Welche Krankheiten lauern im Weltall?
Noch ist unklar, ob es auf dem Mars Mikroben gibt. Aber selbst einige irdische Keime entwickeln sich im Weltall zu einer noch größeren Gefahr.
Im Weltall will niemand Gefahr laufen, sich mit einer infektiösen Krankheit anzustecken. Umdrehen und zurück nach Hause fliegen ist kaum eine Option, medizinische Güter sind nur begrenzt verfügbar, die Besatzung ist nicht für jede mögliche Komplikation gerüstet und ein einziger infizierter Astronaut kann eine ganze Mission gefährden.
Das gilt insbesondere für künftige bemannte Marsmissionen. Ein Astronaut mit Schnupfen wäre dann mindestens 53 Millionen Kilometer von der nächsten Apotheke entfernt. Natürlich treffen Astronauten schon heute zahlreiche Vorkehrungen, um das Risiko einer Erkrankung zu minimieren. Aber was passiert, wenn wir den Roten Planeten erreichen und einer völlig neuen Infektionsquelle begegnen?
Bisher weiß niemand, ob es auf dem Mars Mikroben gibt. Falls der Planet aber von mehr als unseren Robotern bewohnt sein sollte, könnte es sich bei den „Marsianern“ vermutlich um einzellige Organismen handeln. Wahrscheinlich wären sie unter der Erde angesiedelt, wo sie vor der Strahlung geschützt sind, und in der Nähe geothermaler Systeme, aus denen sie Wasser, Nährstoffe und Energie beziehen.
Das Problem ist, dass wohl auch die Menschen eventuelle unterirdische Ressourcen anzapfen würden und so in Kontakt mit den potenziellen fremden Keimen geraten könnten. Einige Bakterien verhalten sich im Weltraum zudem besonders merkwürdig, wie bereits aus Studien an irdischen Mikroben hervorging. Besonders für Langzeitmissionen im All ist es wichtig zu verstehen, wie sich das Zusammenspiel zwischen Krankheitserreger und Wirt durch Weltraumflüge verändern kann.
„Wir sollten besser rausfinden, wie sich Mikroben in Reaktion auf Raumflüge verhalten, bevor wir Menschen für Langzeitflüge ins All schicken“, sagt Cheryl Nickerson von der Arizona State University.
Den Infektionen auf der Spur
In den Sechzigern und Siebzigern kam es bei mindestens zwei Apollo-Missionen zu Krankheitsausbrüchen bei Crewmitgliedern. Im Jahr 1968 zog sich der Apollo-7-Commander Wally Schirra etwa 15 Stunden nach Start eine Erkältung zu. Damit steckte er auch seine beiden Crewmitglieder an. Die zunehmend gereizte und erschöpfte Crew widersetzte sich teilweise sogar Befehlen aus dem Kontrollzentrum – die erste „Mini-Meuterei“ in der Geschichte der NASA.
Vor der berüchtigten Apollo-13-Mission, die 1970 startete, musste eines der geplanten Crewmitglieder aufgrund eines Masernausbruchs ausgetauscht werden. Während des Flugs zog sich das Crewmitglied Fred Haise dann einen Harninfekt zu, der nicht behandelt werden konnte und sich zu einer noch schmerzhafteren Niereninfektion ausweitete.
Um das Krankheitsrisiko zu senken, müssen Astronauten heutzutage vor dem Abflug in Quarantäne. Laut den aktuellen Richtlinien der NASA verbringen Astronauten die letzten sieben Tage vor dem Start in einer gesonderten Einrichtung, in der sie nur Kontakt zu ausgewählten Familienmitgliedern und Bodenpersonal haben dürfen. Schlussendlich läuft das immer noch auf 40 bis 50 Personen hinaus, erzählt die Astronautin Samantha Cristoforetti, die im Baikonur Cosmodrome in Kasachstan in Quarantäne saß.
„Da sind viele Menschen mit uns zusammen in Quarantäne“, sagt sie. „Gelegentlich interagieren wir auch mit anderen Menschen. Wir sollten aber Körperkontakt vermeiden und sie tragen einen Mundschutz.“
Während der Quarantänezeit finden Routinekontrollen statt, bei denen Ärzte die Astronauten und ihre Kontaktpersonen auf Anzeichen einer Infektion untersuchen, beispielsweise Fieber oder Halsschmerzen.
