Wie der menschliche Penis seine Stacheln verlor

Eine DNA-Studie lieferte Einblicke in die evolutionären Veränderungen des menschlichen Genoms und Körpers.

Von Christine Dell'Amore
Veröffentlicht am 8. Juli 2019, 16:09 MESZ
chimpanzee penile spines humans
Ein männlicher Schimpanse schreit von einem Baum herunter.
Foto von Michael Nichols, National Geographic

Sein schlichtes und glattes Äußeres verdankt der menschliche Penis einer evolutionären Anpassung. Vor dieser optischen Veränderung wies er, wie etliche andere moderne Säugetierpenisse, sogenannte „Penisstacheln“ auf. Diese verhornten Papillen finden sich beispielsweise auch bei Katern an der Außenseite des Fortpflanzungsorgans.

Die prähistorische männliche Sonderausstattung war bei dem gemeinsamen Vorfahren von Schimpansen und Menschen zu finden, der einer Genanalyse zufolge vor etwa sechs Millionen Jahren lebte.

Allerdings verschwand der genetische Code für diese „Penisstacheln“, ehe aus unserem gemeinsamen Vorfahren vor etwa 700.000 Jahren Neandertaler und der moderne Mensch hervorgingen, erklärte Gill Bejerano. Der promovierte Biologe der Stanford University in Kalifornien war 2011 an einer Studie beteiligt, welche den Einfluss von DNA-Abschnitten auf die Entwicklung spezifischer menschlicher Merkmale untersuchte.

Galerie: Der erste Mensch

Dafür verglichen er und seine Kollegen das menschliche Genom mit den Genomen einiger moderner und ausgestorbener Arten, darunter auch Schimpansen und Neandertaler. Insgesamt fanden die Wissenschaftler mindestens 150 DNA-Abschnitte, die im Laufe der menschlichen Evolution verschwanden.

Die Löschung dieser Bereiche sorgte für Veränderungen am menschlichen Körper, beispielsweise für ein größeres Gehirn und den Verlust der Tasthaare im Gesicht.

Neben den Penisstacheln „gibt es wahrscheinlich noch 500 weitere faszinierende Geschichten dieser Art – genau das macht diese Studie ja so spannend“, sagte Bejerano.

DNA: Kleine Veränderungen, große Wirkung

Solche Löschungen von DNA-Abschnitten sind das Ergebnis seltener Mutationen und wirken sich nicht auf die grundlegende Funktion eines Gens aus, wie die Forscher erklärten.

„Man kann sich das wie eine Glühbirne vorstellen, die mit vielen unterschiedlichen Schaltern bedient wird“, sagte der Co-Autor der Studie David Kingsley, der ebenfalls an der Stanford University arbeitet.

„Wenn man die Glühbirne zerstört, geht das Licht aus. Aber wenn man nur einen einzelnen Schalter entfernt, verändert man die Reaktion auf eine bestimmte Eingabe. Das kann für einen kleinen Schaltkreis einen großen Unterschied machen, aber trotzdem bleiben darin viele andere Dinge so, wie sie sind.“

Bejerano betonte in diesem Zusammenhang eine der Kernaussagen der Studie: Manchmal können kleine Veränderungen an DNA-Sequenzen in größeren und komplexeren Strukturen resultieren, wie das beispielsweise beim Gehirn der Fall war.

Für Rhonda Snook von der University of Sheffield, die an der Studie nicht beteiligt war, ist dieses Konzept ebenso spannend wie die Erkenntnisse zum Penis.

Diese kleinen Veränderungen „können tiefgreifende Auswirkungen darauf haben, wie sich Lebewesen aus ihren Vorfahren entwickeln“.

Welche Rolle spielt die Monogamie?

Laut der Studie, die in „Nature“ erschien, haben solche kleinen Veränderungen dafür gesorgt, dass der menschliche Penis im Laufe der Zeit schlichter und glatter wurde.

Eine mögliche Erklärung dafür lautet, dass die Stacheln nicht mehr benötigt wurden. Bei vielen anderen heutigen Tieren wie zum Beispiel Hauskatzen helfen diese Papillen den Männchen dabei, das Weibchen zu befruchten, wenn die Spermienkonkurrenz in ihrem Fortpflanzungstrakt groß ist.

Die Stacheln können beispielsweise geronnene Sekretpfropfen durchbrechen, die dort von anderen Männchen hinterlassen wurden, um die Befruchtung der Eizelle durch fremde Spermien zu verhindern.

Allerdings entwickelten sich beim Menschen im Laufe der Zeit diverse Umstände, die den Konkurrenzdruck verringerten. Womöglich gehört auch eine zunehmend monogame Lebensweise dazu. Außerdem seien die Männer „nicht mehr nur noch während des kompetitiven Akts der Befruchtung anwesend, sondern führen Langzeitbeziehungen mit Frauen“, sagte Kingsley.

Snook, die die Evolution der Form und Funktion von Spermien erforscht, gibt allerdings zu bedenken, dass der Zusammenhang zwischen schlichteren Genitalien und Monogamie bislang eher dürftig belegt ist.

Eine phylogenetische Analyse, bei der das Fehlen oder Vorhandensein von Penisstacheln in der evolutionären Geschichte verschiedener Tiere verglichen wird, könnte fundiertere Erkenntnisse liefern.

Das Mysterium der menschlichen Evolution

Solche komplexen DNA-Analysen und Forschungsprojekte sind erst seit Anfang des Jahrtausends möglich, als das menschliche Genom entschlüsselt wurde, merkte Snook an.

„Wir haben jetzt diese unglaubliche Fähigkeit, viel mehr darüber zu erfahren, wie Evolution wirklich geschieht und wie sie sich verändert“, sagte sie.

Co-Autor Kingsley sieht das ganz ähnlich: „Wir leben in dieser magischen Zeit, in der wir die vollständigen Genomsequenzen von uns und unseren Verwandten haben.“

Wie wurden wir zu dem, was wir sind? Das „kann ein großes, unergründliches Mysterium“ sein, wie er sagte. „Aber wir sind bereits dabei, einige der molekularen Unterschiede zu entdecken, die uns zu Menschen machen.“

Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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