Massiver Bergsturz: Wie sieht die Zukunft der Alpen aus?

Die Berge bröckeln: In Tirol sind 100.000 Kubikmeter Gestein aus den Alpen gebrochen – ein Vorgang, der sich mittlerweile häuft. Verschwinden langfristig die Gipfel der Erde?

Von Lisa Lamm
Veröffentlicht am 16. Juni 2023, 15:44 MESZ
So sah das Fluchthorn-Massiv bis zum 11. Juni 2023 noch aus. Bei dem Bergsturz verlor das ...

So sah das Fluchthorn-Massiv bis zum 11. Juni 2023 noch aus. Bei dem Bergsturz verlor das Südliche Fluchthorn oben rechts im Bild 100 Meter Höhe: Die Alpen wandeln sich.

Foto von Anton-kurt / Wikimedia Commons

Mehr als 100.000 Kubikmeter Gestein sind es, die am 11. Juni 2023 in Tirol von einem Alpengipfel abbrechen und ins Tal stürzen. Bei dem Bergsturz verschwinden Gipfel und Gipfelkreuz des Südgipfels des Fluchthorn-Massivs, der Berg ist nach Schätzungen nun etwa 100 Meter kleiner. Menschen wurden glücklicherweise nicht verletzt.

Das Problem ist nicht neu. Erst im Mai 2023 wurde das Schweizer Alpendorf Brienz im Schweizer Kanton Graubünden evakuiert, weil Felsmassen auf die Bewohner*innen abzurutschen drohten. Und auch sonst sind verheerende Bergstürze in den Alpen in den letzten Jahren vermehrt vorgekommen: etwa im Jahr 2003 am Matterhorn oder im Jahr 2017 am Piz Cengalo.

Der Grund dafür ist meist der auftauende Permafrost, der das Gestein normalerweise wie Kleber zusammenhält und ohne den die Berge zu bröckeln beginnen – so auch in diesem Fall.

Permafrost: Der Kleber des Berges

Für die Stabilität der Alpen ist der Permafrost extrem wichtig. Das gefrorene Wasser im Inneren des Berges schließt die Fugen im Gestein und vermischt sich mit dem Material des Berges zu einer stabilen Masse. Von Permafrost spricht man dann, wenn der gefrorene Untergrund für mindestens zwei Jahre ununterbrochen unter dem lokalen Gefrierpunkt liegt. Durch die Erderwärmung wird dieser Punkt aber vielerorts überschritten: Der Dauerfrost taut ab, das Eis im Inneren der Alpen schmilzt. Das führt zu lockerem und brüchigem Gestein.

Laut Christoph Mayer, Glaziologe an der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (BAdW), ist für einen Bergsturz meist eine bereits existierende Schwachstelle im Inneren des Berges verantwortlich, die durch das Eis des Permafrosts zusammengehalten wird. Wenn dieses schmilzt – etwa durch Auslöser wie anhaltend hohe Temperaturen oder starken Niederschlag – werden Eis und Teile des Bergmaterials verformbar und instabil. „Wird es noch wärmer, halten die Eisbrücken die Belastung nicht mehr aus und die Kontaktflächen brechen auseinander“, sagt Mayer. Es kommt zum Bergsturz.

Auch der Gletscherschwund trägt zu dieser Instabilität bei. Die Eismassen halten das Gestein der Alpen teilweise unter sich fest – bauen die Gletscher ab, können diese Stellen bröckelig werden. Erst 2021 wurde bekannt, dass einer der fünf Gletscher in den bayerischen Alpen – der Südliche Schneeferner – aufgrund der abnehmenden Eisdicke seinen Status als solcher verlor. Bisherige Prognosen gehen davon aus, dass die anderen vier deutschen Gletscher bis 2030 ein ähnliches Schicksal ereilen wird. Und auch in Österreich und der Schweiz bauen die Gletscher ab. 

Klimawandel in den Alpen: Eine Gefahr für Anwohnende?

Der Eisschwund ist also in vollem Gange. Doch was kann man dagegen tun? Laut Mayer wird die Schmelze so schnell nicht aufzuhalten sein: „Wirksame Maßnahmen gegen die Erhitzung zeigen erst in vielen Jahren Wirkung und solange wird der Permafrost mindestens noch weiter tauen.“ Das macht zunächst vor allem Flora und Fauna zu schaffen – die Ökosysteme in den Alpen sind von der Wasserversorgung und Kühlung durch die Eisschichten abhängig –, aber auch der Mensch wird die Folgen zu spüren bekommen. 

BELIEBT

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    Vor einigen Jahren wurde beispielsweise das kleine Dorf Bondo im Schweizer Kanton Graubünden wegen der Instabilität des Piz Cengalo evakuiert. Nach einem schweren Bergsturz bedrohte dann der sogenannte Murgang das Dorf. Jener bezeichnet Lawinen, die durch einen Bergsturz entstehen und Gesteinsmaterial und Schlamm gen Tal spülen. Vom Murgang können auch einige Kilometer vom Berg entfernte Regionen betroffen sein. Auch Bergsteiger*innen und Wandernde geraten bei solchen Ereignissen in Gefahr.

    Glücklicherweise blieben größere Katastrophen in den Bergdörfern bislang aus. Allerdings werden neben den Wohnorten auch Wasserversorgung, Tourismus und Landwirtschaft auf Dauer durch den schwindenden Permafrost beeinträchtigt werden. Denn dass die Alpen sich verändern ist mittlerweile klar – und auch, dass sie durch die Veränderungen gefährlicher werden.

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