Hätten die Dinosaurier ohne den Asteroiden überlebt?

Durch moderne Technologien können sich Forscher ein immer besseres Bild davon machen, wie es den Dinosauriern vor dem Asteroideneinschlag ging, der ihr Dasein jäh beendete.

Von Michael Greshko
Veröffentlicht am 11. März 2019, 16:15 MEZ
Die Rekonstruktion einer Flussniederung aus einer Zeit vor 66 Millionen Jahren zeigt Dinosaurier wie Tyrannosaurus rex, ...
Die Rekonstruktion einer Flussniederung aus einer Zeit vor 66 Millionen Jahren zeigt Dinosaurier wie Tyrannosaurus rex, Edmontosaurus und Triceratops, die durch die urzeitliche Landschaft strichen.
Foto von Illustration by Davide Bonadonna

Eines Tages vor 66 Millionen Jahres kam das Leben plötzlich zum Stillstand, als ein Asteroid das Zeitalter der Dinosaurier mit einem gewaltigen Knall beendete. Die Vögel sind die einzigen Vertreter aus dem Stammbaum der Dinosaurier, die das Massensterben überlebten. Die ökologischen Nischen, die die urzeitlichen Reptilien hinterließen, boten ihren gefiederten Verwandten und den Säugetieren die Chance, sich über die ganze Welt auszubreiten.

Was aber, wenn es nie zu dieser Katastrophe gekommen wäre? Wären die Dinosaurier trotzdem ausgestorben, wenngleich auch auf weniger dramatische Weise?

Womöglich nicht – denn eine aktuelle Studie kam zu dem Schluss, dass die Dinosaurier vor dem Massenaussterben am Ende der Kreide noch ziemlich fit waren. Mit umfangreichen Simulationen, die der Paläontologie erst seit Kurzem zur Verfügung stehen, reihen sich die Ergebnisse in eine Debatte darum ein, ob die Dinosaurier zum Zeitpunkt ihrer persönlichen Apokalypse ohnehin schon dem Untergang geweiht waren.

Wissen kompakt: Dinosaurier
Einst zogen mehr als 1.000 Dinosaurierarten über unsere Erde. Manche waren winzig, andere hingegen gigantisch. Erfahrt mehr über ihr Verhalten, ihre Fressgewohnheiten und überraschende Details ihres Ablebens.

Der hochmoderne Ansatz könnte uns auch dabei helfen, einen Blick in die klimatischen Verschiebungen der Vergangenheit zu werfen und daraus Schlüsse über den modernen Klimawandel zu ziehen.

„Das sind sehr wichtige Ergebnisse – die ganze Geschichte des Niedergangs und was dem widerspricht –, aber es ist auch gut, dass wir neue Methoden entwickeln und anwenden. Das wird aus mehreren Perspektiven betrachtet“, sagt der Paläontologe Alfie Alessandro Chiarenza, ein Doktorand am Imperial College London. Er leitete die neue Studie, die in „Nature Communications“ erschien.

Der Fall der Dinosaurier

Wenn man sich den Disney-Film „Fantasia“ von 1940 ansieht, erhält man einen Eindruck davon, wie sich Paläontologen das Aussterben der Saurier einst vorstellten. Die Animationen zeigen, wie bekannte Arten in fruchtbaren Sumpflandschaften gediehen, schlussendlich aber einem heißeren Klima erlagen. Diese Vision änderte sich in den Achtzigern, als Walter und Luis Alvarez die Hypothese aufstellten, dass die Dinosaurier nicht einfach bei einem Marsch durch eine höllische Wüste ihr Ende fanden. Stattdessen deuteten geologische und Fossilfunde darauf hin, dass ein katastrophaler Asteroideneinschlag ihr Ende einläutete.

Jahre später fanden Wissenschaftler den passenden Einschlagkrater vor der Küste von Mexiko. Seither stimmen die meisten Paläontologen darin überein, dass das Verschwinden der Dinosaurier größtenteils dem Asteroiden anzulasten ist. (Aber selbst diese Theorie ist nicht unumstritten: Zwei aktuelle Studien verweisen auf vulkanische Aktivität als Mittäter.)

