Bayern im Petitionsfieber: Rettet die Bienen!
Im Angesicht eines dramatischen Rückgangs von Insekten und Vögeln wollen viele Bayern mit einem Volksbegehren die Landwirtschaft nachhaltig verändern.
In den vergangenen Tagen standen die Bayern in teils sehr langen Schlangen, um ein Volksbegehren zur Rettung von Bienen, anderen Insekten und Vögeln zu unterzeichnen.
Schon einige Wochen vor der Karnevalszeit waren erwachsene Menschen in Bienenkostümen kein ungewöhnlicher Anblick in dem Bundesland. In Erlangen lagen ein paar der übergroßen Insekten auf eiskalten Bürgersteigen auf dem Rücken und strampelten mit Armen und Beinen, um die Qual der Bienen zu simulieren. Auf dem Marienplatz in München hatte sich am 31. Januar eine Menschenmenge eingefunden, um die Petition „Rettet die Bienen“ zu starten – und einen Weltrekord für das längste Massensummen aufzustellen.
Das Thema der Petition selbst ist kaum so heiter, wie die bunten Kostüme vermuten lassen. Das Volksbegehren enthält vier Seiten mit Vorschlägen zur Änderung des Bayerischen Naturschutzgesetzes, die zusammengenommen die Landwirtschaft im Bundesland grundlegend verändern würden. Das übergeordnete Ziel ist die Schaffung eines Netzwerks aus Biotopverbünden, in denen zahlreiche Tierarten ungestört in ihrem natürlichen Lebensraum existieren können.
Eine der Gesetzesänderungen würde von Landwirten beispielsweise verlangen, Hecken und Bäume stehen zu lassen. Eine andere würde den Erhalt eines fünf Meter breiten Gewässerrandstreifens an Ufern fordern. Die wichtigste Änderung wäre vielleicht die Forderung, dass Bayern bis zum Jahr 2030 ganze 30 Prozent seiner Landfläche ökologisch bewirtschaftet und dort auf den Einsatz chemischer Pestizide und Düngemittel verzichtet.
Bayerns Landwirte sind größtenteils alles andere als begeistert.
Am Morgen des 11. Februar hatte das Volksbegehren insgesamt schon etwa 900.000 Unterschriften gesammelt. Die Organisatoren sind zuversichtlich, dass mit dem Ende der zweiwöchigen Kampagne am 13. Februar mehr als 950.000 Unterschriften vorliegen werden, was 10 Prozent der Wahlberechtigten in Bayern entsprechen würde. Damit wäre auch die nötige Unterschriftenzahl erreicht, um die Petition an die Landesregierung zu schicken. Diese wäre dann gezwungen, der Petition entweder stattzugeben oder eine Alternative zu erarbeiten. Die letztendliche Entscheidung über die zwei potenziellen Möglichkeiten würden die Wähler dann einige Monate später in einem Volksentscheid treffen.
Ein Zusammenschluss von Naturschutzgruppen hat erst vor Kurzem gefordert, dass 30 Prozent des Planeten bis zum Jahr 2030 geschützt werden müssten, um die Artenvielfalt zu erhalten. Die bayerischen Unterstützer des Volksbegehrens verfolgen in ihrem Zuhause ein ähnliches Ziel – in einem Bundesland, das in Deutschland als Bastion des politischen Konservativismus gilt.
„Es gibt in Bayern viele Leute, die sich aktiv für den Umweltschutz einsetzen“, sagt Hans-Josef Fell, ein Grünen-Politiker in Hammelburg, der die Petition unterzeichnet hat, aber kein Mitorganisator der Kampagne ist. „Sie alle erkennen, dass die Menschen ein weltweites dramatisches Verschwinden von Arten zu verantworten haben, wie es das seit dem Aussterben der Dinosaurier nicht mehr gegeben hat. Und sie alle wollen etwas gegen diesen Verlust der Artenvielfalt unternehmen.“
Das Insekten-Armageddon
Gerade Westliche Honigbienen bekommen in diesem Zusammenhang viel Aufmerksamkeit, dabei sind sie im Grunde Nutztiere, keine Wildtiere – ihr Bestand ist größtenteils von Imkern abhängig. Obwohl die Zahl der Bienenkolonien in Bayern und anderswo in Deutschland niedriger als noch vor 30 Jahren ist, ist ihre Zahl in den letzten Jahren gestiegen. Viele Menschen haben die Imkerei als Hobby für sich entdeckt.
„Es geht nicht wirklich um die Honigbiene“, sagte Agnes Becker letzte Woche in einer TV-Debatte. Becker ist die Spitzenkandidatin der kleinen Ökologisch-Demokratischen Partei (ÖDP), die die Petition in Zusammenarbeit mit den Grünen und dem Landesbund für Vogelschutz in Bayern ins Rollen gebracht hat. „Die Biene ist unser kleines Maskottchen, unser Symbol“, sagte sie. „Aber sie steht für eine sehr lange und stetig wachsende Liste gefährdeter Tier- und Pflanzenarten.“
Aktuelle Forschungen zu Insekten und Vögeln sind in der Tat alarmierend. Eine deutsche Studie aus dem Jahr 2017 untersuchte Gutachten zu Insektenzahlen aus 63 Schutzgebieten im Land. Ergebnis: Die Gesamtmasse der fliegenden Insekten hatte sich im Laufe von 27 Jahren um 76 Prozent verringert. Das allein ist schon verheerend genug, aber eine weitere Studie, die im vergangenen Herbst erschien, stellte in den Regenwäldern Puerto Ricos sogar einen noch größeren Rückgang von Insekten fest – und von jenen Eidechsen, Fröschen und Vögeln, deren Nahrungsgrundlage sie bilden.
