Kindergärten für Korallen: Können sie die Riffe retten?
Mit welchen vielversprechenden Ansätzen Korallen geschützt werden können, ohne dass die Diversität leidet, erklärt Dr. Sonia Bejarano, Leiterin der Arbeitsgruppe Riffsystem am Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung in Bremen im Interview.
Die Aufzucht von Korallen in sogenannten Korallen-Kindergärten hat in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht. Weltweit konnten geschädigte Riffe wieder hergestellt werden.
Frau Dr. Bejarano, warum sterben Korallen?
Verschiedene Faktoren können das Sterben ganzer Korallenkolonien verursachen. Sind sie zu hohen Mengen an Sediment ausgesetzt, verursacht Schäden durch Abscheuern oder ein Ersticken. Oder wenn sie mit Schadstoffen in Kontakt kommen, die über landwirtschaftliche Pestizide ins Meer gelangen. Auch Stürme können große Schäden an Korallen anrichten. In den Tropen ist die Ozeanerwärmung ein häufiger Grund. Die Wassertemperatur in den Ozeanen steigt und wird sich in den kommenden Jahrzehnten weiter erhöhen. Hinzu kommen warme Sommer, die Hitzewellen mit sich bringen. In jüngster Zeit wurde das Meerwasser viel wärmer, als die Korallen aushalten können. Oft hielt dieser Zustand auch länger an, als sie verkraften können. Die Korallen verlieren dann die winzigen symbiotischen Algen, die in ihrem Gewebe leben und sie durch Photosynthese mit Energie versorgen. Dadurch verschwindet nicht nur die Farbe der Korallen – die sogenannte Korallenbleiche tritt ein –, sondern die Organismen verlieren auch einen wichtigen Nahrungslieferanten. Solange die Temperaturen hoch bleiben, ist die Koralle nicht in der Lage, die Symbiose wiederherzustellen, was dazu führt, dass sie verhungern und sterben kann. Eine Wiederherstellung der Symbiose und das Überleben sind zwar möglich, solange das Korallenskelett erhalten bleibt. Doch manchmal sind die Hitzewellen so stark, dass es zu einer starken Vermehrung einer besonderen Art von Mikroben kommt, welche die Korallenskelette innerhalb weniger Tage auflösen können und somit für die Korallen die Chance zunichtemachen, die Hitze zu überleben.
Warum braucht die Welt Korallen?
Es gibt viele Gründe, warum die Welt Korallen braucht. Ohne Korallen können sich Riffe nicht weiterwachsen und Schutz für die Küsten bieten. Dies würde ungefähr 150.000 km der Küstenlinien weltweit für Überschwemmungen und Erosion anfällig machen. Tatsächlich ergab eine an der Universität von Kalifornien (Santa Cruz) durchgeführte Studie (Beck et al. 2018), dass ohne Riffe die Überschwemmungsschäden weltweit um 91%, auf 272 Milliarden USD ansteigen würden. Ohne Korallen schwächen wir die Riffe mit ernsthaften sozioökonomischen Konsequenzen, einschließlich des Verlusts von Land und Eigentum. Zudem bilden Korallen einen wichtigen Lebensraum für Tausende von Fischarten und wirbellosen Tieren, die Millionen von Menschen auf der ganzen Welt ernähren. Nicht zuletzt prägen Korallen die Einzigartigkeit der malerischen Unterwasser-Landschaften, die Touristen anziehen. Der Verlust der Korallenriffe würde in tropischen Ländern nicht nur zu einem Mangel an traditionellen nährstoffreichen Nahrungsmitteln, sondern auch zu einem geringeren Einkommen durch Touristen führen, die nicht mehr in die Regionen reisen würden, wenn es dort keine wunderschönen Meereslandschaften zum Tauchen oder weiße Sandstrände mehr gäbe. Allein in Australien bedeutet ein Sterben der Korallen und Riffe den Wegfall einer 5-Milliarden-Dollar-Industrie mit beträchtlichen Folgen für die Lebensgrundlage von rund 70.000 Menschen. Abgesehen von diesen auf den Menschen bezogenen Auswirkungen und den wirtschaftlichen Folgen, bedeuten sterbende Riffe in erster Linie den Verlust eines der artenreichsten Ökosysteme der Erde.
