Gewässerqualität: So sauber sind Deutschlands Flüsse

Bis 2027 sollen alle Gewässer in einem ökologisch guten Zustand sein. Die Realität sieht anders aus.

Von Jens Voss
Veröffentlicht am 6. Mai 2024, 09:02 MESZ
Die klare Isar fließt durchs Voralpenland, im Hintergrund das Karwendelgebirge

Klar und sauber: Die Isar im Voralpenland 

Foto von Jenny Sturm / Adobe Stock

Noch vor kurzem galt die Emscher als größte Kloake Deutschlands. Der kleine Fluss im Norden des Ruhrgebiets war biologisch tot. Jahrzehntelang hatte man die Abwässer aus Industrie und Haushalten ungefiltert hineingekippt und das Gewässer in ein Betonkorsett gezwängt.

Heute ist die Emscher abwasserfrei. Der einst dreckigste Fluss in Deutschland strotzt wieder vor Leben. Klärwerke wurden gebaut, unterirdische Abwasserkanäle verlegt, unverbaute Ufer geschaffen. Gut 5,5 Milliarden Euro hat das 30-jährige Umweltprojekt gekostet. 

Die Wiedergeburt der Emscher gilt vielen als leuchtendes, wenngleich kostspieliges Beispiel für die erfolgreiche Renaturierung von Flüssen. Und es gibt weitere Projekte, die Hoffnung machen auf eine umweltfreundlichere Zukunft. Die Renaturierung der Unteren Havel etwa zählt zu den größten Naturschutzinitiativen in Europa.

Fließgewässer spielen eine große Rolle beim Umweltschutz. Naturnahe Auen und Moore leisten einen wichtigen Beitrag zum natürlichen Klima- und Hochwasserschutz. Unzählige Arten leben dort. Und natürlich geht es auch um die Trinkwasserversorgung.

Links: Oben:

Die Emscher in Bottrop im Jahr 1953, gezwängt in ein Betonkorsett

Foto von EGLV
Rechts: Unten:

Die Emscher in Dortmund-Deusen war der erste Flussabschnitt, der naturnah umgestaltet wurde. 

Foto von Klaus Baumers/EGLV

Nur acht Prozent der Flüsse sind gesund

Laut Umweltbundesamt umfasst das heimische Fließgewässernetz mehr als 500.000 Kilometer. Es gliedert sich in die sechs großen Stromsysteme Donau, Elbe, Ems, Oder, Rhein und Weser und in die Küstengebiete der Nord -und Ostsee. Über künstliche Kanäle sowie kleinere Flüsse und Bäche sind sie miteinander verbunden.

Wie geht es diesen tausenden Fließgewässern in Deutschland? Die öffentlichen Zahlen sind ernüchternd. Demnach sind nur acht Prozent der Flüsse in einem guten oder sehr guten ökologischen Zustand. Meist handelt es sich dabei um Gewässer in Gebirgsregionen. Auch die Abschnitte einiger größerer Flüsse wie Donau, Isar oder Inn sind darunter. 

BELIEBT

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    92 Prozent der Flüsse sind aber in einem deutlich schlechteren Zustand. Das hat vielfältige Ursachen. Fast alle Gewässer werden intensiv genutzt, sind verbaut und mit Schadstoffen belastet. „Heute weist kein Oberflächengewässer in Deutschland einen guten chemischen Zustand auf“, erklärt das Umweltbundesamt.

    Etwa die Hälfte aller Fließgewässer sei „erheblich verändert“ oder „künstlich“. Ein typisches Beispiel ist die Mosel, die intensiv für Schifffahrt und Stromproduktion genutzt werde und durchgehend gestaut sei. Der Behörde zufolge ist der ökologische Zustand auf nahezu der gesamten Strecke schlecht.

    Infografik: Ökologischer Zustand der deutschen Flüsse 

    Die Illustration zeigt: Den meisten Flüssen geht es nicht gut (für größere Ansicht klicken).

    Illustration Umweltbundesamt

    Alles im Fluss? Deutschland hinkt hinterher

    Gemeinsam mit den anderen EU-Ländern hat sich die Bundesrepublik dazu verpflichtet, alle Gewässer bis 2027 in einen guten ökologischen und chemischen Zustand zu versetzen. Das schreibt die Europäische Wasserrahmenrichtlinie vor.

    Dafür sind umfangreiche Maßnahmen geplant. Über 80 Prozent der Oberflächengewässer sollen renaturiert werden. Vieles habe man bereits umgesetzt oder zumindest angestoßen, erklärt Bundesumweltministerin Steffi Lemke. „Kläranlagen wurden erweitert, Agrar-Umweltprogramme durchgeführt, Flüsse renaturiert, Hindernisse für Fische entfernt und Deiche rückverlegt“, so die Politikerin.

    Doch alles in allem hinkt Deutschland den eigenen Ansprüchen hinterher. Das Umweltministerium räumt ein, dass die Ziele in den verbleibenden drei Jahren nicht mehr erreicht werden können. „Bis zu einem guten Zustand aller Gewässer ist es noch ein weiter Weg“, sagt Lemke. 

    Galerie: Die geheime Welt der Flüsse 

    Gewässerqualität in Europa: Besser, aber nicht gut genug

    Europaweit zeigt sich ein anderes Bild. Zu diesem Ergebnis kommt ein internationales Forschungsteam unter Leitung der Senckenberg-Wissenschaftler James Sinclair und Peter Haase. Die Forschenden haben dazu Fließgewässer in 23 europäischen Ländern untersucht – über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten. Fazit der Studie: Etwa 60 Prozent der Flüsse Europas sind in keinem guten ökologischen Zustand. Das ist nicht zufriedenstellend, aber immerhin besser als in Deutschland.

    Bei ihren Untersuchungen machten die Forschungen eine aufschlussreiche  Entdeckung: „Wir haben festgestellt, dass die ökologische Qualität von den 1990er-Jahren bis 2010 generell zugenommen hat“, sagt Sinclair. „Die bessere Wasserqualität ist wahrscheinlich auf europäische Maßnahmen zurückzuführen, die verstärkt ab den 1980er-Jahren eingeführt wurden, wie beispielsweise eine verbesserte Abwasserbehandlung.“ 

    Ab 2010 sei der positive Trend aber praktisch zum Erliegen gekommen. Das Senckenberg-Team nennt verschiedene mögliche Ursachen: Neue Bedrohungen wie Klimawandel, eingeschleppte Arten oder zusätzliche Schadstoffbelastungen durch neuartige Pestizide und Arzneimittel. Alles in allem gehe es Europas Gewässerqualität seit den 1980er-Jahren zwar besser – aber nicht gut genug. 

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