Aal-Attacke: Zitteraale springen zum Schocken aus dem Wasser

Schon Alexander von Humboldt beschrieb das aggressive Verhalten der Messerfische in Südamerika, aber lange glaubte kaum jemand daran.

Von Mary Bates
Veröffentlicht am 28. Aug. 2020, 14:10 MESZ
Zitteraal

Der Zitteraal kann eine Spannung von mindestens 600 Volt erzeugen – fast dreimal so viel wie eine normale deutsche Steckdose.

Foto von Norbert Wu, Minden Pictures, Nat Geo Image Collection

Zitteraale machen mit ganzem Körpereinsatz Jagd auf ihre Beute: Sie springen aus dem Wasser und verpassen ihren Opfern bei Körperkontakt einen Stromschlag.

Bei Experimenten fand ein Wissenschaftler heraus, dass die südamerikanischen Fische aus der Familie der Meesseraale es auf große, sich bewegende Objekte abgesehen haben, die sich mindestens teilweise im Wasser befinden. Sie schwimmen an sie heran, drücken ihr Kinn gegen sie und schocken drauflos.

Diese Entdeckung bestätigte eine jahrhundertealte Darstellung des deutschen Naturforschers Alexander von Humboldt, der den Aalfang in Venezuela beschrieb.

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Im Jahr 1800 beobachtete Humboldt einheimische Fischer, die Zitteraale zu Pferd fingen. Die Männer trieben die Pferde in ein schlammiges Becken voller Messeraale, was die Fische zum wiederholten Angriff provozierte. Nachdem sich die Tiere erschöpft hatten – und einige Pferde ertrunken waren –, konnten die Einheimischen die 1,5 Meter langen Fische gefahrlos absammeln.

Diese berühmte Geschichte wurde im Laufe der Jahre zahlreiche Male erzählt, zitiert und sogar illustriert. Aber viele Forscher waren skeptisch, was ihren Wahrheitsgehalt betraf, darunter auch der Biologe Kenneth Catania von der Vanderbilt University.

Zumindest, bis er in seinem Labor zufällig Zeuge eines ähnlichen Verhaltens der Zitteraale wurde.

„Ziemlich schockierende Erfahrung“

Während der Durchführung früherer Experimente siedelte Catania Zitteraale aus einem Heimaquarium in einen Versuchstank um. Dafür benutzte er ein Netz, das einen Metallrand und einen Griff hatte.

Ihm fiel auf, dass der Aal, wenn sich das Netz näherte, sich oft umdrehte und darauf zusprang.

„Er drückte sein Kinn gegen den Griff und sprang dann blitzschnell aus dem Wasser entlang des Griffs in Richtung meiner Hand“, sagt Catania. Seine Studie über das Verhalten der Fische erschien in der Fachzeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences“.

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    „Ich trug Handschuhe, also lief ich keine Gefahr, einen Schock zu erhalten. Aber es war trotzdem eine ziemlich schockierende Erfahrung.“

    Ein springender Fisch ist erst mal noch nichts Ungewöhnliches – manche Arten tun das zum Beispiel, um Gefahren zu entgehen.

    Catania bemerkte allerdings, dass die Zitteraale ihre Sprünge mit Salven elektrischer Schläge koordinierten. Das deutete wiederum darauf hin, dass es mehr als nur eine einfache Fluchtreaktion sein könnte.

    Systematische Stromschläge

    Um die Spannung und den Strom dieser Impulse zu messen, tauchte Catania einen leitfähigen Stab und eine Platte teilweise in das Wasser des Aal-Aquariums ein.

    Die Tiere sprangen und versetzten dem sich nähernden Stab und der Platte einen Stromschlag. Sowohl die Spannung als auch die Stromstärke stiegen an, je näher Messerfische der Oberfläche kamen.

    Außerdem schloss Catania LED-Leuchten an Streifen aus leitfähigem Tape an und befestigte sie an einer Raubtier-Attrappe. So konnte er zeigen, dass die Zitteraale durch ihre Sprünge nach und nach immer größere Teile des teilweise untergetauchten Ziels schockten.

    Zeitrafferaufnahmen zeigten schließlich, dass die Fische ihre Hälse beugten, um den Kontakt zwischen ihren elektrischen Organen und der Gefahrenquelle aufrechtzuerhalten. 

    Ihre Strategie ermöglicht es den Zitteraalen, einen Großteil ihrer elektrischen Energie, die sich normalerweise im Wasser um sie herum verteilt, direkt an ein lebendiges Ziel abzugeben.

    Catania zufolge scheinen diese Angriffe gegen terrestrische oder semiaquatische Raubtiere am wirksamsten zu sein.

    Zitteraale mit cleveren Taktiken

    Die Messerfische könnten auf dieses aggressive Verhalten zurückgreifen, wenn sie während der Trockenzeit im Amazonas – zu der auch Humboldts Beobachtung stattfand – in austrocknenden Tümpeln eingeschlossen werden.

    „Viele haben Humboldts ursprüngliche Behauptung eher mit Skepsis betrachtet, ich selbst eingeschlossen. Aber diese Studie zeigt, dass seine Darstellung wahr sein könnte“, sagt Bruce Carlson, ein Biologe an der Washington University in St. Louis, der an der Forschung nicht beteiligt war.

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    „Und ganz grundlegend ist das für die Biologie ein schönes Beispiel dafür, wie der Aal eine recht simple Verhaltensweise entwickelt hat, mit der er sich die Physik der Elektrizität zunutze macht.“

    „Vor Catanias Studien wurde das räuberische Verhalten des Aals weitgehend sehr vereinfachend betrachtet: als ob der Aal einfach die Spannung einschaltet, seine Beute betäubt und sie dann mühelos fängt“, erklärt er.

    Stattdessen zeigen Zitteraale einen „überraschenden Grad an Raffinesse und Nuanciertheit“ beim Aufspüren und Angreifen ihrer Beute.

    Noch bleiben viele Fragen offen – unter anderem, ob die Tiere dieses Verhalten auch in ihrer natürlichen Umgebung zeigen und wie potenzielle Raubtiere auf diese Angriffe reagieren.

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

     

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