Was wäre, wenn ... der Rhein austrocknet?

Weltweit drohen gigantische Flüsse auszutrocknen. Auch der Rhein leidet unter den zunehmenden Hitzejahren. Was bedeutet das für Mensch und Natur?

Von Jens Voss
Veröffentlicht am 15. Juni 2023, 08:10 MESZ
Niedrigwasser am Rhein in Köln im Dürrejahr 2018. Im Hintergrund der Dom

Der Rhein in Köln im Dürrejahr 2018 

Foto von Shutterstock

Mit weit über 3.000 Kilometern ist der Rio Grande einer der längsten Flüsse Nordamerikas. Er führt vom Südwesten Colorados zum Golf von Mexiko und markiert einen Großteil der Grenze zwischen Texas und Mexiko. Doch der einst so mächtige Strom ist inzwischen gar nicht mehr so grande. Weniger als ein Fünftel der ursprünglichen Wassermenge erreicht heute noch den Golf. Extreme Trockenheit und schlechtes Wassermanagement zwischen Mexiko und den USA haben den Rio Grande vielerorts zu einem Rinnsal gemacht.

Vom Westen der USA über Indien und China bis nach Australien: Fast überall drohen wichtige Lebensadern trockenzufallen. Oft weil ihnen zu viel Wasser für Landwirtschaft, Industrie und Trinkwasser entzogen wird. Hitze und Dürre verstärken das Problem. Sind ähnliche Szenarien auch in Europa denkbar? Könnte es sogar sein, dass Deutschlands größter Fluss austrocknet?

Wenn man an einem nasskalten Wintertag am Ufer des Rheins steht, scheint das undenkbar. Der Rhein ist eine Lebensader. Er versorgt mit einer Gesamtlänge von mehr als 1.300 Kilometern Industrie, Kraftwerke, Landwirtschaft, Städte und ganze Ökosysteme, bevor er in die Nordsee mündet. Der Rhein ist die verkehrsreichste Wasserstraße Europas. Steht man jedoch im Sommer an der gleichen Stelle, sieht die Sache unter Umständen ganz anders aus. In den letzten Hitzejahren sank der Wasserstand an manchen Stellen so stark, dass man den Rhein fast zu Fuß hätte durchqueren könne. Die Klimaforschung geht davon aus, dass es in Deutschland in den kommenden Jahrzehnten noch wärmer und trockener wird. 

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Versunkene Schätze im trockenen Flussbett

Schon die letzten Jahre haben Spuren hinterlassen. Besonders deutlich kamen sie im Dürresommer 2018 zum Vorschein. In Emmerich am Niederrhein beispielsweise entlockte der niedrige Wasserstand dem Strom ein lange gehütetes Geheimnis. 1895 war dort das Frachtschiff „De Hoop“ infolge einer Explosion versunken. Jetzt tauchten die erstaunlich guterhaltenen Überreste plötzlich wieder im Niedrigwasser auf. Hitze, Dürre, ausgetrocknete Ufer: Für Schatzsucher mag das ein Segen sein. Für die meisten anderen Menschen und für die Natur dagegen ist es ein Fluch. 

Besonders augenscheinlich wird das bei der Schifffahrt. In den letzten Sommern drohte der Rhein immer wieder als Verkehrsweg auszufallen. Vielerorts war der Schiffsbetrieb stark eingeschränkt, zahlreiche Frachter konnten nicht mehr voll beladen werden. Etliche Unternehmen erhalten ihre Rohstoffe über den Fluss oder versenden ihre Produkte per Schiff. Im Sommer 2018 mussten Industrieriesen wie Thyssenkrupp oder BASF ihre Produktion wegen des anhaltenden Niedrigwassers sogar runterfahren. Damals war der Pegel bei Kaub am Mittelrhein auf historische 24 Zentimeter gesunken. 

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    Fallende Pegel, steigende Preise

    Damit nicht genug: Sinkende Pegel führen auch zu steigenden Preisen. Denn wenn ein Schiff nur noch einen Teil der ursprünglich geplanten Ladung aufnehmen kann, braucht es für die gleiche Warenmenge weitere Schiffe. Das treibt die Frachtkosten in die Höhe. Und das spüren am Ende meist auch die Konsumenten. 

    Der Rhein ist aber nicht nur eine wichtige Transportader, er liefert auch Trinkwasser. Das Wasser der Millionenstadt Köln zum Beispiel ist ein Mix aus Grundwasser und Uferfiltrat. Laut statistischem Bundesamt steigen die Wasserpreise schon seit gut zehn Jahren kontinuierlich. Was also wäre, wenn Trinkwasser künftig knapp werden würde?

