Was bedeutet das historische Hochseeabkommen der UN?

In Sachen Artenschutz war die Hohe See bislang ein nahezu rechtsfreier Raum. Ein historischer Vertrag der UN soll ihre Biodiversität nachhaltig vor Ausbeutung schützen. Doch wie kann er durchgesetzt werden?

Von Marina Weishaupt
Veröffentlicht am 7. März 2023, 10:26 MEZ
Zwei Buckelwale springen aus dem Wasser.

Zwei Buckelwale auf Hoher See. Der Erhalt der Biodiversität steht bei dem Hochseeabkommen der UN an erster Stelle. Auch beim Erforschen der bislang unbekannten Regionen der Hoch- und Tiefsee müssen nun strengere Vorschriften eingehalten werden.

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„Das Schiff hat die Küste erreicht.“ Mit diesen Worten schloss Kommisionsleiterin Rena Lee die rund 40-stündige Sitzung der Vereinten Nationen am 5. März 2023 unter tosendem Applaus. Zuvor rangen die UN mehr als 15 Jahre um den Schutz der internationalen Gewässer. 

Nun einigten sie sich auf ein Abkommen, das die „Biodiversität jenseits nationaler Gesetzgebung“ in den Weltmeeren schützen soll. Ein international völkerrechtlich verbindlicher Vertrag gegen die maßlose Ausbeutung der Hoch- und Tiefsee. 

Das Abkommen ist ein erster Schritt, um dem Beschluss des UN-Biodiversitätsgipfels in Montreal vom Dezember 2022 nachzukommen. Demnach müssten bis zum Jahr 2030 rund 30 Prozent der Weltmeere als Schutzgebiete ausgewiesen werden. 

Die Hochsee: Ein bisher (fast) rechtsfreier Raum

Als Hohe See gelten all jene Meeresgebiete, die sich außerhalb der sogenannten 200-Meilen-Zone entfernt von Küsten oder rund um Inseln erstrecken. Innerhalb dieser 370-Kilometer-Grenze ist der jeweilige Küstenstaat für seine Wirtschaftszone zuständig und darf begrenzte souveräne Rechte ausüben. Alles, was sich über 200 Seemeilen hinaus erstreckt, gilt bisher als weitestgehend rechtsfreier Raum. 

“Der Ozean ist unser mächtiger Verbündeter in der Klima- und Biodiversitätskrise. Wenn wir ihn schützen, schützen wir auch uns Menschen.”

von Steffi Lemke
Bundesumweltministerin

Der Schutz von etwa zwei Dritteln der weltweiten Ozeane gestaltete sich dementsprechend schwierig. Ein Streitpunkt der langwierigen Verhandlungen: Bisher konnten wichtige Beschlüsse gemäß dem Prinzip des Konsens durch einzelne Mitglieder blockiert werden. Staaten wie Russland oder China wollten hieran festhalten. Künftig wird das Problem damit umgangen, dass keine Einstimmigkeit mehr vonnöten ist – eine Dreiviertelmehrheit genügt, um neue Schutzgebiete auszuweisen. 

Unergründliche Ozeane und wissenschaftliche Durchbrüche

Lediglich fünf Prozent der weltweiten Ozeane gelten als erforscht. Durch das Erbgut bisher unbekannter Lebewesen aus der Tiefsee könnten in Zukunft wissenschaftliche Durchbrüche möglich sein, von denen wir heute nur zu träumen wagen – etwa in der Medizin. Derart utopisch klingende Wunschgedanken zählten zu einem der größten Knackpunkte der Verhandlungen. Denn damit ließen sich womöglich nicht nur grundlegende gesellschaftliche Probleme lösen, sondern wie aus anderen Meeresressourcen eine Menge Profit schlagen. 

Vor allem die Industriestaaten des Globalen Nordens haben die finanziellen Mittel, solche Ressourcen zu ergründen und zu kommerzialisieren. Dagegen würden Länder des Globalen Südens wahrscheinlich weitgehend leer ausgehen. Angesichts der möglichen massiven Gewinne ist das nicht fair. Das Abkommen enthält deshalb Auflagen über die Aufteilung etwaiger finanzieller, technologischen oder wissenschaftlicher Gewinne aus marinegenetischen Ressourcen – etwa über Ausgleichsmaßnahmen durch Fonds oder Pauschalzahlungen.

„Es ist höchste Zeit, aber es ist nicht zu spät.“

Laut Till Seidensticker, Meeresexperte der Umweltschutzorganisation Greenpeace, beginnt nun die eigentliche Arbeit – auch für Deutschland. Zentraler Bestandteil sei vor allem das Etablieren von Schutzgebieten. „Es gab das Abkommen von Montreal, wo sich darauf geeinigt wurde, diese 30 Prozent der Weltmeere zu schützen. Aber es gab eben keine Möglichkeiten diese Schutzgebiete auf der Hochsee zu schaffen“, so Seidensticker. Das Abkommen sei in dieser Hinsicht eine grundlegende und historische Kehrtwende. 

Bundesumweltministerin Steffi Lemke zeigt sich tief bewegt und bezeichnet das Abkommen als einen „historischen Durchbruch für den Schutz der Meere, für die Hohe See.“ Laut ihr will Deutschland die Umsetzung des Abkommens rasch vorantreiben. Auch andere EU-Länder haben bereits finanzielle Mittel in Aussicht gestellt. Die Versprechen, die mit dem Abkommen einhergehen, sind also groß. 

BELIEBT

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    Schutzmaßnahmen sind gut, Kontrolle ist besser

    Doch wie genau soll der nun beschlossene Schutz der Hochsee sichergestellt werden? Laut Seidensticker braucht es vor allem angemessene Kontrollen zur Einhaltung des Schutzstatusses. Dafür legten die Mitgliedstaaten ein Verfahren fest, womit wirtschaftliche Projekte, wissenschaftliche Expeditionen und sämtliche anderen Aktivitäten in der Hochsee auf ihre Umweltverträglichkeit geprüft werden. Dazu zählen auch massive Eingriffe der Fischerei, der Erdölindustrie oder des Tiefseebergbaus. 

    Bislang wird die Hohe See durch das UN-Seerechtsabkommen UNCLOS kontrolliert. Allerdings verteilt sich die Überwachung des Tiefseebodens, der Fangquoten oder der Schifffahrt auf bisweilen über 20 verschiedene Organisationen. Eine übergreifende, koordinierte Kontrolle aller Sektoren sowie sämtlicher Nutzungsbereiche müsste folglich einheitlich geregelt und umgesetzt werden. Zunächst liegt es jedoch an den einzelnen Mitgliedstaaten, das Abkommen in Kraft zu setzen – bevor Fischgründe, Korallenriffe, Unterwasserberge und Tiefseeboden ihren verdienten Schutzstatus genießen können.

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