Allerdings spekulieren Paläontologen auch darüber, was geschehen wäre, wenn der Asteroid nie auf der Erde eingeschlagen wäre. Mit konkreten Zahlen lässt sich dabei kaum arbeiten, da der Fossilbericht naturgemäß immer nur einen Bruchteil der Vergangenheit abbildet. Die Umgebungsbedingungen müssen genau stimmen, damit der Kadaver eines Lebewesens lange genug isoliert und unter der Erde verbleibt, um zu versteinern. Die Geschichte des Lebens anhand von Fossilien zu erzählen, ist ungefähr so, als wolle man die Handlung eines Epos rekonstruieren, wenn man nur die zerfledderten Reste des einzigen Manuskripts zur Verfügung hat. Was, wenn die Seiten reißen oder die Tinte verblasst?

Wenn Paläontologen daher die Zahl urzeitlicher Arten bestimmen wollen, müssen sie berücksichtigen, dass der Fossilbericht nur einen kleinen Teil abbildet. Sieht man sich nur die reine Zahl der gefundenen Arten an, scheint es, als hätte die Zahl der Dinosaurierarten im Westen Nordamerikas in den letzten 17 Millionen Jahren der Kreide abgenommen. Das deutet darauf hin, dass die Dinosaurier bereits im Niedergang befindlich waren, als der Asteroid die Erde traf.

Galerie: Dieser Dinosaurier ist „das beeindruckendste Fossil“, das wir je gesehen haben

BELIEBT

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    Allerdings wurden aus dem Maastrichtium – dem letzten Abschnitt der Oberkreide vor dem Asteroideneinschlag – noch nicht genügend Fossilien entdeckt, um auf Details schließen zu können. Viele Studien haben versucht, diese Diskrepanz auszugleichen. Wann immer sie das tun, zeigt sich, dass die Artenvielfalt im Westen Nordamerikas bis zum Ende hin stabil blieb oder gar zunahm. In diesem Szenario ging es den Dinosauriern gut – bis sie plötzlich verschwanden.

    Dieser Konsens, der sich langsam herausgebildet hatte, erlitt 2016 einen Rückschlag: Der Biologe Manabu Sakamoto von der University of Reading veröffentlichte eine Studie, in der er behauptete, dass Dinosaurierarten in den zig Millionen Jahren vor dem Massesterben schneller ausstarben, als neue entstanden. Diesem Bild nach, das anhand eines globalen Familienstammbaums der Dinosaurier entstand, hatten einige Dinosauriergruppen ihre besten Tage bereits hinter sich, lange bevor der Asteroid einschlug.

    Sakamotos Studie lässt sich nicht direkt mit anderen vergleichen, da er deutlich größere Zeitabschnitte betrachtete. Dennoch befeuerte seine Arbeit die Diskussion erneut.

    Große Knochen, größere Datenmengen

    Um so große Fragen zu beantworten, hilft es, entsprechend große Datenbanken zur Verfügung zu haben. Jahrzehntelang haben Paläontologen gewaltige öffentliche Datenbanken zu Fossilfunden erstellt. Eine neue Generation computeraffiner Wissenschaftler kann die urzeitliche Welt daher nun auf beispiellose Weise sortieren und analysieren und so neue Einblicke in die Vergangenheit gewinnen.

    „Wir befinden uns aktuell im Zeitalter von Big Data und Datenwissenschaft“, sagt Sakamoto.  „Wenn man solche pompösen Behauptungen aufstellt und Studien durchführt, sollte man sie auch mit entsprechend umfangreichen Daten untermauern. Deswegen sind die Datenbanken unerlässlich.“

    Wer sich die Datenbank-Paläontologie aber als eine Mischung zwischen „Jurassic Park“ und „Matrix“ vorstellt, hat weit gefehlt. Es ist eine mühsame Arbeit, bei der Datenbanken mit teils Hunderttausenden von Einträgen wieder und wieder durchkämmt werden müssen.

    „Wir verbringen Jahre mit sowas – Tag für Tag voller fehlgeschlagener Modelle, fehlgeschlagener Durchgänge und Datenbereinigungen. Und wenn ich noch einmal ‚Maastrichtium‘ falsch geschrieben sehe, werde ich wahnsinnig“, erzählt die Paläontologin Emma Dunne, eine Doktorandin an der Universität Birmingham, die die evolutionären Ursprünge der Dinosaurier mit Hilfe von Klimamodellen erforscht. „Aber es ist das Ganze absolut wert. Es ist enorm spannend.“

    Chiarenzas Weg war ganz ähnlich. Eigentlich wollte er nur Dinosaurier erforschen, aber um seine Fragen beantworten zu können, musste er sich mit zahlreichen Wissensgebieten beschäftigen, von Erdsystemmodellen bis hin zu modernsten Technologien.

