätselhaft.
Seit jeher fragt sich die Menschheit: Wie genau verständigen sich Tiere? Ist die menschliche Sprache wirklich einzigartig? Können Tiere sogar sprechen lernen? Es liegt auf der Hand, dass die Wissenschaft hier oft auf unsere nächsten Verwandten, die Menschenaffen, schaut. Vor kurzem haben Forschende zum Beispiel entdeckt, dass sich Schimpansen in satzähnlichen Lauten untereinander austauschen.
Auch Marta Manser ist fasziniert von den kommunikativen Fähigkeiten der Tierwelt. Seit mehr als 30 Jahren studiert sie die Rufe der Erdmännchen. Manser ist Professorin für Verhaltensbiologie am Institut für Evolutionsbiologie und Umweltwissenschaft der Universität Zürich. Gemeinsam mit verschiedenen Teams untersucht sie Erdmännchen in mehreren Gruppen, unter anderem im Zoo Zürich, vor allem aber in ihrem natürlichen Lebensraum im Kalahari Research Centre (KRC) in Südafrika.
Erdmännchen leben gefährlich
Die Schweizer Verhaltensbiologin weiß: Die katzenartigen Raubtiere aus der Familie der Mangusten sind wahre Plappermäuler. Sie bellen und knurren, pfeifen und zirpen – und das oft im Sekundentakt. „Erdmännchen haben ein erstaunliches vokales Repertoire“, sagt Manser. Das brauchen sie auch.
Ihre Heimat sind die trockenen Savannen und Halbwüsten im südlichen Afrika. Dort wohnen die maximal 30 Zentimeter großen Tiere in Kolonien mit bis zu 50 Individuen – angeführt von einem dominanten Weibchen. Und von überall droht Gefahr. Schakale und Schlangen lauern im trockenen Gras, am Himmel kreisen Greifvögel. „Erdmännchen sind einem extrem großen Räuberdruck ausgesetzt“, betont Manser.
Um sich vor Feinden zu schützen, stellen sich ein oder zwei Gruppenmitglieder als Wachposten an Stellen auf, von denen sie eine gute Sicht aufs Umland haben. Mit speziellen Rufcodes informieren sie die anderen Erdmännchen über die aktuelle Sicherheitslage. Entdecken sie einen Feind, schlagen sie Alarm.

Erdmännchen mit Jungtier im Zoo Zürich
Mobbing gegen Schlangen
Manser hat herausgefunden, dass die Tiere hierbei unterschiedliche Warnlaute einsetzen – je nachdem, ob die Bedrohung aus der Luft oder vom Boden kommt. Offenbar ist dieses Verhalten angeboren. Manser konnte es auch bei Erdmännchen beobachten, die im Zoo leben – beispielsweise, wenn ein Greifvogel oder Flugzeug über das Gehege fliegt.
Besonders clever ist die Abwehrstrategie gegen Schlangen. Nach dem Alarmruf versammelt sich der gesamte Clan um den Eindringling und mobbt ihn, damit er sich zügig aus dem Staub macht. Kommunikation ist der Schlüssel für ein langes Erdmännchen-Leben. Das gilt nicht nur bei der gemeinsamen Abwehr von Feinden. Das Geplauder stärkt auch den Zusammenhalt der Gruppe.
So gibt es spezielle Rufe für die gegenseitige Körperpflege („Grooming“) und zur Ankündigung eines Ausflugs. Wird ein Individuum vermisst, erfährt die Gruppe ebenfalls davon. Und das ist längst nicht alles. Der Erdmännchen-Flurfunk läuft auf Hochtouren.
Erdmännchen-Plausch im Frage-und-Antwort-Stil
Im vergangenen Jahr sorgte eine Studie der Universität Konstanz für Aufsehen, an der auch Manser beteiligt war. Die Forschenden hatten zwei Erdmännchen-Gruppen im südafrikanischen Studiengebiet mit Chip-Halsbändern ausgestattet. Die Halsbänder zeichneten kontinuierlich Audiodaten und die GPS-Positionen im Sekundentakt auf. Auf diese Weise konnte das Team zwei unterschiedliche Rufe entschlüsseln, mit denen die Erdmännchen in Kontakt bleiben.
Da sind zum einen die sogenannten Short Notes. „Die Tiere plappern einfach vor sich hin, ohne eine Antwort zu erwarten“, sagt Manser, „allerdings nur, wenn auch Zuhörer da sind.“ Mit ihren kurzen Lauten wollen die Tiere der Gruppe vermutlich einfach zu erkennen geben: Ich bin hier.
Anders dagegen bei den geschwätzigen Close Calls. Hier sind die Tiere offensichtlich auf einen intensiven Austausch mit einem anderen Individuum bedacht. Fängt ein Tier an zu plappern, dauert es kaum eine Sekunde, bis ein benachbartes Gruppenmitglied mit dem gleichen Ruftyp antwortet. Tatsächlich scheinen die Tiere dann fast wie im Frage-Antwort-Stil miteinander zu plaudern.
„Viel mehr Interaktion, als wir bislang dachten“
Insgesamt habe das Forschungsteam eine wahre Flut an Audiodaten gesammelt, freut sich Manser. „Es gibt da noch viel mehr an Interaktion und Information, als wir bislang dachten. Wir sind überwältigt.“ Künstliche Intelligenz soll helfen, die geheime Sprache der Erdmännchen noch genauer zu erforschen. Mit menschlicher Sprache sei all das aber nur entfernt vergleichbar.
Die Sprache von Homo Sapiens basiert auf der schier unbegrenzten Kombination von Buchstaben, Silben, Wörtern und Sätzen. Kein Tier ist dazu in der Lage. Erdmännchen hätten zwar außergewöhnliche kommunikative Fähigkeiten und auch ein eindrückliches räumliches Erinnerungsvermögen, unterstreicht Manser. Das macht sie aber nicht gleich zu Intelligenzbestien. Alles in allem seien sie doch „recht stereotyp und wenig flexibel in ihrem Verhalten“.
