Es lebe die Wildnis! Fünf Naturschutzprojekte in Deutschland, die Hoffnung machen

Neues Leben im Todesstreifen, ein Vogelparadies am Amazonas des Nordens, wilde Oasen vor der Haustür: Auch im dichtbesiedelten Deutschland gibt es Orte, an denen die Natur zurückkehrt.

Von Jens Voss
Veröffentlicht am 15. Apr. 2024, 09:41 MESZ
Alpenzauber: Der Hintersee im Nationalpark Berchtesgaden

Alpenzauber: Der Hintersee im Nationalpark Berchtesgaden

Foto von pwmotion / Adobe Stock

Noch vor wenigen Jahrzehnten war das Rebhuhn allgegenwärtig auf deutschen Wiesen. Auf den Äckern wimmelte es von Feldhamstern. Und die Forelle war in zahlreichen Bächen zu Hause. Inzwischen ist der Rebhuhn-Bestand um 95 Prozent zurückgegangen. Der Feldhamster ist nahezu komplett aus Deutschland verschwunden. Und die Bachforelle wird seit diesem Jahr erstmals als gefährdeter Fisch eingestuft.

Industrialisierung, Siedlungsbau, Turbo-Landwirtschaft und Umweltgifte haben der Natur arg zugesetzt. Es steht nicht gut um Deutschlands Umwelt. Doch nach dem Willen der EU soll sich das ändern. Die 27 Mitgliedsstaaten haben sich darauf geeinigt, 30 Prozent ihrer Meeres- und Landesfläche bis 2030 unter verbindlichen Schutz zu stellen. Bislang haben zwei Länder das Ziel erreicht. Deutschland hinkt bislang hinterher.

Gibt es noch Platz für mehr Natur in Deutschland?

Ökosysteme schützen und wiederherstellen: Wie ist das im dichtbesiedelten Deutschland möglich? Aktuell stehen knapp 2,7 Millionen Hektar in Deutschland unter Naturschutz. Das entspricht etwa 6,5 Prozent der Landesfläche, inklusive der Meeresgebiete.

Gibt es genügend Platz für noch mehr Natur? Zumindest Umweltverbände sind überzeugt davon. Eine Nabu-Studie zeigt auf, welche Gebiete sich besonders eignen würden. Demnach sind das vor allem Flächen im Umkreis von vorhandenen Schutzgebieten. 

Dass sich der oft hohe Aufwand langfristig lohnt, unterstreicht eine Untersuchung des Bundesamts für Naturschutz. Die Behörde hat ermittelt, wie sich die Natur gut 20 Jahre nach der Renaturierung an verschiedenen Flussauen entfaltet hat. Fazit: Die untersuchten Gebiete hätten sich als „naturnahe Inseln in der intensiv genutzten Kulturlandschaft“ sehr gut entwickelt.

Gerade der Gewässerschutz spielt eine große Rolle. „Indem wir Flüsse und Auen renaturieren, sichern wir unsere Zukunft“, betont Umweltministerin Steffi Lemke. „Naturnahe Auen und Moore leisten einen erheblichen Beitrag zum natürlichen Klimaschutz und zum Hochwasserschutz.“ Darüber hinaus gibt es eine Reihe weiterer Naturschutzprojekte, die heute schon Hoffnung machen auf eine ökologischere Zukunft. 

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    Emscher: Die Rettung von Deutschlands schmutzigstem Fluss

    Ein leuchtendes, wenngleich kostenintensives Beispiel ist die Renaturierung der Emscher. Der kleine Fluss im Norden des Ruhrgebiets galt lange als größte Kloake Deutschlands. Schon Ende des 19. Jahrhunderts war der Gewässerzustand kritisch, wenige Jahre später galt die Emscher als biologisch tot. Jahrzehntelang hatte man die Abwässer aus Industrie und Haushalten ungefiltert in den Fluss geleitet und die Emscher in ein Betonkorsett gezwängt.

    Erst im späten 20. Jahrhundert kam es zum Umdenken. Klärwerke wurden gebaut oder modernisiert, unterirdische Abwasserkanäle verlegt. Große Teile des begradigten Gewässers erhielten wieder ein natürliches Flussbett. 

    150 Flusskilometer wurden renaturiert. Seitdem strotzt die Emscher wieder vor Leben. Sogar die empfindliche Bachforelle ist zurückgekehrt. Rund 5,5 Milliarden Euro hat das 30-jährige Projekt gekostet.

    Galerie: Was die Natur zurückerobert

    Peenetal: Vogelparadies am Amazonas des Nordens

    Mehr Wildnis wagen: Das ist auch das Ziel von Biologinnen und Umweltschützern im Nordosten Mecklenburgs. Kaum eine deutsche Flusslandschaft ist so urwüchsig wie das Peenetal nahe der Ostseeinsel Usedom. Mit einer Fläche von rund 45.000 Hektar zählt es zu den größten Niedermoorgebieten in Mitteleuropa. Wegen seiner Artenvielfalt ist es auch als „Amazonas des Nordens“ bekannt. 