Auch in Europa brechen die Vogelbestände ein. Am Tag nach der Veröffentlichung der deutschen Studie brachte der NABU ein Gutachten auf Basis von Regierungsdaten heraus, demzufolge das Land zwischen 1998 und 2009 schätzungsweise mehr als 15 Prozent seiner Singvögel eingebüßt hatte, insgesamt mehr als 12 Millionen Brutpaare. Allein die Zahl der Stare war um 2,6 Millionen Paare zurückgegangen.
Ein ähnlicher Rückgang wurde in Frankreich beobachtet, wobei Feldvögel am stärksten betroffen sind. Seit 1989 sind die Bestände von 24 Feldvogelarten in Frankreich um 33 Prozent zurückgegangen. Dabei ist der Populationseinbruch in den letzten paar Jahren besonders schnell vorangeschritten.
Weltweit laufen mehr als 40 Prozent aller Insektenarten Gefahr auszusterben, wie es in einem Bericht heißt, der am 10. Februar in „Biological Conservation“ erschien. Am schlimmsten sind jene Gruppen betroffen, zu denen Bienen und Wespen, Motten und Schmetterlinge sowie Mistkäfer gehören.
Pestizide sind natürlich eine der großen Bedrohungen für die Tiere. Im vergangenen April verhängte die EU ein Verbot für den Einsatz von drei Pestiziden mit Neonicotinoiden, die nachweislich Honigbienen schädigen. Das Problem ist aber viel systematischer, wie Forschungen zeigen, darunter der Bericht aus „Biological Conservation“. Der Hauptgrund für den Insektenschwund ist der Verlust von Lebensraum durch die intensive Bewirtschaftung von Landflächen und die weiträumigen Asphalt- und Betonflächen in Städten.
Das Gesetz des Volkes
Im Artikel 72 der bayerischen Verfassung heißt es: „Die Gesetze werden vom Landtag oder vom Volk (Volksentscheid) beschlossen.“ Die ÖDP, die bei der Wahl 2018 weniger als zwei Prozent der Stimmen erhielt und somit nicht in den Landtag einzog, hat sich als wahrer Meister der direkten Demokratie erwiesen. Ein Volksbegehren aus dem Jahr 1997 führte zur Abschaffung des Bayerischen Senats, der vier Jahrzehnte existierte, aber größtenteils keine politische Macht hatte. Ein weiteres Volksbegehren aus dem Jahr 2010 führte zu einem landesweiten Rauchverbot in Bars und Restaurants.
Das Bestreben um die Reformation der bayerischen Landwirtschaft könnte sich als ebenso folgenreich erweisen. Die Petition würde nicht nur verhindern, dass Landwirte Feldgehölze entfernen, sondern auch, dass Dauergrünlandflächen und -brachen zur landwirtschaftlichen Nutzung umgewandelt werden. Außerdem dürften große Wiesenflächen nicht mehr von außen nach innen gemäht werden, damit keine Tiere im Mähkreis eingeschlossen werden. Darüber hinaus dürften zehn Prozent der Wiesen im Freistaat nicht vor dem 15. Juni gemäht werden, damit Wildblumen Zeit zum Blühen haben und Insekten eine Nahrungsquelle bieten können.
Für die Kritiker, darunter der Bayerische Bauernverband und der Landwirtschaftsminister, riecht das alles nach „Planwirtschaft“, also nach Sozialismus – ein Erzfeind Bayerns. Die Landwirte fühlen sich durch das Volksbegehren angegriffen und für ein Problem beschuldigt, das ihnen zufolge weit über die Landwirtschaft hinausreicht.
Arno Zengerle ist kein Landwirt, sondern der Bürgermeister einer kleinen, landwirtschaftlich geprägten Gemeinde namens Wildpoldsried im Oberallgäu. Unter Zengerles Führung hat der Ort sich zu einem Vorbild in Sachen erneuerbare Energien entwickelt. Mit seinen Windkraftanlagen, Solaranlagen und Biogasreaktoren erzeugt er fünfmal mehr Energie, als er verbraucht. Außerdem hat Zengerles Gemeinde beträchtliche Summen in Wildblumenwiesen investiert. Das Volksbegehren Artenschutz entspricht allerdings nicht seiner Vorstellung von Umweltschutz.
„Alle wollen die Bienen retten“, sagt er. „Aber was da geplant ist, belastet die Landwirte nur noch mit zusätzlichen Verpflichtungen, obwohl die eh schon unter beträchtlichen bürokratischen Hürden zu leiden haben. Meiner Ansicht nach wird das dazu führen, dass viele kleine Betriebe aufgegeben werden und die Landwirte ihr Land an größere Unternehmen verpachten oder verkaufen.“
Sofern das Volksbegehren zu einer Gesetzesänderung führt, kann der Freistaat durchaus noch Einzelheiten ändern und die Kritiker beruhigen, wie Verfechter der Petition sagen. Dabei bleibt der Kernpunkt des Volksbegehrens jedoch bestehen: Die Landwirtschaft muss sich verändern, wenn der Lebensraum von Insekten und Vögeln erhalten bleiben soll.
Karin Staffler, eine Imkerin aus Augsburg, sieht die Petition als eine letzte Chance an: „Wenn wir warten, bis die ganze Welt mitmacht, wird es nichts mehr zu retten geben“, schrieb sie in einem Gastkommentar in der Süddeutschen Zeitung. „Wir alle haben viel zu lange zugeschaut, jetzt läuft uns die Zeit davon.“
Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.
Biene
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