Älteste Bienennester der Welt in Patagonien entdeckt

Ein neuer Fossilfund belegt, dass die Bienen sich zusammen mit den Blütenpflanzen entwickelt haben.

Von Michael Greshko
Veröffentlicht am 21. Feb. 2020, 15:23 MEZ
Versteinertes Bienennest
Bereits vor mehr als 100 Millionen Jahren lebten schon Bienen im heutigen Patagonien. Ihre versteinerten Nester stellen aktuell den ältesten bekannten Fund moderner Bienen dar.
Foto von Jorge Genise

Aufsehen in der Paläontologie: Bei einer Ausgrabung wurden uralte Bienennester in Patagonien gefunden, die belegen, dass die fleißigen, kleinen Insekten bereits vor rund 100 Millionen Jahren in ihrer heutigen Form die Erde bevölkerten.

Die Fossilien der Nester wurden in der Online-Zeitschrift „PLOS ONE“ beschrieben. Sie bestehen aus Gängen, die mit traubenförmigen Nischen gespickt sind, in denen sich die Larven der prähistorischen Bienen ungestört entwickeln konnten. Heutzutage gibt es nur noch eine einzige Insektenfamilie, die solche Nester baut – die Halictidae. Diese weltweit vorkommende Bienenfamilie mit ca. 4.400 Arten und fast 80 Gattungen wird im Englischen auch gerne als sweat bees („Schweißbienen“), im Deutschen häufiger als Schmalbienen bezeichnet. Einige der modernen Halictidae-Arten bauen Nester, die den neuen Fossilfunden bis ins Detail gleichen.

Es ist sehr unwahrscheinlich, dass ein bislang unbekanntes Tier seine Nester auf die gleiche Art konstruiert wie diese Bienen, weswegen die Wissenschaftler davon ausgehen, dass Halictidae-Bienen für den Bau des prähistorischen Nests verantwortlich waren. Eingebettet in Stein haben sie die letzten 100 bis 105 Millionen Jahre gut erhalten überstanden. Damit sind diese Nester älter als die bislang ältesten Funde, die auf 94 bis 97 Millionen Jahre geschätzt werden, und wesentlich älter als der früheste Fund einer versteinerten Biene, die vermutlich weniger als 72 Millionen Jahre auf die Zeitachse bringt.

Forscher fanden die kürzlich beschriebenen Bienennester, Cellicalichnus krausei, im Stein der Castillio-Formation in Argentinien.
Foto von Jorge Genise

Der Fund fügt ein wichtiges Puzzlestück der Evolutionsgeschichte von Bienen hinzu, die eine der wichtigsten Bestäubergruppen darstellen. Außerdem unterstützt er die Theorie, dass Bienen und einige der ersten Blütenpflanzen sich gemeinsam während der frühen Kreidezeit vor etwa 110 bis 120 Millionen Jahren entwickelten.

„Das untermauert diesen Zeitrahmen (...) und es ist schon wirklich beeindruckend. Diese Sekundärfossilien sind wie ein zweiter Sechser im Lotto für uns Paläontologen“, sagt Phil Barden, der als Evolutionsbiologe am New Jersey Institute of Technology forscht und nicht an der Studie beteiligt war.

Ein Blick in die Vergangenheit

Bei dem Wort Fossilien haben die meisten Menschen ein Skelett oder die Umrisse eines längst verstorbenen Tieres vor Augen. Doch auch viele andere Spuren prähistorischer Zeiten – wie Abdrücke im Boden, Nester und Erdbauten und sogar Kot (Koprolithen) – können bis in die Gegenwart erhalten bleiben. Als Ichno- oder Spurenfossilien fangen sie kurze Ausschnitte der Vergangenheit ein und geben den Forschern oft viele Informationen über das Verhalten der inzwischen ausgestorbenen Tiere.

