Die Zukunft der Nutztierhaltung

Die Zucht von Nutztieren zur Fleischerzeugung bringt ein paar komplexe Fragestellungen mit sich. Ihre Vielseitigkeit macht diese Tiere zu einem zentralen Faktor für das Überleben von Millionen von Menschen, die in ländlichen Gebieten leben.

Von Jon Heggie
Veröffentlicht am 9. Apr. 2019, 16:04 MESZ
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Eine Kuh schlägt mit ihrem Schwanz träge nach dem permanenten Surren, aber die Drohne hält ihre Position über der Herde. Die Bilder, die sie sammelt, werden mit Hilfe von Daten über die entsprechenden Tiere und einem über den Betrieb verteilten Sensorarray analysiert. Ein paar Meilen weiter beschließt ein Landwirt aufgrund dieser Informationen, die Herde weiterzutreiben. Virtuelle Tore öffnen sich an einem unsichtbaren Zaun und die Drohne lässt ein Signal ertönen, das die Tiere in Bewegung versetzt. Von einer derart futuristischen Rinderzucht sind wir gar nicht mehr so weit entfernt.

Die Zucht von Nutztieren zur Fleischerzeugung bringt ein paar komplexe Fragestellungen mit sich. Ihre Vielseitigkeit macht diese Tiere zu einem zentralen Faktor für das Überleben von Millionen von Menschen, die in ländlichen Gebieten leben. Fleisch und Milchprodukte sind ausgezeichnete Lieferanten für Proteine, Mineralien und Vitamine. Sofern sie korrekt gehalten werden, können Nutztiere einen wichtigen Beitrag zur einem funktionierenden Ökosystem leisten und beispielsweise die Bodengesundheit verbessern. Allerdings gibt es Bedenken ob der Nachhaltigkeit der Industrie. Fleisch ist eine eher ineffiziente Möglichkeit, um Kalorien zu produzieren. Etwa 40 Prozent des weltweiten bewirtschafteten Landes entfallen auf die Haltung von Nutztieren, die aber nur 20 Prozent der menschlichen Kalorienaufnahme ausmachen. Im Verhältnis wären das also 12 Kalorien aus Hühnererzeugnissen auf 100 Kalorien aus Getreideprodukten. Bei Rind wäre man sogar nur bei 3 zu 100. Obwohl Nutztiere etwa ein Drittel aller Getreideerzeugnisse fressen, besteht ihre Nahrung zu 86 Prozent aus Gräsern, Blättern und anderen Pflanzen, die für den menschlichen Verzehr nicht geeignet sind. Daher, so wird argumentiert, tragen Nutztiere positiv zur Ernährungssicherung bei, indem sie das Ungenießbare genießbar machen. 

Während die Debatten weitergehen, steigt auch die Nachfrage immer stärker. Im Laufe der letzten drei Jahrzehnte hat sich der Verbrauch von Milch und Fleisch in den Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen verdreifacht, was größtenteils auf den wachsenden Wohlstand und die Urbanisierung zurückzuführen ist. Dieses Wachstum besteht zusätzlich zu einer ohnehin schon riesigen Nachfrage in den Industrieländern: Der durchschnittliche US-Amerikaner verzehrt pro Jahr 100 Kilogramm Fleisch. Schätzungen zufolge wird die globale Nachfrage bis zum Jahr 2030 um weitere 80 Prozent steigen. Das stellt uns vor eine enorme Herausforderung, wenn wir die wachsende Bevölkerung weiterhin mit den begrenzten Agrarflächen der Erde versorgen wollen. Die 1,4 Milliarden Rinder der Welt und die Milliarden von Schweinen und Hühnern nehmen bereits zwei Milliarden Hektar Weideland in Anspruch. Etwa 700 Millionen dieser Hektar könnten effektiver für den Anbau von Feldfrüchten genutzt werden, die direkt für den menschlichen Verzehr gedacht sind. Sofern wir nicht alle zu Vegetariern werden wollen, liegt eine potenzielle Lösung in der Produktivitätssteigerung der Nutztiere. Das genetische Potenzial eines durchschnittlichen Farmtieres ist im Hinblick auf die Produktion vermutlich noch nicht ausgeschöpft. Aber schon heute werden Technologien und Techniken entwickelt und getestet, um diese Lücke zu schließen und auch künftig Fleisch auf dem Teller zu garantieren. 

Landwirte strebten schon immer nach Effektivität. Jahrtausendelang haben sie Tiere selektiv gezüchtet, um ihre Widerstandsfähigkeit und ihre Produktivität zu steigern. In den USA produzieren Milchkühe mittlerweile viermal so viel Milch wie noch vor 75 Jahren. Mit Hilfe von Genomsequenzierung, künstlicher Besamung und Embryotransfer könnte die Wissenschaft einigen Tieren bald zu einer Spitzenproduktivität verhelfen. Unterstützt werden diese Techniken durch bessere Ernährung, die dafür sorgt, dass die Tiere ihr Futter besser in Protein umwandeln können. Durch das Hinzufügen natürlicher Enzyme und organischer Säuren wird das Futter leichter verdaulich, sodass die Tiere mehr Nährstoffe aus einer größeren Vielfalt nährstoffarmer Pflanzen ziehen können. Zudem fördern die Zusätze eine gesunde Darmflora und machen die Tiere so auch weniger krankheitsanfällig. Da wir den genauen Nährstoffbedarf der Tiere immer besser kennen lernen, können wir Nahrung entwickeln, die ihre Energie, ihren Proteingehalt und ihren Vitaminhaushalt optimiert und gleichzeitig ihr Wohlbefinden steigert – für größere Erträge und gesündere Herden. 

