Wie ein Mensch: Dinosaurier lief erst auf vier, dann auf zwei Beinen

Dinosaurier wie die „Mausechsen“ zählen zu den wenigen Tieren, die im Laufe ihres Lebens ihre Gangart wechselten.

Von Jason Bittel
Veröffentlicht am 21. Mai 2019, 17:01 MESZ
Nach dem Schlüpfen lief dieser Mussaurus patagonicus auf allen Vieren. Als er heranwuchs, verlagerte sich sein ...
Nach dem Schlüpfen lief dieser Mussaurus patagonicus auf allen Vieren. Als er heranwuchs, verlagerte sich sein Körperschwerpunkt jedoch, sodass er schließlich auf zwei Beinen lief.
Foto von Illustration by Gonzalez

Für Eltern ist es immer ein ganz besonderer Moment, wenn das Baby nicht mehr nur noch auf allen Vieren über den Boden krabbelt, sondern zum ersten Mal auf zwei Beinen geht – insbesondere, wenn man bedenkt, wie selten ein solcher Wandel im Tierreich eigentlich ist. Es gibt nur ein paar wenige andere Tierarten, die im Laufe ihres Heranwachsens von vier auf zwei Beine wechseln, und sie sind allesamt Dinosaurier.

Forscher haben nach langer Suche nun überzeugende neue Belege dafür, dass diese exklusive Liste um einen Eintrag erweitert werden kann. Der Neuzugang ist der Sauropod Mussaurus patagonicus.

(Auf einer schottischen Insel sind noch heute die riesigen Fußabdrücke von Dinosauriern zu sehen.)

Ein junger Mussaurus patagonicus. Am Beginn ihres Lebens waren die urzeitlichen Tiere klein genug, um auf einer menschlichen Hand Platz zu finden.
Foto von J. Bonaparte

Ein frisch geschlüpfter Mussaurus wäre klein genug gewesen, um bequem in eine menschliche Hand zu passen. Daher rührt auch sein wissenschaftlicher Name, der so viel bedeutet wie „Mausechse“. Aber nach acht Jahren, in denen es fleißig Farne und andere Pflanzen verschlungen hat, wog das Tier bereits über eine Tonne.

Diese dramatische Gewichtszunahme ging mit enormen Veränderungen in der Form und Größe des Körpers einher – und damit auch mit der Art und Weise, auf die sich das Tier bewegte, wie Forscher in ihrer Studie darlegen, die in „Scientific Reports“ erschienen ist.

Dank einer eindrucksvollen Serie von fast vollständig erhaltenen Fossilien, die drei wichtige Lebensabschnitte des Sauriers abdecken, konnten die Wissenschaftler interaktive 3D-Modelle dieser Tiere aus dem frühen Jura erstellen. Anhand der Modelle konnten sie außerdem feststellen, wie der Körperschwerpunkt im Laufe des Lebens wanderte. Zu Beginn zogen der große Kopf und der lange Hals des Dinosauriers seinen Körper eher nach vorn, wo er auf gut entwickelten Vordergliedmaßen ruhte. Als sein Schwanz im Laufe der Zeit länger wurde, verlagerte sich der Körperschwerpunkt in die Beckenregion und zog das Tier in eine aufrechte Haltung, sodass es auf zwei Beinen lief.

„Wir wissen nicht, ob diese Abfolge auf alle Sauropoden zutrifft“, sagt der Studienleiter Alejandro Otero, ein Paläontologe des La Planta Museum in Argentinien. „Aber die Tatsache, dass diese [Tiergruppe] ihre Gangart auf eine ähnliche Weise verändert hat wie der Mensch, ist faszinierend.“

BELIEBT

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    Prähistorische Schnappschüsse

    Ein Faktor, der die Erforschung ausgestorbener Tiere so schwierig macht, ist der Umstand, dass Wissenschaftler zumeist nur eine Art Schnappschuss aus dem Leben der Tiere haben. Oft beinhaltet dieser winzige Ausschnitt nicht mal frisch geschlüpfte oder Jungtiere, die kleiner sind und seltener versteinern. (Ein besonders bizarres Beispiel für Dinosaurierfortbewegung fanden Forscher in dem „Tier, das alles wollte“.)