Tauchgang für die Zukunft der Riffe: Dr. Sonia Bejarano beim Legen eines Transsekts in einem Korallenriff in Französisch-Polynesien.
Wie sinnvoll sind Korallenkindergärten und Korallenschulen?
Die Korallenaufzucht in sogenannten Korallen-Kindergärten und die Verpflanzung des jungen Nachwuchses zur Wiederherstellung geschädigter Riffe (Riffrestauration) haben im Laufe der Jahre stetig Fortschritte gemacht, mit erfolgreichen und bemerkenswerten Beispielen in verschiedenen Teilen der Welt. Um Ihre Frage zu beantworten, gehe ich davon aus, dass eine „erfolgreiche“ Restaurationsbemühung nicht nur das Überleben der Korallen ermöglicht, sondern auch die Funktionen und Dienstleistungen der Korallenriffe und damit deren vielfältigen sozial-ökologischen Nutzen verbessert. In einer kürzlich veröffentlichten Studie wurde die Wirksamkeit von vier gut etablierten Riffrestaurationsprogrammen bewertet (Hein et. al. 2020). Restaurierte Riffe, die mit Hilfe von Korallen aus Korallenkindergärten angelegt wurden, verbesserten die Habitat-Strukturen und Rückzugsgebiete für Fische und für andere Tiere. Ihr Nutzen für die Korallenvielfalt, die Rekrutierung neuer junger Korallen und die Gesundheit der Korallen war jedoch nicht überall einheitlich und schien sowohl von standortspezifischen Bedingungen als auch von der verwendeten Methode abzuhängen.
Leidet in solchen Korallenkindergärten die Diversität, weil nur schnellwachsende Korallen gezüchtet werden und weil alle Korallen von einem Polypen abstammen?
Die meisten Riffrestaurierungsprogramme haben sich in der Tat auf das "Korallengärtnern" durch Fragmentierung von schnell wachsenden Korallen fokussiert, da dieser Prozess der asexuellen Reproduktion relativ einfach ist. Aber es gibt einige interessante neue Ansätze. Einer davon ist das Sammeln von sexuell produzierten Koralleneiern und -spermien zur Aufzucht von Larven und jungen Kolonien in Aquarien. Eine sehr gute neue Studie (Randall et al. 2020) zeigt alle grundlegenden Prozesse auf, die in Betracht gezogen werden müssen, um dieses Verfahren in der Praxis anzuwenden und den Weg für Wiederansiedlungsbemühungen verschiedener Spezies zu ebnen. Tatsächlich ist es notwendig, eine größere Vielfalt von riffbildenden Korallen mit unterschiedlichen Reproduktionsarten, Formen und Funktionen in restaurierten Riffen zusammen zu bringen, um ihre Chancen zu erhöhen, sich von Störeinflüssen zu erholen.
Die Korallen in Korallenschulen stammen allerdings nicht vom selben Polypen. Vielmehr werden bei den meisten Korallengarten-Projekten Fragmente aus einer einzigen Korallenkolonie gewonnen. Dies verringert natürlich die genetische Vielfalt, weil alle Fragmente in einer Korallenschule am Ende kleine Teile desselben "Individuums" sein können. Das Wichtigste, was Anwender dieser Methode beachten sollten, ist Fragmente aus möglichst vielen verschiedenen Kolonien (Genotypen) in die restaurierten Riffe zu transplantieren. In der Tat ist dies die Praxis in Florida, einem der größten und gut etablierten Restaurationsprogramme der Welt.
Braucht unser Ökosystem Korallendiversität oder reicht für den Erhalt auch eine Korallen-Monokultur?
Korallenriff-Ökosysteme brauchen verschiedene Facetten der Diversität, um dauerhaft bestehen zu können. Sie sollten verschiedene Arten beherbergen, die unterschiedliche Funktionen erfüllen, aber auch eine Vielzahl von Individuen innerhalb der einzelnen Arten, welche unterschiedlich auf Stress reagieren.
Was sagen Sie zur assisted evolution, einer Praxis bei der durch Eingriffe des Menschen Evolutionsprozesse beschleunigt werden? Können und sollen wir so die Korallenriffe retten?