    Noch herrscht in Deutschland kein Wassermangel, versichert das Umweltbundesamt. Aber bleibt das auch so? Die Behörde stellt klar: Weitere aufeinander folgende Trockenjahre hätten „in jedem Fall negative Auswirkungen auf die Wasserverfügbarkeit“ und womöglich „nachteilige Auswirkungen auf die Grundwasserstände“. In einigen Regionen sei das heute schon spürbar. 

    Der Rotschenkel ist im Binnenland durch den Verlust von Feuchtgebieten stark bedroht.

    Foto von Tom Dove

    Flora und Fauna in Gefahr

    Niedrige Pegelstände machen aber auch der Tier- und Pflanzenwelt im und um den Rhein zu schaffen. Zwar sind Flüsse eigentlich Ökosysteme, die mit Veränderung gut umgehen können. „Grundsätzlich ist ein Fluss ein dynamischer Lebensraum und die Flussbewohner sind beispielsweise auf Wasserstandwechsel gut vorbereitet“, sagt Klaus Markgraf-Maué, Vorstand der NABU Naturschutzstation Niederrhein. Bei stark ausgebauten Gewässern wie dem Rhein nehme diese Fähigkeit aber ab. 

    Die meisten Wasserstraßen sind heutzutage größtenteils begradigt. Auf diese Weise will man verhindern, dass die angrenzende Flusslandschaft ständig überschwemmt wird. Niederschläge werden schneller abgeführt. Kommt es aber zu Dürreperioden, trocknen die Flüsse umso schneller aus. Tiere und Pflanzen, die auf Feuchtgebiete angewiesen sind – darunter ohnehin seltene Vogelarten wie Kiebitz, Rotschenkel oder Uferschnepfe – finden dann keine geeigneten Lebensräume mehr. 

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    Toxische Brühe

    Im Fluss selbst konzentriert sich das Leben auf die schmale Schifffahrtsrinne. Dort steigt die Schadstoffbelastung, weil Industrieabwässer mit abnehmendem Wasserstand immer weniger verdünnt werden. Zugleich sinkt der Sauerstoffgehalt des Wassers mit zunehmender Erwärmung. Davon profitieren schädliche Algen und giftige Cyanobakterien, die sich dann stark vermehren können. Sinkende Pegel und steigende Temperaturen können sich also dramatisch auf die Wasserqualität auswirken, erklärt die Bundesanstalt für Gewässerkunde (BfG)

    Im schlimmsten Fall wird das Gewässer zur toxischen Brühe. Das Leben darin droht zu ersticken. Besonders betroffen sind unter anderem empfindliche Fische wie Forelle oder Äsche, die auf kühles, sauberes und sauerstoffreiches Wasser angewiesen sind. Invasive Fischarten wie die heute schon am Rhein häufige Schwarzmundgrundel werden sich dagegen künftig noch weiter ausbreiten. 

    Den Folgen der Erderwärmung entkommt auch Deutschland nicht. Durch Dürre verursachte Pegelniedrigstände wie hier am Rhein sind schon lange keine Seltenheit mehr.

    Foto von Thomas Bethge / Adobe Stock

    Trocknet der Rhein aus?

    Droht Vater Rhein also eine düstere Zukunft? Fakt ist zwar: Hoch- und Niedrigwasser sind Teil des natürlichen Wasserkreislaufs. Selbst mehrere Jahre in Folge auftretende Niedrigwasserphasen gelten als normales Phänomen in Mitteleuropa. BfG-Wissenschaftler Enno Nilson geht allerdings davon aus, dass Wetterextreme künftig häufiger werden, insbesondere „unter der Prämisse eines unzureichenden Klimaschutzes“. 

    Ab der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts müsse man dann mit deutlich mehr Niedrig- und Hochwasser rechnen. Dass der Rhein damit komplett trockenfällt, halten Forschende für ausgeschlossen. Sollte es in den kommenden Jahrzehnten aber immer heißer und trockener werden und auf lange Sicht weniger Schmelzwasser aus den Alpen in den Rhein fließen, werden sich kommende Generationen wohl immer häufiger auf extreme Niedrigpegel einstellen müssen. „Mit erheblichen Änderungen der Umwelt- und Wirtschaftsbedingungen“, warnt Nilson. 

    Wie die Trockenheit in Deutschland sich nicht nur auf den Rhein, sondern auch auf die Landwirtschaft auswirkt, erlebt ihr in einer außergewöhnlichen Doku-Serie: FARM REBELLION – jetzt alle sechs Folgen exklusiv auf Disney+ streamen.

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