Begegnungen mit den Tieren in Italiens ältestem Nationalpark

Der Fotograf Stefano Unterthiner verfolgt im Nationalpark Gran Paradiso einen besonderen Ansatz: Er zeigt sich den Tieren ganz offen – und schafft so intime Porträts.

Von Alexa Keefe
bilder von Stefano Unterthiner
Veröffentlicht am 4. Aug. 2020, 14:55 MESZ
Eine Alpengams (Rupicapra rupicapra) steht vor einer Bergkulisse im Nationalpark Gran Paradiso im Aostatal, Italien.

Eine Alpengams (Rupicapra rupicapra) steht vor einer Bergkulisse im Nationalpark Gran Paradiso im Aostatal, Italien.

Foto von Stefano Unterthiner

Steinböcke. Gämse. Hermeline. Schneehühner. Rotfüchse. Als Teenager verbrachte Stefano Unterthiner unzählige Stunden damit, diese Tiere im italienischen Nationalpark Gran Paradiso zu beobachten. Sein Onkel Paolo, ein leidenschaftlicher Naturliebhaber und Fotograf, wanderte dort öfter mit seinem besten Freund und Parkranger Luciano und lud Stefano dazu ein. Gemeinsam erkundeten sie die Wälder und Täler dieses unberührten Stücks der italienischen Alpen, auf der Suche nach wilden Tieren zum Fotografieren.

Stefanos erste Aufnahmen von Wildtieren entstanden mit einer alten Filmkamera, die ihm Paolo geliehen hatte. „Ich habe mich in diesem Park wirklich in die Natur verliebt. Und ich habe mich in diesem Park auch wirklich in die Fotografie verliebt.“ Diese Erfahrungen hatten einen starken Einfluss auf seine Entscheidung, Naturwissenschaften zu studieren und schließlich in Zoologie zu promovieren, bevor er sich ganz der Tierfotografie widmete. „Es war ein ganz besonderes Gebiet [...] wie mein kleiner Yellowstone“, sagt er.

„Rourounette“ ist der Spitzname, den dieser Fuchs von Stefanos Frau Stephanie erhalten hat. Übersetzt bedeutet er einfach „die rote Rote“. „Das war der erste Herbst, den ich im Park verbrachte“, sagt Stefano. „Zu dieser Jahreszeit ist der Park fast leer. Es sind keine Touristen in der Nähe. Ich wollte ein Bild mit dem Fuchs und der Farbe machen. Der Fuchs blickte schläfrig drein, wie ein Hund. Ich war sehr nah dran mit einem Weitwinkelobjektiv. Es war ein ganz besonderer Moment mit einem wilden Tier im Wald.“

Foto von Stefano Unterthiner

Ein Bartgeier (Gypaetus barbatus) schwebt über dem schneebedeckten Nationalpark Gran Paradiso.

Foto von Stefano Unterthiner

Ein bestimmtes Tier nimmt einen besonderen Platz in seinem Herzen ein. „Ich bin ein Fan von Füchsen. Ich liebe viele Tiere, aber Füchse sind vermutlich einer meiner Favoriten. Sie sind einfach die coolsten Tiere, so clever, so viele Verhaltensweisen“, sagt er. (Paradies am Mittelmeer: Entdeckt Italiens bezaubernde Amalfiküste.)

„Alles begann mit Fred“, fährt er fort und spricht über den Rotfuchs, der sein Interesse an dieser Tierart ursprünglich geweckt hat (und der 2004 zum Thema seines gleichnamigen Buches wurde). „Ich erinnere mich daran, wie ich noch sehr jung war und wie schwierig es war, den Fuchs tagsüber zu entdecken. Fast unmöglich, weil die Füchse scheu waren. Und dann traf ich Fred. Er war etwas Besonderes. Er war sehr freundlich. Wenn eine Art jahrzehntelang nicht gejagt wird, verliert sie ihre Angst vor dem Menschen“, erklärt er.

Zwei Füchse bei einer aggressiven Auseinandersetzung. Im Winter, wenn die Paarungszeit näher rückt, kommen solche Streitereien häufiger vor, sind für Beobachter aber dennoch ein seltener Anblick.

Foto von Stefano Unterthiner

2013 und 2014 verbrachte Stefano mehr Zeit mit seinen geliebten Füchsen, als er für einen einjährigen Fotoauftrag für National Geographic in Gran Paradiso war. Laut ihm war es eine der schwierigsten Aufgaben seiner Karriere, einen neuen Blick auf diesen Ort zu finden, den er bereits so gut kannte und der so eine große Bedeutung für ihn hat.

Da er nun digital fotografierte (Fred hatte er damals noch auf Film aufgenommen), konnte er eine größere Bandbreite von Verhaltensweisen beobachten, insbesondere in Situationen mit wenig Licht. „Normalerweise sind Füchse echte Einzelgänger“, sagt er. „Während des Auftrags hatte ich die Gelegenheit, zwei oder drei Füchse zusammen zu sehen – in Interaktion, beim Kampf, beim Balzverhalten –, etwas, das selbst für einen Fuchsspezialisten wie mich eine sehr seltene Gelegenheit ist“, erzählt er. (Wild und schön: Erkundet 22 spektakuläre Orte in Europa.)

„Ich glaube, man kann zu einigen Tieren eine stärkere Bindung haben als zu anderen“, antwortet Unterthiner auf die Frage, wie er seine Beziehung zu Füchsen definieren würde. „Es ist einfacher, eine Bindung zu Füchsen zu haben als zu Bergziegen. Mit einigen Arten kann man so eine Art Empathie entwickeln. Der springende Punkt ist das gegenseitige Vertrauen.“

Und wie schafft er dieses Vertrauen?

„Wenn man Bücher über Tierfotografie liest, steht da immer, dass man sich verstecken muss. Ich mache es genau umgekehrt. Ich will, dass das Tier weiß, dass ich da bin. Ich kleide mich manchmal in Rot. Ich möchte vollständig sichtbar sein. Wenn ich etwas bekomme, dann nur, weil ich eine Beziehung zu ihnen habe. Das reißt diese Mauer ein, und dann werde ich wieder unsichtbar. Aber sie wissen, dass ich da bin. Ich bin unsichtbar, weil es ihnen egal ist.“ (Auf einer Farm in Minnesota finden Füchse aus Pelzfarmen ein neues Leben.)

Bei kaltem Wetter bekommt das normalerweise rotbraune Hermelin sein weißes Winterfell.

Foto von Stefano Unterthiner

„Man muss wissen, wie das funktioniert“, fährt er fort. Er betont, dass diese Methode der Annäherung an die Tiere Teil einer Mentalität ist und nicht einfach nur eine Möglichkeit, ein Foto zu machen. „Das Wichtigste ist, sich ihnen so zu nähern, dass man die Tiere nicht stört, dass man ihre Energie nicht abzieht, sie nicht füttert, sie nicht berührt. […] So gehe ich nach Möglichkeit immer vor, aber nicht nur bei der Fotografie. Das ist die Art von Beziehung, die ich mit anderen Lebewesen haben möchte, mit meiner Frau, mit meinen Freunden.“

Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

Fotografie

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