    Für seine neue Studie kombinierte er erstmals hochauflösende Modelle des Terrains der urzeitlichen Erde mit aktuellen Klimamodellen, die Wissenschaftler auch benutzen, um den menschlichen Einfluss auf unser heutiges Klima zu verstehen. Dann hielten er und seine Kollegen fest, wo genau Dinosaurierfossilien gefunden wurden. Dabei konzentrierten sie sich auf drei Gruppen: Tyrannosaurier, Ceratopsia wie den Triceratops und Hadrosaurier, die auch Entenschnabelsaurier genannt werden.

    “Wenn man solche pompösen Behauptungen aufstellt und Studien durchführt, sollte man sie auch mit entsprechend umfangreichen Daten untermauern. Deswegen sind die Datenbanken unerlässlich.”

    MANABU SAKAMOTO, UNIVERSITY OF READING

    Mit den umfangreichen Datensätzen trainierten die Forscher Algorithmen darauf, bestimmte Sauriergruppen mit einem bestimmten Klima und einer gewissen Topografie zu assoziieren. Mit diesen Modellen der Lebensräume bewaffnet konnte sich Chiarenza ganz Nordamerika ansehen und abbilden, welche Regionen sich theoretisch gut für die Saurier geeignet hätten. Die Modelle zeigen, dass gegen Ende der Kreidezeit ein Großteil Nordamerikas durchaus noch dinosaurierfreundlich war.

    Gleichzeitig erstellten die Forscher Modelle, die zeigten, an welchen Stellen des Kontinents am wahrscheinlichsten Dinosaurierfossilien entstanden wären. Sie simulierten den Sedimentfluss aus den Rocky Mountains in ein Meer, das einst Teile des westlichen Nordamerika bedeckte. Als die Kreide endete, schrumpfte der Seeweg – und mit ihm die Menge an Sedimenten, die eigentlich nötig wären, um eine Fossilbildung zu ermöglichen.

    Auf Basis ihrer Ergebnisse argumentieren Chiarenza und seine Kollegen daher, dass der augenscheinliche Rückgang der Saurier im Westen Nordamerikas kein Ergebnis eines evolutionären Niedergangs war. Stattdessen änderten sich einfach die geologischen Gegebenheiten, sodass weniger Fossilien entstanden.

    Was hätte sein können

    Obwohl die Diskussionen weitergehen, passt Chiarenzas Arbeit zu einer Reihe anderer Studien, die ebenfalls keinen langfristigen Rückgang der Saurier feststellen konnten. Im Rahmen einer Studie fand die Doktorandin Klara Nordén 2018 mit Hilfe von Zahnfossilien heraus, dass pflanzenfressende Dinosaurier der Oberkreide ökologisch so vielfältig wie eh und je waren.

    „Das passt sehr gut zu dem, was wir bereits durch andere Beweisführungen wissen“, sagt sie.

    Da Chiarenzas Modell die Reaktion der Saurier auf das Klima simuliert, könnten andere Forscher dank seiner Arbeit auch in Erfahrung bringen, was genau die urzeitlichen Tiere auslöschte. So könnten Wissenschaftler beispielsweise einen simulierten Asteroideneinschlag oder Supervulkanausbruch programmieren und die Auswirkungen auf die Lebensräume untersuchen. Aktuell befasst sich Chiarenza genau damit. Ebenso könnten Forscher das Modell auch nutzen, um andere Veränderungen im Klima der Vergangenheit zu untersuchen und herauszufinden, was infolge des heutigen Klimawandels passieren könnte.

    „Diese Technik könnte sich als sehr wertvoll erweisen, um uns einen Ausgangswert dafür zu liefern, anhand dem wir Veränderungen durch die menschengemachte globale Erwärmung interpretieren können“, sagt Paul Barrett. Der Paläontologe des Natural History Museum in London war an der Studie nicht beteiligt.

    Der Paläontologe Steve Brusatte von der University of Edinburgh ergänzt noch, dass die Studie ganz klar den Asteroiden als Ursache des Dinosauriersterbens impliziert. Allerdings merkt er an, dass die Studienergebnisse auch andeuten, was ohne das katastrophale Ereignis hätte sein können.

    „Das Rührendste an der Studie ist, wie deutlich sie zeigt, dass es immer noch viele potenzielle Nischen für die Dinosaurier gab – aber die Dinosaurier waren dort einfach nicht, weil der Asteroid sie getötet hat“, sagt er. „Man bekommt so eine traurige Ahnung davon, was für Dinosaurier es vielleicht noch hätte geben können.“

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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