„Das klingt zwar nicht besonders spannend, aber wir sind vor allem auf ganz alltägliche Infektionskrankheiten wie Erkältung und Grippe bedacht, weil das einfach die häufigsten Krankheitserreger sind“, schreibt Robert Mulcahy in einer E-Mail. Mulcahy arbeitet als Arzt am Johnson Space Center der NASA. „Wir wollen vermeiden, dass eine Erkältung oder Ähnliches die Performance der Crew während kritischer Manöver wie dem Start oder dem Andocken beeinträchtigt.“
Derzeit arbeiten Mulcahy und seine Kollegen daran, die Quarantänevorschriften der NASA noch zu verschärfen: Die Quarantänezeit soll von 7 auf 14 Tage ausgeweitet werden, es soll weniger direkten Kontakt zwischen Astronauten und Besuchern geben und für Angestellte der Einrichtungen sollen strengere Impfauflagen gelten.
„Wir sehen in der US-Bevölkerung eine Rückkehr von Krankheiten wie Masern, die durch eine Impfung vermeidbar wären“, sagt Mulcahy. „Daher ist es wichtig, das Risiko für den Kontakt mit diesen Krankheiten während der Quarantäne zu senken.“
Gefährlicher Wandel
Prävention ist eine Sache, aber was ist mit den Mikroorganismen, die sich schlussendlich doch mit ins Weltall schmuggeln?
Schon seit Jahrzehnten untersuchen Forscher, wie Menschen und Mikroben auf die Schwerelosigkeit reagieren. Die Ergebnisse könnten auch für die geringe Schwerkraft auf dem Mars von Bedeutung sein. Die genauen Mechanismen hinter den Reaktionen sind den Wissenschaftlern noch nicht vollumfänglich bekannt. Bisherige Beobachtungen deuten jedoch darauf hin, dass der Raumflug das Wettrüsten zwischen den infektiösen Mikroben und dem menschlichen Immunsystem beeinflusst – und zwar potenziell zum Vorteil der Mikroben.
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Die Schwerelosigkeit kann das Immunsystem schwächen und Menschen anfälliger für Krankheiten machen. Gleichzeitig scheint sie die Stressreaktionen der Mikroben zu beeinflussen, sodass sie virulenter und robuster werden. Dutzende Studien, die sowohl im Weltraum als auch in simulierter Schwerelosigkeit auf der Erde durchgeführt wurden, lassen vermuten, dass der Raumflug die Reaktion einiger Bakterien auf ihre Umwelt verändert.
„Das war eine ziemliche Überraschung, beim Raumflug Unterschiede in der Virulenz der Mikroorganismen zu sehen“, sagt Nickerson. Ihr Labor demonstrierte, dass der Salmonellen-Stamm Typhimurium, der bei Menschen eine unangenehme Magen-Darm-Entzündung auslöst, nach einiger Zeit in Schwerelosigkeit noch infektiöser wird.
2006 schickten sie einige Salmonellen-Bakterien an Bord des Space Shuttles Atlantis ins Weltall. Während Nickerson und ihr Team auf der Erde Salmonellenkulturen züchteten, taten die Astronauten das gleiche im Weltall. Als das Shuttle zurückkehrte, infizierte Nickerson Labormäuse mit den Salmonellen, die auf der Erde gezüchtet wurden, und eine Kontrollgruppe mit den Salmonellen aus dem Erdorbit.
Das Ergebnis war eindeutig: Der Raumflug hatte die Virulenz von Salmonella Typhimurium gesteigert. Die Bakterien töteten die Mäuse nun deutlich schneller und schon bei geringeren Dosen. Nickerson betont allerdings, dass der Effekt vorübergehend war.
„Das war ein Kurzzeit-Experiment“, sagt sie. „Das war keine permanente und erbliche Veränderung. Die Bakterien haben sich einfach an ihre Umgebung angepasst. Wenn man sie aus dieser Umgebung herausholt, verändert sich die Art und Weise ihrer Anpassung wieder. [...] Das liegt einfach in der Natur von Bakterien. Genau das tun sie auch, wenn sie uns andernorts infizieren.“
Weitere Forschungen offenbarten, dass die Schwerelosigkeit ein Umweltsignal imitiert, welches den Zellen im Normalfall signalisiert, dass es Zeit ist, mit der Infektion zu beginnen – nämlich eine Reduzierung der Kraft, mit der Flüssigkeiten über die Zelloberfläche strömen. Auf der Erde könnte dieser relative Ruhezustand irgendwo in einer geschützten Ecke des Darms oder der Lunge auftreten. Im Weltraum ist er im Grunde allgegenwärtig.