    Allein 160 Vogelarten leben in der wasserreichen Region – neben bedrohten Watvögeln unter anderem auch der seltene Schreiadler. Biber, Fischotter und viele andere Arten haben dort Zuflucht gefunden. Und die Natur soll weiter wachsen. 

    Durch Umwandlung von Ackerflächen in Feuchtweisen will der Nabu dort „ein riesiges Vogelparadies“ entstehen lassen. Derzeit hat der Verband über 1.300 Hektar Land an der Peene in pflegender Obhut. Durch weiteren Zukauf will man die Fläche Stück für Stück erweitern. 

    Das Peenetal ist bekannt für seine vielen Fischotter.

    Foto von byrdyak / Adobe Stock

    Untere Havel: Wo der Seeadler seine Kreise zieht

    Auch westlich der Millionenmetropole Berlin liegt ein ökologisches Kleinod. Seine verschlungenen Flussarme bieten ein Refugium für mehr als 1.000 Tier- und Pflanzenarten. Mit etwas Glück kann man den majestätischen Seeadler über die Wasserflächen gleiten sehen. 

    Die Untere Havel zählt zu den bedeutendsten Feuchtgebieten in Deutschland. Dabei sah es lange Zeit gar nicht gut aus für die ostdeutsche Wasserstraße. Ihre Ufer waren begradigt, die Altarme abgetrennt – bis eine Naturschutzinitiative mit Unterstützung des Bundesumweltministeriums vor fast 20 Jahren die Wende einleitete.

    Heute zählt die Renaturierung der Unteren Havel zu den größten Renaturierungsprojekten in Europa. Bis 2033 ist dazu ein Gesamtbudget von rund 67 Millionen Euro vorgesehen.

    Typische Auenlandschaft: die Untere Havel bei Havelberg

    Foto von © NABU/Volker Gehrmann

    Das Grüne Band: Neues Leben im Todesstreifen

    Überhaupt sind gerade im Osten vielerorts neue Naturlandschaften entstanden. Beispielhaft dafür steht das Grüne Band entlang der früheren Grenze zwischen BRD und DDR. Es ist das erste gesamtdeutsche Naturschutzprojekt. Ende 1989 wurde es auf Initiative des Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) ins Leben gerufen. Ende 2023 wurde das Grüne Band als Unesco-Welterbe vorgeschlagen.

    Fast 35 Jahre ist es her, dass sich eine 1.400 Kilometer lange Todeszone aus Selbstschussanlagen, Minenfeldern und Stacheldraht durch Deutschland zog. Statt Grenzsoldaten streifen heute Wildkatzen durch das renaturierte Gebiet. 

    Das Grüne Band ist ein Mix aus Gehölzen, Baumgruppen, Grünland und brachliegenden Flächen – und der längste Biotop-Verbund des Landes. Mehr als 1.200 seltenen Pflanzen- und Tierarten leben dort, darunter auch seltene Vogelarten wie der Ziegenmelker oder das Braunkehlchen, Vogel des Jahres 2023. 

    Wenn die Natur verbindet, was der Todesstreifen trennte: Das Grüne Band vereint Naturschutz und Erinnerungskultur auf 1.400 Kilometern.

    Mit freundlicher Genehmigung von Klaus Leidorf, BUND Grünes Band

    Deutschlands Nationalparks: Wilde Oasen vor der Haustür

    Vom Wattenmeer bis zu den Alpen: 16 Nationalparks gibt es in Deutschland. In diesen großräumigen und weitgehend unzerschnittenen Naturräumen soll sich die Natur möglichst ungestört entwickeln können. 

    Ältestes Schutzgebiet ist der Nationalpark Bayerischer Wald. Er wurde 1970 gegründet und zählt zu den letzten Rückzugsorten von Auerhuhn und Luchs. Deutschlands jüngster Nationalpark entstand 2015 etwa 50 Kilometer östlich von Trier: Im Nationalpark Hunsrück-Hochwald leben seltene Arten wie Schwarzstorch und Wildkatze. Größter deutscher Nationalpark ist das Schleswig-Holsteinische Wattenmeer mit einer Fläche von über 4.400 Quadratkilometern. 94 Prozent liegen im Wasser. 

    Die meisten Nationalparks in Deutschland sind so genannte „Entwicklungs-Nationalparks“. Sie erfüllen noch nicht alle Kriterien für eine ungestörte Naturentwicklung. Einige Bundesländer wollen die Flächen ausweiten oder ziehen sogar weitere Nationalparks in Erwägung.

    Doch diese Vorhaben stoßen nicht überall auf Gegenliebe. Immer wieder kommt es zu Streit zwischen Politik, Wirtschaft, Umweltschützern und Anwohnern. Oft prallen unterschiedliche Interessen aufeinander. Meist dreht es sich dabei um die Frage: Gibt es überhaupt Platz für mehr Natur?

    Themenmonat im April: our HOME auf National Geographic

    Wir haben nur eine Erde. Zeit, unser Zuhause wertzuschätzen und noch mehr zu schützen: Unter dem Motto our HOME stellt National Geographic zum Earth Month im April 2024 besondere Geschichten und Projekte aus Deutschland vor – rund um Naturschutz sowie kulturelles Erbe und biologische Vielfalt. Weitere spannende Einblicke gibt es hier.

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