Die „assisted evolution“ von Korallen ist ein vielversprechender proaktiver Ansatz, der sie nachweislich toleranter gegenüber Hitzewellen macht, die unter Laborbedingungen simuliert wurden. Derzeit wird noch untersucht, ob dies im großen Umfang kosteneffizient angewendet werden kann, um natürliche Korallenriffe so zu restaurieren, dass sie eine größere Chance haben bei steigenden Wassertemperaturen der Ozeane zu überleben. „Assisted evolution“ kann jedoch globale Maßnahmen zur Reduzierung von Treibhausgasen und Ozeanverschmutzung nicht ersetzen, sondern sollte parallel dazu entwickelt werden und die Bemühungen zur Stärkung konventioneller Riffschutz-Maßnahmen, wie die Einrichtung von Meeresschutzgebieten oder Regulierungen des Fischfangs begleiten.
Gibt es andere vielversprechende Ansätze Korallenriffe zu retten?
Es gibt in der Tat einige neue vielversprechende Ansätze. Wie zum Beispiel den Einsatz von Biomarkern zur Steuerung der Transplantationsbemühungen in Korallenschulen. Biomarker könnten die Korallenfragmente identifizieren, die gegenüber Hitzestress am tolerantesten sind oder andere vorteilhafte Funktionen aufweisen, und somit bei einer Priorisierung von Transplantationsbemühungen und -ressourcen helfen (Everett-Parkinson et al. 2019). Die zuvor beschriebene Restauration mit sexuell produzierten Korallen kann die Biodiversität in restaurierten Riffen erhöhen (Randall et al. 2020). Eine Zugabe von nützlichen Mikroben kann die Gesundheit der Korallen fördern und ihre Widerstandsfähigkeit gegen Hitzestress erhöhen (Damjanovic et al 2019). Ein weiterer Ansatz ist, Korallenchimären zu kreieren, d.h. Korallen, die mindestens zwei DNA-Sätze enthalten und zumeist aus der Verschmelzung zweier befruchteter Eier stammen. Diese Fusion hat nicht nur klare Vorteile für Wachstum und Überleben (auf der Ebene der Organismen), sondern mindert auch den Verlust der genetischen Diversität im Riff und erhöht die Ausbreitungsfähigkeit der Arten (Rinkevich 2020). Außerdem versucht man Kreuzungen zwischen verschiedenen genetischen Beständen zu unterstützen und deren Widerstandsfähigkeit gegenüber Stress zu erhöhen, indem man über eine sogenannte unterstützte Migration oder Umsiedlung Korallen, die sehr tolerant gegenüber extremen Bedingungen sind, an andere Orte innerhalb ihres natürlichen Verbreitungsgebietes versetzt (Schoepf et al. 2019).
Was ist der erste und wichtigste Schritt um das Korallensterben aufzuhalten? Was kann jeder von uns im Kleinen tun?
Wir können dazu beitragen, dass weit verbreitete Korallensterben zu stoppen, indem wir jeden Tag bewusste Entscheidungen treffen, die unseren CO2-Fußabdruck zu Hause, in der Schule und am Arbeitsplatz minimieren. Das bedeutet, unseren Verbrauch an fossilen Brennstoffen zu reduzieren und erneuerbare Energien zu nutzen, den Fleischkonsum zu reduzieren, den übermäßigen Konsum von Produkten im Allgemeinen zu vermeiden und beim Einkauf im Supermarkt verantwortungsvolle Entscheidungen zu treffen. Der Kauf lokal angebauter sowie lokal hergestellter Produkte, die minimale Auswirkungen auf die Umwelt haben, kann dazu beitragen, die Erwärmung der Ozeane zu verlangsamen. Weitreichende Entscheidungen zur Eindämmung des CO2-Ausstosses mögen durchaus von Regierungen und Politikern abhängen, aber jeder einzelne spielt eine Schlüsselrolle, wenn es darum geht, kluges politisches Handeln zu fordern und zu ermöglichen.
Dr. Sonia Bejarano, Leiterin der Arbeitsgruppe Riffsystem am Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT) in Bremen
Frau Dr. Bejarano, was treibt Sie an?
Ein tiefgreifendes Interesse daran zu verstehen, welchen Grad an menschlicher Nutzung Riffe zu diesem Zeitpunkt in der Geschichte noch aushalten können, ohne dass ihre biologische Vielfalt, Gesundheit und Funktionalität verloren geht. Die Liebe zu Korallenriffen und die Dringlichkeit, sie als globale Hotspots der Biodiversität zu schützen.
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