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    „Das Fossil eines Körpers ist ein einzelnes Bild. Ein Spurenfossil ist ein kompletter Film“, erklärt Jorge Fernando Genise, leitender Autor der Studie und Paläontologe am Naturkundemuseum Museo Argentino de Ciencias Naturales Bernardino Rivadavia in Buenos Aires, via Email. „Man kann praktisch ‚sehen‘, wie die Insekten sich bewegen, graben, Blüten besuchen und Wände bauen.“

    Schon als Kind war Genise von Wespen fasziniert. Inzwischen ist er einer der führenden Wissenschaftler auf dem Gebiet prähistorischer Insekten und weiß genau welche Erkenntnisse aus ihren Spurenfossilien gewonnen werden können. Sein Fokus liegt dabei überwiegend auf der Kreidezeit, in der sich die meisten Insekten, deren Spuren bis heute erhalten geblieben sind, entweder entwickelt oder weiterentwickelt haben.

    Im Jahr 2015 reisten Genise und seine Kollegen zur Castillo-Formation, eine Felsgruppe im Süden Argentiniens, die vor 100 bis 105 Millionen Jahren entstanden ist, um dort nach Insektennestern zu suchen. Die Ausgrabung war kein Zuckerschlecken. Tagsüber brennt die Sonne auf die endlose Ödnis Patagoniens hinab, über die nur allzu oft ein schneidender Wind fegt, und nachts wird es extrem kalt.

    „Unter solchen Bedingungen ist die Arbeit unter freiem Himmel sehr anstrengend, aber man wird dafür belohnt, wenn man einen solchen Schatz im Gestein findet und ihn so der Wissenschaft zugänglich macht“, meint Genise.

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    Als die Forschergruppe an einem Felsvorsprung entlangging, fiel Teammitglied J. Marcelo Krause eine Struktur auf, die aus dem Gestein herausragte. Krause forscht als Paläontologe am Egidio Feruglio Paleontological Museum in Argentinien. Es stellte sich heraus, dass es sich bei dieser Struktur um ein fossiliertes Schmalbienen-Nest handelte. Um Krause für den Fund und seine Arbeit bei der Feldforschung zu würdigen, bekam das Nest von Genise und seinem Team den Namen Cellicalichnus krausei.

    Im Jahr 2017 kehrte Genises Forschergruppe noch einmal zu der Ausgrabungsstätte zurück, um so viele Fossilien wie möglich zu sammeln. Darunter befanden sich auch weitere Spurenfossilien von Käfern und Wespen. Chemische Analysen halfen ihnen dabei, die Beschaffenheit der prähistorischen Böden besser zu verstehen, in denen die Bienen ihre unterirdischen Behausungen errichteten. Offensichtlich nisteten sich die Insekten in einem Überschwemmungsgebiet ein, dessen Boden aus relativ frischer Vulkanasche bestand.

    Wo Genetik und Fossilien sich treffen

    Genises Team entwickelte außerdem ein neues Modell des Bienen-Familienstammbaums, bei dem sie die DNA von 64 heute lebenden Bienenarten mit den neuen Nestfossilien und früheren Fossilienfunden kombinierten. Schon mithilfe der DNA können nutzbare Stammbäume erstellt werden, aber eine Angabe darüber, wann verschiedene Gattungen gelebt und sich abgespalten haben, kann mitunter schwierig werden. Durch den Vergleich mit den Fossiliendaten konnten Genise und seine Kollegen das Mindestalter einiger Bienengattungen eingrenzen. Das neue Nest-Fossil belegte, dass die Schmalbienen sich bereits vor mehr als 100 Millionen Jahren entwickelt haben.

    Das Model zeigt auch, dass sich die modernen Bienen mit atemberaubender Geschwindigkeit vor etwa 114 Millionen Jahren abgespalten haben. Etwa zur gleichen Zeit entwickelten sich auch die Eudikotyledonen – die Pflanzengruppe, die 75 Prozent der Blühpflanzen ausmacht. Die Ergebnisse, die die Erkenntnisse vorangegangener Genetikstudien untermauern, unterstützen die Theorie, dass die Blühpflanzen und Bestäuberbienen sich von Anfang an gemeinsam entwickelten.

    Nach der Untersuchung dieser uralten Nester widmen sich Genise und seine Kollegen nun der Analyse weiterer Spurenfossilien, von denen einige Aufschluss über das Verhalten prähistorischer Libellen geben könnten. Außerdem zeigt ein fossiliertes Ameisennest Anzeichen für eine Plünderung durch einen Vorfahren des heutigen Ameisenbärs.

    „Mit diesem Team sehen wir in eine rosige Forschungszukunft“, schließt Genise.

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht

     

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