Kokain in Flüssen wird Fischen zum Verhängnis

Rückstände illegaler Drogen reichern sich in Aalen an und beeinträchtigen ihre Körperfunktionen.

Von Joshua Rapp Learn
Veröffentlicht am 21. Juni 2018, 13:17 MESZ
Europäische Aale
Europäische Aale sind in der Wildnis vom Aussterben bedroht. Die Verschmutzung von Gewässern – zum Beispiel durch illegale Drogen – ist ein Teil des Problems.
Foto von Wil Meinderts, Buiten Beeld, Minden Pictures, National Geographic Creative

Ein vom Aussterben bedrohter Aal könnte sich einem eher ungewöhnlichen Problem gegenübersehen: Zu viel Kokain könnte verhindern, dass er seine 6.000 Kilometer lange Reise bewältigen kann, um sich fortzupflanzen.

Menschliche Gesellschaften haben seit Langem mit den Auswirkungen des Drogenkonsums zu kämpfen. Wie sich die Drogen jedoch auf andere Arten auswirken, wenn sie durch Abwässer erst einmal in die Umwelt gelangen, wurde bisher nur wenig untersucht.

Im Namen der Forschung haben Wissenschaftler daher Europäische Aale im Labor gehalten und sie 50 Tage lang mit Kokain versorgt, um zu beobachten, wie die Tiere auf das Rauschmittel reagieren.

Europäische Aale haben einen komplexen Lebenszyklus. Sie verbringen etwa 15 bis 20 Jahre in europäischen Frisch- oder Brackwasserwegen, bevor sie den Atlantik überqueren und in der Sargassosee östlich der Karibik laichen. Die Tiere werden zwar als Nahrungsmittel gezüchtet, aber ihr Wildbestand gilt als von Aussterben bedroht, was vor allem Dämmen und anderen Eingriffen in Wasserwege zu verdanken ist, die ihre Wanderrouten blockieren. Aber auch Überfischung und die Verschmutzung von Gewässern tragen zu dem Problem bei.

Laut der Studie, die in „Science of the Total Environment“ erschien, werden die Tiere durch Spuren von Kokain im Wasser gefährdet, insbesondere in jungen Jahren.

„Die Daten zeigen, dass sowohl illegale Drogen als auch ihre Abbauprodukte in beträchtlichem Maße in oberirdischen Gewässern auf der ganzen Welt vorhanden sind“, sagt Anna Capaldo. Die Biologin der Universität Neapel Federico II ist die Hauptautorin der entsprechenden Studie. Ihr zufolge seien besonders Gewässer in der Nähe dicht besiedelter Städte schlimm betroffen. Einige Untersuchungen wiesen besonders hohe Konzentrationen in der Nähe des Londoner Parlaments sowie im italienischen Fluss Amo beim Schiefen Turm von Pisa nach.

DROGENTEST FÜR AALE

Capaldo und ihre Kollegen hielten die Aale in Wasser mit sehr geringen Kokainkonzentrationen – ungefähr dieselbe Menge, die auch in einigen Flüssen nachgewiesen wurde. Die Aale verhielten sich zwar hyperaktiv, schienen aber ansonsten ebenso gesund wie drogenfreie Artgenossen. Ihre Körper erzählten jedoch eine andere Geschichte.

Die Forscher entdeckten, dass sich die Drogen im Gehirn, den Muskeln, Kiemen, der Haut und in anderem Gewebe der Aale anreicherten. Die Muskeln der Fische wiesen Schwellungen auf oder bauten sich sogar ab. Auch der Hormonhaushalt der Aale veränderte sich. Die Probleme bestanden selbst noch nach einer zehntägigen Rehabilitationsphase, während der die Aale in kokainfreiem Wasser gehalten wurden.

„Alle körperlichen Hauptfunktionen dieser Aale könnten verändert werden“, sagt Capaldo.

Besonders besorgniserregend sei der erhöhte Cortisolspiegel, da das Stresshormon zum Abbau von Fettreserven führt. Europäische Aale müssen aber eine Fettreserve anlegen, bevor sie sich auf den weiten Weg in die Sargassosee machen, um sich dort zu vermehren. Der erhöhte Cortisolspiegel könnte den Zeitpunkt dieser Reise demnach verschieben.

Capaldo verweist auch darauf, dass die erhöhten Dopaminwerte der Aale, die durch das Kokain zustande kommen, verhindern könnten, dass sie die sexuelle Reife erreichen. „Es ist durchaus wahrscheinlich, dass die Fortpflanzung der Aale in diesem Zustand beeinträchtigt werden kann.“

Noch dazu könnte das Anschwellen oder der Abbau der Muskeln verhindern, dass die Aale ihr Ziel überhaupt erreichen.

Emma Rosi – eine Chefwissenschaftlerin am Cary Institute of Ecosystem Studies, die an der Studie nicht beteiligt war – sagt, dass Capaldo und ihre Kollegen bei ihrer Studie ökologisch relevante Konzentrationen von Kokain genutzt haben.

Wenn Drogen im Spiel sind, können ihr zufolge zwar deutlich höhere Konzentrationen notwendig sein, um Organismen zu töten, aber selbst kleine Mengen können schon Auswirkungen haben – insbesondere auf Dinge wie die Interaktion zwischen Räubern und Beute.

Rosi hat die Auswirkungen von Antidepressiva und Amphetaminen auf aquatische Ökosysteme untersucht. Dabei fand sie heraus, dass die Wirkstoffe die Zusammensetzung der Bakterien und Algengemeinschaften im Wasser verändern und die Wachstumsrate und den Lebenszyklus von Insekten beeinflussen können.

Laut Capaldo sind illegale Drogen wie Kokain aber nur ein Teil des Problems. In den Gewässern finden sich auch Rückstände von anderen Drogen, Schwermetallen, Antibiotika und Pestiziden. „Wir kennen die möglichen Konsequenzen nicht, die aus der Kombination solcher Substanzen entstehen. Aber sie können das Überleben und/oder die Gesundheit der Aale eindeutig beeinflussen“, sagt sie, verweist aber darauf, dass auch andere Tiere ähnliche Reaktionen auf Kokain zeigen könnten.

BEHANDLUNGSMÖGLICHKEITEN

Capaldo zufolge könnte das Problem durch effizientere Abwasserreinigung behoben werden – oder dadurch, dass Leute einfach keine illegalen Drogen mehr konsumieren.

Daniel Snow, der Direktor des Wasserwissenschaftslabors der University of Nebraska, ist eher skeptisch, dass sich das Problem auf diese Art beheben lässt.

„Wenn das die Lösung wäre, dann würden Gesetze solche Drogennutzung unterbinden. Es gibt aber keinen Beleg dafür, dass sich die Nutzung durch Gesetzte tatsächlich kontrollieren lässt“, sagt er.

Snow, der die Auswirkungen von Drogen und anderen Schadstoffen auf Wasserbewohner untersucht hat, hofft allerdings, dass Capaldos Forschung genug Aufmerksamkeit erregt, damit die Menschen mehr über die Konsequenzen ihrer Handlungen nachdenken. Ihm zufolge liegt die Lösung des Problems wohl aber mehr im Bereich der Ingenieurskunst.

„Im Grunde kann man alles [Wasser] auf jeden gewünschten Reinheitsgrad bringen. Es hängt nur davon ab, wie viel Geld man in den Aufbereitungsprozess stecken will.“

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