    „Es gibt ein paar Dinosaurier, von denen wir eine gute Abfolge von Eiern über Babys bis zu erwachsenen Tieren haben. Der Mussaurus ist jetzt einer davon, was ein paar interessante neue Fragen aufwirft, an die vor 20 Jahren noch nicht zu denken war“, erzählt der Co-Autor der Studie John Hutchinson, ein Professor für evolutionäre Biomechanik am Royal Veterinary College der University of London.

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    Es hat beispielsweise mehr als ein halbes Jahrhundert gedauert, die Fossilien zusammenzutragen, die die Grundlage für die aktuelle Studie bilden. Wissenschaftler bezeichnen das als ontogenetische Serie– und solche Serien sind äußerst begehrt.

    „Für gewöhnlich stellen wir uns eine einzelne Dinosaurierart immer als dieses große, alles überragende Wesen vor. Aber wie jedes andere Tier haben auch Dinosaurier verschiedene Wachstumsstadien, die wir aber normalerweise nie zu Gesicht bekommen, weil Dinosaurierfossilien so selten sind“, sagt Shaena Montanari. Die Paläontologin und Stipendiatin der AAAS Science and Technology Policy war an der Studie nicht beteiligt.

    Wer hat’s erfunden?

    Mussaurus stellt nur einen Zweig im Familienstammbaum der Dinosaurier dar, der im Laufe des Lebens die Gangart wechselte.

    „Man vermutet, dass das auf mehrere Dinosaurier zutrifft, darunter Maiasaura, Iguanodon, PsittacosaurusDryosaurus, und Massospondylus“, sagt Kimi Chapelle. Die Doktorandin der Universität Witwatersrand in Südafrika erforscht Saurier, die ihre Gangart zu Lebzeiten wechselten.

    Paläontologen haben über Jahrzehnte eine ontogenetische Serie zusammengetragen – eine Reihe von fast vollständigen Fossilien des Mussaurus patagonicus, die drei wichtige Entwicklungsstadien im Leben der Tiere abdecken. Hier abgebildet ist der Schädel eines Jungtiers.
    Foto von A. Otero.

    Darüber hinaus schien es bei einigen Arten sogar umgekehrt verlaufen zu sein: Sie liefen zuerst auf zwei Beinen und später auf vier, erklärt Chapelle, die an der neuen Studie nicht beteiligt war. Eine Tendenz zum Gangwechsel lässt sich auch in der generellen Evolutionsgeschichte der Dinosaurier erkennen.

    „Frühe Dinosaurier liefen auf zwei Beinen. Der vierbeinige Gang entwickelte sich dann unabhängig voneinander in zwei Abstammungslinien“, so Chapelle. Dazu gehört auch der Zweig der Vogelbeckensaurier, dem viele berühmte Arten von Sauriern angehören, die auf vier Beinen liefen, zum Beispiel Triceratops, Stegosaurus und Ankylosaurus.

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    Trotz der Vielzahl an Sauriern, die ihre vornehmlich genutzte Beinzahl im Laufe des Lebens änderte, konnten die Wissenschaftler in der heutigen Fauna kaum Beispiele für ein solches Verhalten finden.

    „Am Ende sind Menschen das beste und wahrscheinlich einzige bekannte Beispiel“, sagt der Co-Autor der Studie Andrew Cuff, ein Forscher am Royal Veterinary College der University of London. „Das ist ein wirklich seltenes Merkmal. Deshalb ist es ja so spannend, dass wir es im Fossilbericht dieser [Dinosaurier-] Art sehen.

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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