Vom Haustier zur invasiven Art: Schildkröten erobern Baden-Württemberg

Gleich drei nordamerikanische Arten breiten sich in Süddeutschland immer mehr aus. Laut einer Studie sind sie die ersten fremden Schildkröten, die hierzulande heimisch geworden sind.

Von Marina Weishaupt
Veröffentlicht am 17. Feb. 2023, 17:35 MEZ
Eine Schildkröte sitzt auf einem Ast an Rande eines Sees.

Eine der drei Schildkrötenarten – die Falsche Landkarten-Höckerschildkröte, Graptemys pseudogeographica  –, die in Deutschland nun heimisch geworden sind.

Foto von Johannes Penner / IDW

Durch den Import und Verkauf von Tieren aus anderen Ländern, ist die Globalisierung mittlerweile auch in der Natur angekommen. Immer öfter lassen sich in heimischen Gefilden ehemals fremde Tierarten nieder. Goldschakal, Regenbogenforelle, Nutria, Waschbär oder zuletzt die Nosferatu-Spinne sind nur einige Vertreter invasiver Arten – und spalten die Gemüter

Nun gesellen sich gleich drei verschiedene nordamerikanische Schildkrötenarten zu ihnen, die mittlerweile in Süddeutschland heimisch sind und sich dort fröhlich fortpflanzen – so nördlich wie nie zuvor. Forschende der Senckenberg Naturhistorischen Sammlungen Dresden und der Universität Freiburg bestätigen dies nun erstmals in einer Studie, die im Fachmagazin NeoBiota erschien. 

Nur zu Besuch oder schon heimisch?

Bei den drei untersuchten Arten handelt es sich um die Buchstaben-Schmuckschildkröte (Trachemys scripta), die Gewöhnliche Schmuckschildkröte (Pseudemys concinna) und die Falsche Landkarten-Höckerschildkröte (Graptemys pseudogeographica). „Wir wollten herausfinden, ob die Schildkrötenarten als invasiv anzusehen sind – also ob sie sich hier selbstständig und regelmäßig in der Natur fortpflanzen“, erläutert Melita Vamberger, Wissenschaftlerin an den Senckenberg Naturhistorischen Sammlungen Dresden. 

Hier sonnen sich verschiedene nicht-heimische Schildrötenarten auf dem Nest zweier Blässhühner. Inwieweit die Reptilien die heimischen Ökosysteme belasten, muss zukünftig erforscht werden. 

Foto von Nahid Hasan Sumon / IDW

Dafür untersuchten sie und ihr Team etwa 200 Tiere verschiedener Altersstufen aus Seen innerhalb der Städte Freiburg und Kehl mittels Genanalysen. „Für alle drei Arten konnten wir das nun erstmals zeigen: Sie sind in Baden-Württemberg heimisch geworden. Das ist der erste Nachweis erfolgreicher und regelmäßiger Fortpflanzung nicht-heimischer Schildkrötenarten in Deutschland“, so Vamberger. 

Für Erstautor Benno Tietz von der Universität Freiburg ist dies ein durchaus überraschendes Ergebnis: „Bis vor Kurzem ist man davon ausgegangen, dass sich diese Schildkröten in Mitteleuropa insbesondere wegen des kühleren Klimas nicht fortpflanzen können. Gerade die Falsche Landkarten-Höckerschildkröte ist eigentlich eher kälteempfindlich.“

(K)eine lange Reise: Von Nordamerika nach Süddeutschland

Doch wie kamen die in Nordamerika heimischen Tiere überhaupt nach Deutschland? Selbstständig legten sie die Reise nicht zurück. Exoten wie Schildkröten oder andere Reptilien gelangen hauptsächlich durch das aktive Aussetzen ihrer Besitzer und Besitzerinnen, die sie zuvor als Haustiere hielten, in die Natur.

So auch die mittlerweile EU-weit verbotene Nordamerikanische Buchstaben-Schmuckschildkröte (Trachemys scripta). Als beliebtes Haustier entwickelte sich Trachemys scripta in Ländern auf der ganzen Welt rasant zu einer der schädlichsten invasiven Arten. Doch das Verbot auf Import und Verkauf des Tieres sorgte lediglich für eine Verschiebung – neue Schildkröten eroberten die Tierhandlungen, Haushalte und schließlich auch die Natur.

Bedrohen invasive Arten die heimische Biodiversität?

Sogenannten Neozoen – also gebietsfremde Arten,die in einem neuen Land heimisch werden – wirken sich auf kurze und lange Sicht auf die biologische Vielfalt aus. Sie verdrängen heimische Arten aus ihrem Lebensraum und tragen zur Verbreitung von Krankheiten bei. Durch die neue Rolle innerhalb der Nahrungskette können sie das Ökosystem enorm belasten – je nach Speiseplan sowohl die Pflanzen- als auch die Tierwelt.

BELIEBT

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    Johannes Penner von der Universität Freiburg erklärt die Problematik anhand der invasiven Buchstaben-Schmuckschildkröte. Diese könnte das kleine Vorkommen der Europäischen Sumpfschildkröte (Emys orbicularis), die lediglich noch in Brandenburg verortet werden kann, erheblich stören. „Im Versuchsaufbau kam es bei Europäischen Sumpfschildkröten, die gemeinsam mit Trachemys scripta gehalten wurden, zu Gewichtsverlust und einer hohen Sterblichkeit“, so Penner. 

    Neben diesen negativen Folgen können Ökosysteme jedoch auch von Neozoen profitieren. In manchen Fällen können sie sich gut in bestehende Systeme einfügen und in geschädigten Lebensräumen Rollen übernehmen, an denen es andernfalls mangeln würde. Inwiefern dies auf die drei neuen heimischen Schildkrötenarten zutrifft, muss laut Vamberger dringend weiter erforscht werden – zum Schutz gefährdeter Arten und ganzer Lebensräume. „Gleichzeitig brauchen wir eine breite Aufklärung der Bevölkerung, damit künftig keine Tiere – egal welcher Art – mehr ausgesetzt werden“, so die Wissenschaftlerin. 

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