„Das hat vorher noch niemand nachgewiesen“, sagt Nickerson. „Niemand hat daran gedacht, dass eine physische Kraft die Virulenz oder Pathogenität eines Organismus verändern könnte.“
Wo Keime gedeihen
Bislang sind Salmonellen aber nicht die einzigen Mikroben, bei denen eine durch den Raumflug erhöhte Virulenz an lebenden Tieren nachgewiesen wurde. Zahlreiche andere Studien deuten darauf hin, dass die Schwerelosigkeit unter anderem das Mikrobenwachstum, die Größe, den Stoffwechsel und die Resistenz gegenüber Antimikrobiotika beeinflussen kann.
Die Experimente testeten bekannte Mikroben wie E. coli, Yersinia pestis (das Pestbakterium), Streptococcus mutans, Staphylococcus aureus, Bacillus subtilis und Candida albicans, jenen Pilz, der Hefeinfektionen auslöst. Einige der Mikroben wurden in Schwerelosigkeit virulenter, während andere eine gegenteilige oder gar keine Reaktion zeigten.
„Diverse Experimente im Laufe der letzten 50 Jahre haben einzigartige mikrobielle Reaktionen erkennen lassen, wenn Mikroorganismen während des Raumflugs kultiviert werden. Darunter Veränderungen im Wachstumsverhalten, Resistenz gegenüber Antimikrobiotika und Bildung von Biofilmen“, berichtet der NASA-Wissenschaftler Mark Ott.
Besonders Biofilme können ein großes Problem für die menschliche Gesundheit und Umweltsysteme darstellen. Diese Mikrobenansammlungen wachsen an Oberflächen und bilden dort komplexe Schichtstrukturen, die zur Widerstandsfähigkeit der Keime beitragen können. Daher sind sie besonders im menschlichen Körper äußerst schwierig zu behandeln und siedeln sich auch an wichtigen Strukturen von Raumstationen an.
„Die Mehrheit der Bakterien in der Natur existiert in oberflächenassoziierten mikrobiellen Gemeinschaften“, schrieben Cynthia Collins vom Rensselaer Polytechnic Institute und ihre Kollegen vor Kurzem in einer Studie. „Auf der russischen Raumstation Mir fand man üppige Biofilme, die die Korrosion beschleunigten und das Wasseraufbereitungssystem verstopften.“
2011 schickten Collins und ihre Kollegen Pseudomonas aeruginosa an Bord des Space Shuttles Atlantis ins All – jene Mikrobe, die für die Beschwerden des Astronauten Fred Haise verantwortlich war. Im All wuchs Pseudomonas dann schnell zu einem Biofilm heran, der größer und dicker war als sein Gegenstück auf der Erdoberfläche. Außerdem wies der Biofilm eine Struktur auf, die den Wissenschaftlern zufolge auf der Erde noch nicht beobachtet wurde.
“Die Mikroben regieren unsere Welt. Wir spielen nur darin.”
Im Gegensatz dazu wies beispielsweise E. coli im Orbit eine erhöhte Resistenz gegenüber Antibiotika auf, wie aus einem Experiment von 1982 an Bord der sowjetischen Raumstation Salyut 7 hervorging.
Nicht ganz so lange her ist ein Experiment, bei dem Astronauten der ISS Proben von diversen Oberflächen der Raumstation nahmen, die später auf der Erde kultiviert wurden.
„Die ISS ist keine sterile Umgebung“, so Mulcahy. „Die Astronauten putzen dort regelmäßig, genauso wie wir es zu Hause machen.“
Im Jet Propulsion Laboratory der NASA wurden aus den Kulturen Mikroorganismen gezüchtet, deren Gene im Anschluss sequenziert wurden. Dabei zeigte sich, dass viele der Kulturen – darunter neun Pathogene – eine Resistenz gegenüber Antibiotika wie Penicillin zeigten.
Selbst, wenn der Mars also ein toter Planet sein sollte, wird es unerlässlich sein, künftige menschliche Habitate so sauber wie möglich zu halten – und zu verstehen, wie man irdische Keime am besten bekämpfen kann, die in der Schwerelosigkeit gedeihen.
„Kann man schon alles im Vorfeld herausfinden? Nein. Wir wissen ja größtenteils nicht mal, warum Pathogene hier auf der Erde Krankheiten auslösen“, sagt Nickerson. „Trotzdem ist das unglaublich wichtig. Die Mikroben regieren unsere Welt. Wir spielen nur darin.“
Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.
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