Das Herzstück in der Vision der zukünftigen Landwirtschaft bildet für die meisten Menschen aber Technologie. Die Drohnen, Sensoren und Wearables, die beim Precision Farming zum Einsatz kommen, tragen alle zu mehr Effizienz bei. Insbesondere Drohnen werden immer häufiger eingesetzt, um die Gesundheit und Produktivität von Herden und ihrem Weideland zu überwachen. Die Maschinen können große, schwer zugängliche Bereiche abdecken und mit Infrarotsensoren und hochauflösenden Multispektralkameras Bilder der Herden in Echtzeit verschicken. Das kann den Farmern dabei helfen, verlorene Tiere zu finden, Neugeborene zu entdecken und Krankheiten in Herden oder Einzeltieren zu bemerken. Ebenso können die Drohnen den Zustand des Weidelandes anzeigen, was den Landwirten bei der Entscheidung hilft, die Tiere für besseres Futter, Wasser oder aus Sicherheitsgründen weiterzutreiben. Es könnte sogar möglich sein, die Tiere darauf zu trainieren, der Drohne zu folgen – fast so, als wäre sie ein ferngesteuerter Hightech-Schäferhund. 

Drohnen werden nur eine von vielen Technologien sein, die Farmer mit digitalen Informationen versorgen. An Tränken angebrachte 3D-Kameras können das Gewicht und den Körperbau eines Tieres akkurat einschätzen und eventuelle Krankheiten identifizieren. Wärmebildkameras im Stall können Euterentzündungen entdecken, die den Milchertrag senken. Kameras in Hühnerverschlägen können Tausende von Vögeln überwachen, um Verhaltensauffälligkeiten zu entdecken, die auf mögliche Probleme hindeuten könnten. Smart-Halsbänder und Wearables könnten eines Tages alles von der Fruchtbarkeit bis zur Gesundheit überwachen, während elektronische Ohrmarken konstant die Körpertemperatur messen und über Bluetooth verbundene Schweiß-Sensoren Informationen über den Natrium-, Kalium- und Glukosewerte liefern. Selbst der Atem einer Kuh kann analysiert und auf Anzeichen von Ernährungsproblemen geprüft werden. Mit Hilfe seines Smartphones kann der Landwirt über Apps vor Ort Diagnosen zu Stoffwechselerkrankungen von Schweinen und Kühen stellen – nur anhand von ein paar Bildern. 

Gerade Viehzüchter gehören zu den Early Adopters von Neuentwicklungen in der Robotik, in der rasante Fortschritte gemacht werden, angefangen bei automatisierten Fütterungsanlagen bis zu Robotern, die das Vieh hüten. Diese Technologie spart aber nicht nur Arbeit: Automatisierte Melkroboter können die Kühe nach ihrem individuellen Biorhythmus melken und so deren Gesundheit und den Milchertrag steigern. Gleichzeitig sammeln die Roboter riesige Informationsmengen. Die gesammelten Daten werden mit einer Betriebs-Management-Software synchronisiert, die dem Landwirt einen Überblick über den Gesundheitszustand der gesamten Herde liefert und auch spezifische Handlungsempfehlungen für einzelne Tiere bietet. Eine Erweiterung dieses Systems ist das kybernetischen Grasen, bei dem Tiere mit GPS-Halsbändern ausgestattet werden. Diese können die Höhe des Grases messen und die Herde auf frische Weiden treiben, indem sie virtuelle Zäune öffnen oder schließen, die durch optische, visuelle oder elektrische Reize definiert werden. 

Nicht alle Verbesserungen sind zwingend technologischer Natur. In sogenannten Hutewäldern grasen die Tiere zwischen Bäumen und Sträuchern mit essbaren Blättern oder Früchten und produzieren mehr Milch und Fleisch. Diese Art der Weidehaltung ist sowohl für die Tiere als auch die Umwelt besser. In Kolumbien wird die Futterpflanze Leucaena leucocephala zusammen mit dem Gras auf Weiden ausgesät und hat den Proteingehalt des Viehs um 64 Prozent gesteigert, während andernorts eine gesteigerte Milchproduktion auf sie zurückgeführt wird. Eine der radikalsten Möglichkeiten zur Deckung des künftigen Fleischbedarfs ist die Zucht aus Zellkulturen. Wenn Fleisch auf diese Weise in brauereiartigen Fabriken hergestellt werden könnte, wären kein Futter und Wasser und keine Medikamente für die Zucht und Pflege lebender Tiere mehr nötig. Zudem könnten wertvolle Ackerflächen anderweitig genutzt werden. Sowohl an der wissenschaftlichen als auch an der wirtschaftlichen Umsetzung wird derzeit noch gearbeitet. Aber da es scheint, als würde die Nachfrage nach Fleisch eher wachsen als schrumpfen, könnte In-vitro-Fleisch dabei helfen, diese Herausforderung zu meistern.

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Dieser Inhalt wurde von unserem Partner bereitgestellt. Er spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung von National Geographic oder seinen Redaktionsmitarbeitern wider.

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